Die amerikanische Notenbank atmet nach einer kräftigen Straffung der Geldpolitik zur Bekämpfung der hohen Inflation erst einmal durch. Allerdings bleibt sie wachsam – und das aus guten Gründen.
Die amerikanische Inflation scheint zwar auf hohem Niveau zurückzugehen, aber die Notenbank Fed bleibt offensichtlich misstrauisch. Sie hat am Mittwoch die Zinsschraube nach zehn zum Teil kräftigen Drehungen in Folge zum ersten Mal seit 15 Monaten nicht weiter festgezogen, behält den Schraubenschlüssel jedoch gewissermassen in der Hand.
Laut der offiziellen Mitteilung wollen der Fed-Präsident Jerome Powell und das zinsbestimmende Gremium der Institution abwarten, welche weiteren Wirkungen die vergangenen Zinserhöhungen in der Wirtschaft entfalten. Sie wollen vor allem erst einmal sehen, ob die jüngsten Bankenzusammenbrüche weitere Wellen schlagen und eventuell die Kreditvergabe stärker bremsen. Das wäre ein Alarmzeichen. Zugleich liegt der Preisauftrieb immer noch um das Doppelte über dem angestrebten Inflationsziel von 2 Prozent, so dass die Notenbanker dazu tendieren, die Zinsen im Juli oder September erneut anzuheben.
«Man darf nicht vergessen, dass die meisten Inflationsprognosen in den vergangenen beiden Jahren völlig danebenlagen. Wir sehen die Kerninflationsrate derzeit einfach nicht weiter fallen – und das ist das, worauf wir schauen», sagte der Fed-Präsident Jerome Powell in der Pressekonferenz nach Bekanntgabe der Entscheidung.
Nicht den Fehler von vor 50 Jahren wiederholen
Die Geldpolitiker wollen unbedingt den Fehler vermeiden, der der Zentralbank vor gut 50 Jahren unterlaufen war, als sie auf schnell und deutlich fallende Produzenten- und Konsumentenpreise zu schnell reagiert und die geldpolitischen Rahmenbedingungen zu früh gelockert hatte. Wenig später musste sie umso kräftiger bremsen, als die Inflationsrate nach kurzem Rücksetzer plötzlich wieder nach oben schoss.
Heute steht das Fed vor einem ähnlichen Dilemma. Denn die Anleger an den Finanzmärkten sehen sinkende Preissteigerungsraten, sie rechnen schon eine Weile mit einer Rezession und damit, dass die Notenbank die «Geldschleuse» bald wieder öffnen wird. Aus diesem Grund kaufen sie Aktien sowie Anleihen. Genau das aber sorgt allgemein für generöse geldpolitische Rahmenbedingungen, was die Absichten des Fed konterkariert, die Wirtschaft angesichts einer rekordtiefen Arbeitslosenquote und einem heisslaufenden Dienstleistungsbereich zu bremsen.
Dabei kommen verschiedene Schätzungen zum Ergebnis, dass das Wirtschaftswachstum im laufenden Quartal auf Jahresbasis bei etwa 2 Prozent liegt. So scheint sich der zinsempfindliche Immobilienmarkt zu stabilisieren, und in manchen Regionen ziehen die Häuserpreise tendenziell wieder an. Schliesslich sind viele Hausbesitzer nicht bereit, umzuziehen und ihre Verträge mit derzeit niedrigen Hypothekenzinsen aufzugeben. So wird die Nachfrage auf neu gebaute Gebäude gelenkt, woraufhin die Beschäftigung im Baugewerbe anzieht und die Aktienkurse von Hausbauunternehmen deutlich steigen. Die Bauinvestitionen im Gewerbebereich boomen.
«Das Wachstum geht nicht deutlicher zurück, weil die amerikanische Wirtschaft immer noch von fiskalpolitischen Stimulierungsmassnahmen getrieben wird», sagt Robert Kaplan, ehemaliger Präsident der Federal Reserve Bank of Dallas. Die amerikanische Bundesregierung mag zwar die Gelder der American Rescue Act aus dem Jahr 2020 weitgehend ausgegeben haben, aber die Gliedstaaten und die lokalen Gebietskörperschaften haben diese Mittel immer noch in der Pipeline. Da diese jedoch bis spätestens 2025 ausgegeben sein müssen, bevor die Ansprüche verfallen, sind die Begünstigten dabei, ihre Infrastruktur zu verbessern oder in neue Projekte zu investieren.
Konstellation kann für allerlei Überraschungen sorgen
Dazu kommen die gewaltigen Mittel aus der Chips and Science Act, der Inflation Reduction Act und der Infrastructure Investment and Jobs Act. Diese wären theoretisch geeignet, die Konjunktur aus einer Rezession zu holen, dabei ist die Wirtschaft immer noch überhitzt. So kommt es, dass auch diese Stimulierungsmassnahmen den Leitzinserhöhungen des Fed entgegenlaufen, und sie dürften erklären, wieso sich die amerikanische Wirtschaft bisher nicht deutlicher abgekühlt hat. Tatsächlich schüren die staatlichen Gelder künstlich die Nachfrage nach Gütern, Dienstleistungen und Arbeitskräften – insbesondere im Dienstleistungsbereich. Glaubt man den Aussagen Kaplans, so ist in diesem Sektor sogar eine Art Lohn-Preis-Spirale im Gang.
Diese Konstellation kann für allerlei Überraschungen sorgen – vielleicht sogar für einen weiteren Inflationsschub. Kein Wunder, bleibt Jerome Powell auch angesichts rekordverdächtiger Geldmengen im wirtschaftlichen Umlauf wachsam. Schliesslich geht es um sein Standing.