In Londons Kulturszene kommt es immer häufiger zu Drohungen. Zuletzt mussten mehrere Veranstaltungen mit antifaschistischer Stossrichtung aus Angst vor Gewalt abgesagt werden.
Aus Angst vor rechtsradikaler Randale sagten mehrere Londoner Buchläden und ein Pub eine Lesung ab. Das Buch, Joe Mulhalls «Rebel Sounds», erzählt in grossen Zügen die Geschichte des Protestsongs. Aufgrund von Drohungen und der Befürchtung, dass die jüngsten Unruhen die extreme Rechte ermutigt haben, wurde «Rebel Sounds» schliesslich heimlich und nur für geladene Gäste vorgestellt.
Unter anderem der Autor Hanif Kureishi, Songwriter Billy Bragg sowie Gruppen, die sich für Meinungsfreiheit einsetzen, äusserten sich laut dem linksliberalen «Guardian» «alarmiert». Kureishi, dessen Romane von seinen eigenen Erfahrungen mit der Bedrohung britischer Asiaten durch die Nationale Front in seiner Jugend geprägt sind, sagte, er sei schockiert gewesen, als er von Mulhalls Erfahrungen hörte. Daniel Gorman, der Direktor des englischen PEN-Club, und andere britische Intellektuelle zeigten sich ähnlich besorgt.
Joe Mulhalls Buch enthält keineswegs provozierende Stellungnahmen. Das rechtskonservative Wochenmagazin «The Spectator» lobte es in einem ausführlichen Artikel als ein Kompendium der verborgenen Geschichten derer, die in Kriegs- und Krisenzeiten Musik produziert, aufgeführt und verbreitet haben. Mulhall versuche herauszufinden, ob Musik «die Welt verändern» könne, und er tue dies mit Einfühlungsvermögen und Begeisterung. Es sei eine «zugängliche Momentaufnahme der Musik als Soundtrack zum Leben».
Er enttarnte Rechtsextreme und Jihadisten
Laut «Guardian» wird angenommen, dass die Drohungen der Rechten weniger auf Joe Mulhalls Neuerscheinung zurückgehen als vielmehr auf sein Engagement für Hope Not Hate, eine Interessengruppe, die sich gegen Rassismus und Faschismus einsetzt. Mulhall verbrachte mehr als ein Jahrzehnt damit, Mitglieder rechtsextremer Gruppierungen wie des Ku-Klux-Klans und Londoner Jihadisten zu enttarnen. Sein Mitwirken bei Hope Not Hate begann im Jahr 2010 und trug ihm Todesdrohungen und mehrere Angriffe auf sein Leben ein. Diese Erfahrungen thematisierte er in seinem 2021 erschienenen Buch «Drums in the Distance: Journeys into the Global Far Right».
Die in der Londoner Kulturszene umgehende Angst vor rechtsradikalen Übergriffen beschränkt sich nicht auf den Einzelfall der Lesungen zu «Rebel Sounds» und auf Absagen kleiner Event-Orte. Auch das grosse London Film Festival (LFF), das vom British Film Institute (BFI) ausgerichtet wird, strich im vergangenen Monat eine vom «Guardian» und von der «Times» hochgelobte Dokumentation («Undercover: Exposing the Far Right») über die extreme Rechte aus ihrem Programm, ebenfalls aus Angst vor rechter Gewalt.
«Beunruhigender Trend»
Der Film von Havana Marking folgte Aktivisten von Hope Not Hate. Die Regisseurin erklärte dem Branchenblatt «Hollywood Reporter», es habe keine echte Bedrohung gegeben, nur die Angst, dass etwas passieren könnte: «In dem Masse, wie die Rechtsextremen an Einfluss gewinnen, werden diese Dinge immer häufiger vorkommen, und die Menschen werden immer mehr Angst haben.»
Auch Joe Mulhall, der für die Absagen seiner Lesung seitens kleiner Veranstaltungsorte wie Buchhandlungen und Kneipen Verständnis hatte, kritisierte das BFI im Zusammenhang mit dem London Film Festival: «Sie haben die Kapazitäten und Ressourcen, um eine Veranstaltung zu schützen, wenn sie es wollten.» Jemimah Steinfeld, die Geschäftsführerin von Index on Censorship, bezeichnete die Drohungen und die Reaktionen darauf als «beunruhigenden Trend»: «Wenn sogar eine Organisation wie das BFI Angst hat, welche Hoffnung gibt es dann für kleinere Veranstaltungsorte, und welche Botschaft wird damit vermittelt?» Die «Times» kommentierte die Reaktion des BFI sarkastisch: «Es muss für die extreme Rechte aufregend sein, für so mächtig gehalten zu werden.»