Die Korruptionsklage in New York hat ein Schlaglicht auf die Geschäftspraktiken des indischen Moguls geworfen. Für Indiens Regierungschef Narendra Modi ist Adani aber zu wichtig, als dass er ihn fallenlassen könnte.
Es wäre sicher falsch, den Erfolg von Gautam Adani allein seiner Nähe zu Narendra Modi zuzuschreiben. Viele Inder sind aber überzeugt davon, dass es Adani ohne die Protektion des Premierministers nie so weit gebracht hätte. Seit dem Amtsantritt von Modi vor zehn Jahren hat sich Adanis Vermögen vervielfacht. Heute ist die Adani Group in strategischen Sektoren wie Häfen, Energie, Rüstung und Lebensmittel aktiv. Längst gibt es Warnungen, der Konzern sei dabei, in Schlüsselbereichen eine Monopolstellung zu erreichen.
Die New Yorker Anklage wegen Bestechung und Betrugs wirft nun ein Schlaglicht auf Adanis Geschäftspraktiken. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn, über 250 Millionen Dollar Schmiergeld an Beamte in Indien gezahlt zu haben, um sie zur Abnahme von überteuertem Solarstrom zu bewegen, und anschliessend falsche Angaben gegenüber Investoren in den USA gemacht zu haben. Das bringt nicht nur Adani in Bedrängnis, auch für Modi wirft es unangenehme Fragen auf.
Wie kann es sein, dass es die Amerikaner brauchte, um Adanis Geschäfte unter die Lupe zu nehmen?, fragt die Opposition. Warum haben die indischen Aufsichtsbehörden nicht längst selbst Schritte gegen Adani eingeleitet? Der Eindruck verstärkt sich, dass Adani für Modi zu wichtig ist, als dass er auf ihn verzichten könnte. Der indische Premierminister braucht den Unternehmer, um die Infrastruktur voranzubringen und sein Versprechen vom Aufstieg Indiens einzulösen.
Für Adani war der Aufstieg nicht vorgezeichnet
Der Weg von Gautam Adani vom kleinen Diamanthändler zu einem der reichsten Männer des Planeten ist eng verknüpft mit der Entwicklung der indischen Wirtschaft. Geboren wurde Adani im Jahr 1962 als siebtes Kind in einer Familie von Händlern in Ahmedabad. Bis heute ist die Hauptstadt des westindischen Teilstaats Gujarat seine Heimat geblieben. Während andere Firmen ihr Hauptquartier in die Finanzmetropole Mumbai verlegt haben, hat die Adani Group ihren Sitz immer noch am Rande von Ahmedabad.
Adani gehört zu den Jains, einer kleinen, eng verbundenen Religionsgruppe, die für ihre strenge vegetarische Diät bekannt ist. Seine Familie stammt von der Halbinsel Kutch, einer kargen, ariden Gegend an der Grenze zu Pakistan. Da Landwirtschaft dort kaum möglich ist, sind viele Einwohner im Handel aktiv. An der Küste dort gibt es seit der Antike Häfen, die enge Beziehungen zum Persischen Golf pflegen. Auch für die Adanis war es naheliegend, in den Handel zu gehen.
Nach der Schule ging der junge Adani mit zwei Cousins zunächst nach Mumbai, um sich im Diamanthandel zu versuchen. Sein Studium schmiss er schon nach wenigen Monaten. In seiner Zeit in Mumbai habe Adani gelernt, wie wichtig es sei, Margen genau zu kalkulieren, Risiken abzuwägen, Wechselkurse im Blick zu behalten und schnell zu reagieren, schreibt der indische Journalist R. N. Bhaskar in einer Biografie Adanis.
Adani navigierte geschickt das indische Licence Raj
Schon nach wenigen Jahren holte ihn sein älterer Bruder aber zurück nach Ahmedabad, damit er bei einer Plastikfabrik einstieg, die er kurz zuvor übernommen hatte. Zu dieser Zeit Anfang der achtziger Jahre war die Wirtschaft noch streng reguliert – in Indien spricht man von Licence Raj. Doch der energische und ehrgeizige Adani schaffte es, den Staat davon zu überzeugen, ihm überschüssige Importlizenzen zu überlassen, um aus Südkorea die nötigen Rohstoffe einzuführen.
Als die indische Regierung Anfang der neunziger Jahre die Wirtschaft liberalisierte, wechselte Adani ins Exportgeschäft. Laut seinem Biografen Bhaskar verstand Adani es stets, seine eigenen Geschäfte an den nationalen Bedürfnissen auszurichten. Man könnte aber auch sagen, der gewiefte Geschäftsmann hatte ein Gespür für die Chancen, welche die Politik bot. Schon damals galt, wer in der Wirtschaft vorankommen wollte, musste einen guten Draht zu den Mächtigen haben.
Ein wichtiger Wendepunkt war, als Adani 1992 in Mundra an der Küste der Halbinsel Kutch begann, einen eigenen Hafen aufzubauen. Für einen Geschäftsmann, der bis dahin nur im Import-Export-Geschäft tätig gewesen war, war das ein ungewöhnlicher Schritt. In gewisser Weise erfolgte er zufällig, um einen grossen Auftrag zum Export von Salz abzuwickeln. Doch über die Jahre entstand aus dem Pier an der sumpfigen Küste von Kutch ein ganzes Hafenimperium. Und es markierte Adanis Einstieg in den Bausektor.
Adani ist kein Freund von Show und lauten Partys
Es gehört zu den Stärken Adanis, Wagnisse einzugehen, wenn er eine Chance sieht. Persönlich ist der heute 62-Jährige aber eher zurückhaltend. Sein Umfeld beschreibt den korpulenten, rundlichen Mann mit dem schwarzen Schnurrbart als höflich, wortkarg und respektvoll gegenüber Untergebenen. Seit 1986 ist er mit Priti, der Tochter eines Geschäftspartners, verheiratet. Ihre beiden Söhne sind nach einem Studium in den USA heute in der Firma aktiv, genauso wie mehrere seiner Brüder und weitere enge Verwandte.
Adani wirkt wie der Gegenentwurf zu Ratan Tata, dem im Oktober im Alter von 86 Jahren verstorbenen Chef des Tata-Konzerns. Der gebildete, aristokratisch wirkende Industrielle entstammte einer Dynastie. Zeitlebens unverheiratet geblieben, war Tata international bestens vernetzt und ein Förderer von Kultur und Bildung. Adani, der sich ohne eigenes Vermögen nach oben gearbeitet hat, gibt sich dagegen bodenständig, heimatverbunden und familienbewusst.
Anders als Mukesh Ambani, sein grosser Rivale aus Gujarat, der sich in Mumbai ein extravagantes Hochhaus als Privatresidenz hat bauen lassen und diesen Sommer für 600 Millionen Dollar die Hochzeit seines Sohnes feiern liess, ist Adani nicht für ausschweifende Feste oder die Zurschaustellung seines Reichtums bekannt. Adani beschreibt sich selbst als introvertiert. Mitarbeiter berichten, er lege grossen Wert auf Effizienz, Disziplin und Pünktlichkeit.
Modi brauchte Adani zum Ausbau der Infrastruktur
Allein mit Fleiss und einem guten Gespür für Geschäfte ist Adanis Aufstieg aber nicht zu erklären. Die Opposition, aber auch viele Journalisten sind davon überzeugt, dass Modi ihn immer wieder bei der Vergabe von Aufträgen bevorzugt hat. Wie Adani stammt Modi aus Gujarat. 2001 übernahm der Hindu-Nationalist dort die Regierung. Als Ministerpräsident setzte er auf die Liberalisierung der Wirtschaft und den Ausbau der Infrastruktur. Adani, der nach dem Bau des Hafens von Mundra rasch in weitere Bereiche expandiert hatte, erwies sich dabei als wichtiger Partner.
Laut Adanis Biograf Bhaskar verbindet Modi und Adani eine echte Freundschaft. Die beiden Männer haben einen ähnlichen Hintergrund. Sie sind Macher, die sich aus eigener Kraft hochgearbeitet haben. Adani muss gefallen haben, dass Modi versprach, die berüchtigte Bürokratie zurückzuschneiden. Zu seinem Vorteil war aber vor allem, dass Modi sich zwar als liberaler Reformer gab, doch in der Praxis am liebsten mit einigen grossen Unternehmern arbeitete, denen er vertraute.
Als Modi 2014 zum indischen Premierminister gewählt wurde, hob die Entwicklung der Adani Group richtig ab. Indien brauchte neue Flughäfen, Autobahnen, Stromleitungen und Bahnlinien. Es benötigte mehr Kraftwerke, um den wachsenden Energiebedarf zu decken, und Kohleminen, um die Kraftwerke zu befeuern. Zugleich wollte Modi die Solarkraft ausbauen, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Bei allem konnte Adani eine Hilfe sein.
Häfen, Kraftwerke, Kohleminen – Adani ist heute überall aktiv
Für Adani liefen die Geschäfte prächtig: Zwischen Modis Amtsantritt 2014 und 2023 wuchs sein Vermögen von 7 auf 120 Milliarden Dollar. Heute betreibt die Adani Group in Indien 13 Häfen, 7 Flughäfen und 6 Kohlekraftwerke. Der Konzern besitzt Kohleminen in Indien und Indonesien, ist aber auch einer der grössten Akteure im Solarbereich. Bei Zement, Speiseöl und Weizen hat er grosse Marktanteile. In Mumbai baut Adani einen neuen Flughafen und will Asiens grössten Slum sanieren. Zudem hat er Anteile an Häfen in Sri Lanka und Israel.
Doch Anfang 2023 kam ein dramatischer Einbruch, als der kleine Investmentfonds Hindenburg Research einen vernichtenden Bericht über die Finanzen der Adani Group publizierte. Der aktivistische Short-Seller warf Adani vor, die Kurse der Firma durch ein undurchsichtiges Geflecht von Briefkastenfirmen in Mauritius zu manipulieren. Die Börsen reagierten alarmiert, vorübergehend rutschte Adani in der Liste der reichsten Männer der Welt um zwanzig Plätze ab.
In Indien, wo sonst kaum noch kritisch über Adani berichtet wurde, stellten Journalisten und Ökonomen plötzlich kritische Fragen zur finanziellen Gesundheit der Firma. Insbesondere die Verschuldung des Konzerns, der seine rapide Expansion der vorherigen Jahre vor allem über Kredite finanziert hatte, schien ungesund hoch. Auch die Finanzmarktaufsicht Sebi leitete eine Untersuchung ein, verzichtete am Ende aber darauf, Massnahmen gegen die Adani Group zu ergreifen.
Die Opposition wirft Modi Kumpanei vor
Für den Oppositionsführer Rahul Gandhi ist der Fall klar: Die Aufsichtsbehörden hätten Anweisungen, nichts gegen die Adani Group zu unternehmen. Insbesondere die Sebi-Chefin Madhabi Puri Buch sei nicht unparteiisch, da sie selbst mit der Adani Group finanziell verbunden sei. Gandhis Partei hat seither den Vorwurf des «crony capitalism» zu einem zentralen Element im Wahlkampf gegen Modi gemacht.
Allerdings ist der gegenwärtige Korruptionsskandal auch für die Opposition brisant. Denn laut der New Yorker Staatsanwaltschaft ging der Löwenanteil der Bestechungsgelder 2021 an einen ungenannten Beamten im südindischen Teilstaat Andhra Pradesh, der damals von einer Partei des Oppositionsbündnisses regiert wurde. Die Medien mutmassen nun, dass der damalige Chief Minister Jaganmohan Reddy von der YSR Congress Party der Empfänger war.
Ganz überraschen würde das nicht: Adani hat stets nicht nur zu Modi gute Beziehungen gepflegt, sondern auch zu den Regionalregierungen – egal, von welcher Partei diese geführt wurden. Als Modi 2014 zur Amtseinführung nach Delhi reiste, stellte Adani ihm dafür ein Privatflugzeug zur Verfügung. Und auch Reddy soll eine Maschine des Milliardärs benutzt haben. Zwar präsentiert sich Adani gerne als Patriot, der zum grösseren Nutzen Indiens arbeitet – am Ende geht es dem Tycoon aber nicht um Politik, sondern vor allem ums Geschäft.
Wie es nun weitergeht, ist offen. Rahul Gandhi fordert lautstark die Festnahme Adanis und dringt darauf, endlich eine glaubwürdige Untersuchung zu seinen Geschäftspraktiken zu starten. An den Börsen sind die Kurse von Adanis Firmen seit der Verkündung der Korruptionsklage in New York eingebrochen. Mehr noch als nach der Publikation des Hindenburg-Berichts stellt sich die Frage, wie tragfähig Adanis Schuldenlast ist. Die indische Regierung hält sich derweil bedeckt. Modi will den Eindruck der Kumpanei vermeiden. Nichts deutet aber bis jetzt darauf hin, dass er seinen Freund fallenlassen wird.