Zu links, zu aktivistisch, zu staatsnah? Die Diskussionen über den Auftrag der Öffentlichrechtlichen sind geprägt davon, wofür sie heute stehen. Viel relevanter wäre es, zu klären, was sie sein sollten.
Einmal News-Junkie, immer News-Junkie. Das zumindest scheint das Ergebnis einer Umfrage zu behaupten, die das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (FÖG) der Universität Zürich in Auftrag gegeben hat. Die eifrigsten Konsumenten von öffentlichrechtlichen Inhalten sollen gleichzeitig jene sein, die am ehesten bereit sind, für Inhalte von privaten Medienverlagen zu zahlen. Die Ergebnisse kommen nicht überraschend. Das FÖG sieht seit Jahren seine Existenzberechtigung darin, den aktuellen Auftrag der öffentlichrechtlichen Medien zu verteidigen.
Es ist selbstverständlich spannend, die Auswirkungen von gebührenfinanziertem Journalismus auf den hart umkämpften Markt für zahlende Online-Abonnenten genauer zu betrachten. Dazu gibt es bis jetzt nur wenige Studien, deren Ergebnisse teilweise stark auseinandergehen.
Öffentlichrechtliche Medien fördern Gratiskultur
Interessante Einsichten kommen etwa aus Skandinavien, wo offenbar ebenfalls ein positiver Effekt beobachtet wird: Starke öffentlichrechtliche Medien scheinen hier die Bereitschaft zu fördern, für private Angebote zu zahlen. In Deutschland hingegen gibt es Forscher, die zu dem Schluss kommen, dass die Zahlungsbereitschaft insbesondere von der «Gratismentalität» des Publikums geprägt werde, also der weitverbreiteten Einstellung, dass Informationen im Internet gratis verfügbar sind und sein sollten. Und zu dieser Haltung trügen öffentlichrechtliche Medien einen massgebenden Teil bei. In Österreich wiederum haben Wissenschafter in einer umfassenden Untersuchung hochgerechnet, dass ohne öffentlichrechtliche Sender lediglich maximal 20 000 Abos für private Anbieter realistisch wären. Im Markt insgesamt – nicht für einzelne Titel.
Aber wie aussagekräftig sind diese Analysen wirklich? Und wie repräsentativ sind sie für den Schweizer Markt?
Ein Blick auf die eingangs erwähnte Untersuchung des FÖG zeigt neben dem angeblich harmonischen Nebeneinander von kostenpflichtigen und gebührenfinanzierten Inhalten folgende interessante Erkenntnis: Das Schweizer Radio und Fernsehen erreicht online wöchentlich lediglich 28 Prozent der Schweizer Bevölkerung. Offline – mit dem TV-Programm und den Radiosendern – sind es satte 40 Prozentpunkte mehr. Das digitale Angebot mit seinen diversen mehrsprachigen Nachrichtenportalen, Dutzenden Podcasts und Social-Media-Kanälen bleibt von der Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer also offenbar weitgehend nicht bemerkt und nicht genutzt. Zumindest wenn der Hochrechnung der 2000 online befragten Personen geglaubt werden kann.
Die Frage vieler Verleger bleibt
Deshalb bleibt auch nach der jüngsten FÖG-Studie die Frage vieler in der Schweizer Medienlandschaft bestehen: Wie viele Online-Nutzer verlören die Privaten an die SRG, wenn diese ihr digitales Repertoire weiter ausbauen dürfte?
Doch ist das wirklich die zentrale Frage, die sich die Medienbranche stellen sollte? Sollte sich die Diskussion nicht viel eher darum drehen, wie der Auftrag der Öffentlichrechtlichen im 21. Jahrhundert lauten sollte?
Damals, bei der Gründung der SRG im Jahr 1931, ging es darum, «die immer stärkere Besetzung des für den Rundspruch reservierten Wellenbandes durch starke ausländische Sender» einzudämmen. So steht es im allerersten SRF-Geschäftsbericht. Und weiter: «Die neue Organisation muss ein entschiedener Schritt vom lokalen Radiobetrieb zum grosszügigen schweizerischen Rundspruch sein, der mit den anderen Ländern zum mindesten konkurrieren kann.»
Heute wird um Internet-Bandbreite gekämpft
Es gibt deutliche Parallelen zur gegenwärtigen Situation in der Medienbranche. Die technologische Entwicklung hat sich zwar grundlegend verändert. Sie ermöglicht es heute praktisch jedem, Inhalte zu erstellen und zu verbreiten – und das mit geringeren Kosten und einer grösseren Reichweite als je zuvor. Dennoch dreht sich auch heute alles darum, wer wie viel Bandbreite beansprucht. Nur wird jetzt statt um Radio-Bandbreite um Internet-Bandbreite gekämpft. Und im Mittelpunkt stehen nicht mehr Radiosender anderer Nationen, sondern Grosskonzerne wie Alphabet mit der Suchmaschine Google, soziale Netzwerke wie X, Tiktok oder Linkedin und bald wohl auch KI-Anbieter Open AI mit dem Chatbot Chat-GPT. Diese Anbieter spielen heutzutage eine weitaus wichtigere Rolle bei der Verbreitung von Nachrichten als viele Medien.
Die lokalen und regionalen Zeitungen leiden am meisten darunter. Es gibt zwar eine Handvoll positive Beispiele: die «Jungfrau-Zeitung», das «Bieler Tagblatt» oder den «Walliser Boten» etwa, die heute erfolgreiche digitale Lokalzeitungen herausgeben. Doch an den allermeisten Orten ist der Rückzug der klassischen Medien aus ländlichen und strukturschwachen Regionen zu beobachten. Während in urbanen Zentren ein Überangebot an Medien herrscht, sind viele ländliche Gebiete medial unterversorgt. Lokale Zeitungen werden eingestellt, und mit ihnen schwindet die Möglichkeit, regionale Geschichten und Perspektiven abzubilden.
Die Rolle der SRG im Lokalen
Genau hier könnte die SRG eine zentrale Rolle spielen. Statt sich auf die Produktion von Inhalten zu konzentrieren, die auch von privaten Anbietern abgedeckt werden können, sollte die SRG ihren Fokus noch stärker auf den Lokaljournalismus legen. Ziel muss es sein, nichts mehr in die nationalen Titel wie srf.ch oder rts.ch zu buttern. Es gilt, die Mittel umzulagern. Jene Regionen müssen gestärkt werden, die medial abgehängt werden. Das könnte nicht nur die Vielfalt im nationalen Diskurs fördern, sondern auch die Bindung der Bürger an ihre lokalen Gemeinschaften stärken.
Neben der inhaltlichen Neuausrichtung sollte mit den Geldern, die der SRG heute zur Verfügung stehen, eine weitere Baustelle angegangen werden: die digitale Infrastruktur. Während grosse Verlage und Medienhäuser in urbanen Zentren in modernste Technologien investieren, kämpfen kleinere Anbieter in Randregionen oft mit unzureichender digitaler Infrastruktur. Hier könnte die SRG ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, indem sie Investitionen in digitale redaktionelle Technologien fördert, die es auch kleinen Akteuren ermöglichen, konkurrenzfähig zu bleiben. Ein digital starker öffentlichrechtlicher Akteur mit Fokus aufs Lokale könnte als Partner fungieren, um kleinere Anbieter in technischen und logistischen Fragen zu unterstützen.
Lokaljournalismus-Vorbild in Norwegen
Wie wichtig eine fundierte digitale Infrastruktur für den Lokaljournalismus ist und welche Erfolge er erzielen kann, zeigt etwa ein Blick nach Norwegen. So hat der Verlag Amedia mit über 100 lokalen Zeitungen, die heute über 1100 Journalisten beschäftigen, schon um die Jahrtausendwende begonnen, Millionenbeträge in digitale Technologien zu investieren. Das Unternehmen entwickelte damit eine zentrale digitale Plattform, die es heute ermöglicht, Daten zu sammeln und das Nutzerverhalten zu analysieren. Diese Daten helfen dabei, Inhalte präzise auf die Interessen der Leser zuzuschneiden. Der eigentliche journalistische Inhalt hingegen entsteht dabei in den lokalen, unabhängig geführten Redaktionen.
Heute zählt Amedia über 700 000 zahlende Online-Abonnenten. Für ein Land wie Norwegen mit lediglich 5,5 Millionen Einwohnern eine beeindruckende Zahl und der lebende Beweis, dass Leser bereit sind, für hochwertigen, relevanten Lokaljournalismus zu zahlen. Wenn er richtig gemacht wird.
Letztlich liegt es in der Verantwortung der Schweizer Politik und der hiesigen Medienbranche, endlich die Diskussion darüber anzustossen, was der Auftrag der Öffentlichrechtlichen künftig sein soll. Dazu gehört die Bereitschaft, alte Strukturen zu hinterfragen und den Auftrag so zu gestalten, dass er den neuen Realitäten der Medienwelt gerecht wird. Diese Realität ist heute digital. Und wenn der Journalismus wirklich digital produziert wird, dann bleibt der Journalismus auch unternehmerisch interessant und unabhängig – auch im Lokalen.