Der Prozess gegen die zigfache Vergewaltigung von Gisèle Pelicot hat Frankreich erschüttert. Ihr Ex-Mann könnte nun für den Rest seines Lebens hinter Gittern verschwinden.
Im Vergewaltigungsprozess von Avignon hat die Staatsanwaltschaft wie erwartet die Höchststrafe von 20 Jahren Haft für den Hauptangeklagten Dominique Pelicot gefordert. «20 Jahre, das ist einerseits viel, denn es sind 20 Jahre eines Lebens, egal wie alt man ist», sagte die Staatsanwältin Laure Chabaud am Montag in ihrem Schlussplädoyer. «Andererseits ist es noch zu wenig angesichts der Schwere der Taten.»
Vermutlich noch weitere Täter auf freiem Fuss
Pelicot hatte vor Gericht gestanden, seine Ex-Frau Gisèle Pelicot fast zehn Jahre lang regelmässig mit Medikamenten sediert und teils allein, teils mit fremden Männern vergewaltigt zu haben. Für diese Verbrechen trage er die volle Verantwortung, sagte Chabaud. Seine Suche nach Befriedigung sei mit dem Willen einhergegangen, «seine Frau zu unterwerfen und durch Worte und Taten den Menschen zu demütigen, der ihm am meisten bedeutete».
Dominique Pelicot reagierte nach Aussage seiner Anwältin Béatrice Zavarro «niedergeschlagen» auf den Antrag. Es sei für einen Mann nie leicht zu hören, dass er für 20 Jahre im Gefängnis verschwinden solle, sagte Zavarro am Rande des Prozesses. Sollte ihn das Gericht Mitte Dezember tatsächlich zur Höchststrafe verurteilen, käme der 72-Jährige frühestens 2037 frei, wenn er zwei Drittel der Strafe abgesessen hätte und falls er dann noch leben würde. Aber realistisch ist die Aussicht auf Bewährung nicht.
Neben dem Hauptangeklagten mussten sich in den vergangenen elf Wochen 50 weitere Männer vor dem Strafgericht in Avignon verantworten. Pelicot hatte sie über ein Internetforum kontaktiert und in sein Haus im südfranzösischen Dorf Mazan eingeladen. Bei den Vergewaltigungen filmte er mit und dokumentierte die Taten danach akribisch. So wurde ein Grossteil der Täter später überführt. Die Ermittler gehen allerdings von einem guten Dutzend weiterer Täter aus, die bisher nicht identifiziert werden konnten.
Welches Strafmass müssen die Mitangeklagten fürchten, die zwischen 26 und 72 Jahre alt sind und aus allen sozialen Schichten stammen? Die Staatsanwaltschaft kündigte an, sich bis Mittwoch Zeit zu nehmen, um für jeden Einzelnen einen Strafantrag zu stellen. Dabei dürfte sie zum einen unterscheiden zwischen Tätern, die den Tatort in Mazan nur einmal aufsuchten, und solchen, die sich wiederholt an Gisèle Pelicot vergingen. Zehn Männer gehören zur zweiten Kategorie, auch ihnen droht die Höchststrafe. Eine Rolle spielt auch, ob die Angeklagten vor Gericht glaubhaft nachweisen konnten, von Dominique Pelicot «manipuliert» worden zu sein.
Etliche Männer hatten behauptet, dass ihr Urteilsvermögen während der Ereignisse beeinträchtigt gewesen sei. 35 Angeklagte bestritten trotz dem belastenden Videomaterial, sich überhaupt an einer Vergewaltigung beteiligt zu haben. Einige gaben an, dass sie glaubten, an einem freizügigen «Spiel» des Ehepaars teilgenommen zu haben, bei dem sich die Frau nur schlafend stellte.
Grundsätzliches Übel
Für viele Beobachter waren es ebensolche Ausflüchte der Täter, die in dem Fall ein gesellschaftliches Grundübel im Umgang mit sexueller Gewalt blosslegten. Gisèle Pelicot hatte ihre Peiniger zum Prozessende hin als Feiglinge bezeichnet und ihnen ein frauenverachtendes Weltbild vorgeworfen. «Wenn Sie in ein Schlafzimmer gehen und einen reglosen Körper sehen, wann entscheiden Sie sich, nicht zu reagieren? Warum sind Sie nicht sofort gegangen, um es der Polizei zu melden?», sagte sie den Männern ins Gesicht.
Viele französische Medien berichteten am Montag live über den Antrag der Staatsanwaltschaft. Längst ist aus Gisèle Pelicot eine Symbolfigur geworden. Am Sonntag demonstrierten Tausende in Paris und anderen Städten aus Solidarität mit ihr und gegen sexuelle Gewalt. Und mittlerweile hat auch die Politik auf die «Schockwelle» des Mazan-Prozesses reagiert.
So kündigte Frankreichs konservativer Premierminister Michel Barnier an, die Rechte von Missbrauchsopfern zu stärken. Demnach sollen Frauen nach einer Vergewaltigung künftig direkt im Spital und nicht erst bei der Polizei Anzeige erstatten dürfen. Auch soll die Nothilfe für Frauen, die den Haushalt wegen eines gewalttätigen Mannes verlassen haben, von 13 auf 20 Millionen Euro aufgestockt werden.