Die zweite Partie endet Remis, womit der chinesische Titelverteidiger Ding Liren 1,5:0,5 in Führung liegt. Das erste Spiel hatte der Favorit und Herausforderer Gukesh mit den weissen Steinen verloren.
(sda/dpa) Gukesh blieb nach der überraschenden Niederlage am Montag äusserlich ruhig. Er sei anfangs etwas nervös gewesen, räumt der Herausforderer ein. Und später habe er auch noch «eine Art Schnitzer» gemacht. Aber das auf maximal 14 Spiele angesetzte Duell dauere noch lange. «Ich werde meinen Plan nicht ändern», sagte der Teenager, der als Favorit zum WM-Duell nach Singapur gereist war.
Gukesh wirkt selbstbewusst, dabei liegt eine riesengrosse Last auf ihm. Millionen indischer Schach-Fans hoffen, dass ihr junger Landsmann in die Fussstapfen des grossen Viswanathan Anand tritt. Vichy, wie er in der Schachwelt liebevoll genannt wird, war nicht nur Indiens erster und bisher einziger Weltmeister in dem Denksport. Mit seinen Erfolgen verursachte er im bevölkerungsreichsten Land eine grosse Schachbegeisterung, die bis heute anhält. Gukesh gehört zur Generation junger Talente, die auch «Vichys Kinder» genannt werden.
Schachbegeistertes Indien
Gukesh hat es in der Phalanx der indischen Grossmeister fast ganz nach oben geschafft. Jetzt fehlt ihm nur noch der Triumph in Singapur. Die Erwartungen schürt er selbst sogar noch. «Mein Land zu repräsentieren und die Hoffnung der Inder zu tragen, ist etwas, das ich sehr ernst nehme», sagte er zum WM-Auftakt. Gegen den 32-jährigen Titelverteidiger Ding tritt er als jüngster Herausforderer in der 138-jährigen Geschichte der Schach-Weltmeisterschaften an. Kommentatoren sprechen von einem Kampf der Generationen.
Insbesondere aus Indien rücken immer mehr jüngere Spieler in immer kürzeren Zeitabständen in die Weltspitze vor. Allein in den Top Ten des Schachweltverbands Fide stehen im November 2024 gleich drei indische Spieler, unter ihnen Altmeister Anand auf Platz 10. Gukesh ist Fünfter, Landsmann Arjun Erigaisi rangiert sogar noch einen Platz davor.
Die Zahlen sprechen für sich: Bis 1999 habe Indien nur drei Schach-Grossmeister gehabt, rechnete die Zeitung «India Today» nach. Seitdem habe das Land mehr als 80 hervorgebracht. Ein Grund für diese Entwicklung wird neben dem internationalen Online-Schachboom auch darin gesehen, dass zahlreiche Grossmeister wie Anand ihre eigenen Schachschulen gegründet haben, nach Talenten Ausschau halten und sie trainieren.
Im Frühsommer in Hochform
Den Final von Singapur aber erreichte Gukesh dank dem Sieg beim WM-Kandidatenturnier, bei dem die Weltnummer 1 Magnus Carslen erneut nicht mitmachte. Gukesh liess im April in Kanada namhafte Gegner wie Jan Nepomnjaschtschi aus Russland hinter sich. Die Schach-Ikone Garri Kasparow, der 1985 mit 22 Jahren der damals jüngste Weltmeister der Schachgeschichte war, sprach bildhaft von einem «indischen Erdbeben in Toronto».
Seine Erfolge setzte Gukesh an der Schacholympiade 2024 in Budapest fort, an der er Mannschafts-Gold mit dem indischen Team errang. In das Duell gegen Ding Liren, der nach seinem WM-Sieg im vergangenen Jahr infolge psychischer Probleme eine Schwächephase hatte und in diesem Jahr keine klassische Schachpartie gewann, ging Gukesh deshalb als klarer Favorit.
Doch nun stellt sich die Frage, ob Gukesh dem Druck standhält. In der zweiten Partie vom Dienstag konnte er mit den schwarzen Figuren Ding nie in Schwierigkeiten bringen. Der Chinese seinerseits stand gemäss Computer-Berechnungen minim besser, er wollte aber kein Risiko eingehen. Er führt 1,5:0,5 und der Gegner Gukesh wird in den kommenden zwölf Partien genötigt sein, die Offensive zu suchen. Das eröffnet Kontermöglichkeiten und verspricht Spannung.