Die Grasshoppers holen im Derby gegen den FCZ zwar einen Punkt. Doch die Bilanz bleibt mager. Die Besitzer vom Los Angeles FC schaffen es nicht, ihr Versprechen einzulösen. Was ist los beim Rekordmeister?
Es ist eine trübe Sturmnacht im Januar, als die helle Zukunft des Schweizer Fussballrekordmeisters Grasshopper-Club Zürich beginnen soll. Vor dem Bootshaus der GC-Rudersektion klatschen dunkle Wellen an den Steg, während im altehrwürdigen Klublokal die Abgesandten der neuen GC-Eigentümer aus Los Angeles die helle Kerze der Zuversicht anzünden.
Larry Freedman schwärmt von GC als «ikonischer Marke». Freedman hat den Besitzer-Klub Los Angeles FC mitgegründet und aufgebaut. Neben ihm sitzt Stacy Johns, die künftige GC-Präsidentin, und hilft mit heiterem Charme, Aufbruchsstimmung zu verbreiten. Man sei gekommen, um den Klub wieder zum Leben zu erwecken, lautet einer der Sätze von ihr. «Wir werden investieren, um Spiele zu gewinnen» ein anderer.
Seither sind zehn Monate vergangen. Statt Spiele zu gewinnen, hat GC vor allem Spiele verloren. Die Mannschaft ist Ende Mai knapp dem Abstieg entronnen und hat jetzt im November so wenig Punkte auf dem Konto wie noch nie: Nach 15 Runden sind es bereits sieben Zähler weniger als in der Abstiegssaison 2018. Nun taumelt GC wieder am Abgrund zur Challenge League.
Die Legende vom noblen Mass aller Dinge
Der Grasshopper-Club trägt schon seit Jahrzehnten die Legende vor sich her, das noble Mass aller Dinge im Schweizer Fussballsport gewesen zu sein. Es ist eine Legende, die zur immer grösseren Verlockung geworden ist, je weniger sie mit der Gegenwart zu tun hatte. Dieser Verlockung sind spätestens seit dem letzten Meistertitel 2003 viele Geldgeber, Besitzer, Präsidenten und Investoren erlegen. Die meisten haben für die Verlockung viel Geld bezahlt. Dann sind sie wieder gegangen. Sind die Besitzer aus Los Angeles die Nächsten, die schon bald wieder enttäuscht «goodbye» sagen?
Es gibt Leute, die genau das behaupten. Diese Leute wollen ihre Namen keinesfalls in der Zeitung lesen, sie bewegen sich in den Kreisen von Politik, Wirtschaft und Medien. Die einen haben mehr, die anderen weniger Einfluss, Geld und Verbindungen. In den Gönner- und Herrenklubs ist das Wohlergehen der Grasshoppers nach wie vor ein ergiebiges Smalltalk-Thema unter Männern mit «blau-weissem Herzen». Geht es GC schlecht, reden sie bald einmal über Möglichkeiten, den Klub zu übernehmen, wenn der Moment günstig ist.
So einfach ist das natürlich nicht. Es gibt Verträge mit Klauseln, es geht um Aktien und Minderheitsbeteiligungen, um Geld. Das ist kompliziert. Einfacher ist es, über nichtsnutzige Spieler zu lästern. Oder über das Derbyshirt zu diskutieren, ob es eher nach Kindergeburtstag oder Street Parade in der Agglo aussehe, aber ganz sicher nicht nach GC. Wenigstens kümmern sich die Amerikaner darum, wie GC nach aussen wirken könnte, und wagen etwas. Nicht nur in Bezug auf die Trikots.
Sie haben die GC-Hymne abgeschafft, der Gummi-Heugümper ist aus dem Stadion verbannt, stattdessen scheppert elektronische Musik. Der Speaker soll weniger schreien bei den Durchsagen. Es sind viele kleine Dinge, die Aufbruchsstimmung erzeugen möchten. Ab nächstem Januar bezieht die Geschäftsstelle an der Schifflände in der Zürcher Innenstadt neue Räumlichkeiten. Es gibt einen Fan-Talk, wo die Anhänger ihr Herz ausschütten dürfen. Hinter dem Stadion könnten sich Kinder in der Hüpfburg der GC-Handballer vergnügen. Unter dem Dach der Gegentribüne hängt eine Banderole mit der Aufschrift «Grasshopper-Club Zürich», damit alle im Letzigrund wissen, wer gerade spielt. Das sind hübsche Versuche. Gebracht haben sie wenig.
Weder mehr Publikum noch einen Trikot- oder andere Sponsoren und schon gar nicht mehr Einnahmen. Die Amerikaner dürfen hoffen, dass im ersten GC-Jahr das Betriebsdefizit nicht 20 Millionen Franken übersteigt. Man wolle Gespräche führen, zuhören, lernen, mit der «GC-Community» reden, hatte Stacy Johns schon im Januar angekündigt. Unterdessen ist klar: Was vielleicht in Los Angeles funktioniert mit der Inszenierung eines Fussballspiels als Event, stösst in der Schweiz und insbesondere in Zürich auf wenig Widerhall. Als man die Teams beim Einlaufen durch ein Spalier mit Vulkanen schicken wollte, musste man erklären, dass es in der Schweiz eine Pyro-Problematik gibt.
Nicht nur die in den USA unbekannte Gewaltproblematik mit der Strassenrivalität zum FCZ haben die GC-Besitzer unterschätzt. Auch die Stadionfrage lässt sich nicht lösen wie in Los Angeles, wo der LAFC vom Bauplan bis zur Einweihung der Arena 2018 drei Jahre brauchte. In Zürich wurden vor 21 Jahren die ersten Pläne für ein neues Hardturmstadion gezeichnet, gebaut ist nichts. In frühestens 6 Jahren könnte das Stadion stehen, falls es überhaupt so weit kommt. Unterschätzt haben die Amerikaner aber vor allem das Wichtigste: den Fussball.
Die Sportverantwortlichen sind ohne Plan und Konzept
Die von den Amerikanern eingesetzten deutschen Statthalter – der LAFC-Europachef Harald Gärtner und der Sportchef Stephan Schwarz – sind bis jetzt den Nachweis schuldig geblieben, die Mannschaft zu stabilisieren und einem zukunftsfähigen Plan zu folgen. So brauchte Gärtner zwei Monate für den Entscheid, den Sportchef Bernt Haas mit Schwarz zu ersetzen. Dann dauerte es wieder ein paar Wochen, um den Trainer Bruno Berner zu entlassen. Als Berners Nachfolger Marco Schällibaum vor knapp drei Wochen gehen musste, gab es wieder keinen erkennbaren Plan. Jetzt ist ein 51-jähriger Deutscher GC-Trainer, nach anderthalb Jahren ohne Klub und mit Erfahrung aus der 2. Bundesliga.
Auch bei den Spielertransfers ist nur zu erahnen, wohin die Reise gehen könnte. Ein Sonny Kittel oder ein Benno Schmitz wurden als Bundesliga-Cracks gepriesen, sie entpuppen sich bis jetzt als Durchschnittsspieler wie so viele andere vor ihnen. Das gilt auch für Zuzüge wie Tomas Lupi oder Mathieu Choinière aus dem sagenhaften Netzwerk des LAFC mit der Kooperation zum FC Bayern München. Young Joon Lee und Nikolas Muci sind junge Stürmer, die für ihre Entwicklung erfahrene Spieler in der Nähe brauchen würden. Offen ist, was mit den 24 auslaufenden Spielerverträgen passiert.
Getragen wird die Mannschaft von Spielern, die schon in den bleiernen Jahren unter chinesischem Besitz gekommen sind: Goalie Justin Hammel, Captain Amir Abrashi, Tsiy Ndenge, Giotto Morandi, wenn er gute Laune hat, vielleicht noch Ayumu Seko oder Kristers Tobers. Die Frage im Winter muss deshalb lauten, ob die Amerikaner vom LAFC bereit sind, ihr Versprechen aus der trüben Sturmnacht im Januar umzusetzen: «Wir werden investieren, um Spiele zu gewinnen.» Tun sie das, erwacht der Klub ganz von allein zu neuem Leben. Wenn nicht, bleibt immer noch die alte Legende vom noblen Mass aller Dinge im Schweizer Fussball.
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