Was die Staatsangestellten nicht wussten: Der Mann, mit dem sie es zu tun hatten, ist Tessiner.
Luca Ferrara ist ein Unternehmer. Er hat eine Firma aufgebaut, die sich auf die Vermittlung von Führungskräften spezialisiert hat – CEO, Verwaltungsräte, Verwaltungsratspräsidenten. Sechs Leute beschäftigt Ferrara, der eigentlich anders heisst, mittlerweile. Er tritt gewandt auf, ist elegant gekleidet, trägt Dreitagebart und spricht ein akzentfreies Englisch.
Man könnte ihn ohne weiteres für einen Expat halten. Genau dies ist dem gebürtigen Tessiner im Umgang mit einem Betreibungsamt der Stadt Zürich passiert. Mit ungeahnten Folgen.
Der Kontakt endete mit ausländerfeindlichen Ausfälligkeiten der Beamten. Die meisten Äusserungen erfolgten mündlich. Doch es gibt auch schriftliche Äusserungen in E-Mails. Sie vermitteln ein Bild, das seine Schilderungen glaubhaft erscheinen lässt.
Der Kick an die Wohnungstüre
Am Ursprung des Konflikts steht eine Meinungsverschiedenheit zwischen Ferrara und seiner Krankenkasse, die auch Unfallversicherungen anbietet. Streitpunkt sind die Prämien für die obligatorische Versicherung der Berufsunfälle und Berufskrankheiten eines Mitarbeiters. Ferrara trägt diese als Arbeitgeber.
Er ist der Auffassung, die Krankenkasse habe bei seinem Mitarbeiter eine zu hohe Prämie verrechnet. Es dauert Wochen, bis diese den Fall klären kann. In der Zwischenzeit macht er unliebsame Bekanntschaft mit dem Betreibungsamt.
Ferrara erzählt die Geschichte so: Anfang Oktober 2023 klopft es an der Wohnungstüre. Ein Betreibungsbeamter steht im Treppenhaus. Als Ferrara nicht gleich öffnet, beginnt der Mann heftig gegen die Türe zu hämmern und zu kicken.
Die Putzfrau, die zugegen ist, weint, weil sie verängstigt ist. Schliesslich öffnet Ferrara die Türe. Der Betreibungsbeamte wirft ihm einen Brief vor die Füsse und marschiert davon, ohne ein Wort zu sagen.
Anfang November ruft Ferrara auf dem Betreibungsamt an. Er erhofft sich eine Erklärung für das Verhalten des Zustellbeamten. Als er mit einem Pfändungsbeamten sprechen kann, beharrt dieser darauf, mit ihm auf Deutsch zu sprechen. Ferrara wundert sich, denn in den Gesprächen zuvor hatte der Mann mit ihm Englisch gesprochen.
Unvermittelt leitet der Mitarbeiter gemäss Ferraras Schilderung das Telefonat an eine Kollegin weiter. Und bald bemerkt Ferrara, dass er von ihr auf den Lautsprecher geschaltet wird. Er sagt, er habe im Hintergrund Geschrei und höhnisches Gelächter gehört. Dann habe sie das Gespräch abrupt beendet.
Später schreibt der Pfändungsbeamte eine E-Mail an Ferrara. Diese liegt der NZZ vor. «Hallo» heisst es da statt einer förmlichen Anrede. Und dann: «Sie sind Gast in der Schweiz, ich muss mich Ihnen nicht anpassen!»
Der Pfändungsbeamte weist Ferrara auch noch auf die Rechtsmittelbelehrung hin, die er schriftlich erhalten habe. «Ich rate Ihnen, die mal durchzulesen, bevor Sie erzählen, was erlaubt ist und was nicht!»
Ein paar Tage später ruft Ferrara erneut beim Betreibungsamt an, erneut will er die Angelegenheit klären. Nun spricht er mit dem Amtsvorsteher. Doch Klärung gibt es keine. Im Gegenteil.
Der Amtsvorsteher – so schildert es Ferrara – stellt seine Kompetenz als CEO infrage. Er sei offensichtlich unfähig, Rechnungen zu bezahlen. Drei Mal wiederholt der Mann, dass Ferrara zurück in sein Heimatland gehen solle. Einmal habe er gesagt: in Ihr «Scheissland». Ferrara ist perplex. Er ist schliesslich Schweizer.
Der Amtsvorsteher habe Ferrara weiter in Aussicht gestellt, dass er nun Kenntnis von seinem Unternehmen habe und dass sein Leben fortan nicht mehr einfach sein werde.
Die Frage, ob er im Gespräch ebenfalls ausfällig geworden sei, verneint Ferrara klar.
«Den Hausmärchen der Gebrüder Grimm entnommen»
Was er die ganze Zeit über klären will, ist die Frage, weshalb ihm vom Konto direkt 1600 Franken abgezogen worden waren – zumal es bei der Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und der Krankenkasse um einen kleineren Betrag ging. Eine Antwort erhält er vom Betreibungsamt nicht.
Von der Krankenkasse erfährt er, dass die in solchen Fällen übliche Konkursandrohung sistiert sei bis zur Klärung des Falles. Dies bestätigt die Krankenkasse auch auf Anfrage der NZZ. Und: Der Abzug von 1600 Franken stehe nicht in Zusammenhang mit dem Betreibungsverfahren. Die genauen Umstände des Vorgangs lassen sich nicht klären. Das Betreibungsamt gibt dazu keine Auskunft.
Ende November 2023 endet die Geschichte fürs Erste. Das Betreibungsamt schreibt Ferrara in einer kurzen E-Mail, die Krankenkasse habe die Betreibung gelöscht. Die 1600 Franken werden ihm zurücküberwiesen.
Ferrara hat zwar sein Geld zurückerhalten. Doch die Verunglimpfungen will er nicht auf sich sitzen lassen.
Ferrara sagt, er habe Respekt vor Staatsangestellten. Sein Vater sei im Tessin bis zu seiner Pension kantonaler Angestellter gewesen. Umso mehr sei er über den respektlosen Umgang der Betreibungsbeamten erschrocken.
Er will juristische Schritte ergreifen, doch beim Bezirksgericht Zürich erfährt er, dass die Frist für eine betreibungsrechtliche Beschwerde bereits abgelaufen ist. Sie beträgt lediglich zehn Tage.
Beim betreffenden Stadtzürcher Betreibungsamt will man von der Geschichte nichts wissen. Der Amtsvorsteher schreibt der NZZ, er bestreite die Vorwürfe aufs Schärfste. «Eine Rekonstruktion unsererseits ist schwierig, denn wir mögen uns beim besten Willen nicht an solche ‹Vorkommnisse› erinnern. Die von Ihnen erwähnte Geschichte scheint den Hausmärchen der Gebrüder Grimm entnommen zu sein.»
Er schreibt, die Regeln seien klar. Die Zustellung eines Zahlungsbefehls könne nicht verweigert werden. Die Amtssprache im Kanton Zürich sei Deutsch. Und zur Sicherung von Vermögen der Schuldnerschaft könne das Betreibungsamt Sicherungsmassnahmen ergreifen und beispielsweise ein Bankkonto sperren. «Es ist selbstredend, dass gewisse Schuldnerinnen und Schuldner – weil sie sehr renitent sein können – unsere Handlungsweisen als hart empfinden können.»
Auf die E-Mail seines Mitarbeiters, in der steht, Ferrara sei Gast in der Schweiz, geht der Vorsteher nicht ein.
Entschuldigende Worte von der Stadt
Ferrara wendet sich an die Stadt, der die administrative Aufsicht über die Betreibungsämter obliegt. Pius Landolt, Leiter zentrale Dienste im Präsidialdepartement von Corine Mauch (SP), schreibt ihm: «Das von Ihnen beschriebene Gespräch entspricht in keiner Weise unseren Standards, und ich möchte mich dafür entschuldigen. Danke, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben.»
Eine interne Rückmeldung ans Betreibungsamt macht Landolt jedoch nicht. Dies sei so nicht vorgesehen, heisst es auf Anfrage bei der Stadt.
Einige der Beschwerden gegen Betreibungsämter landen bei der städtischen Ombudsstelle. Im vergangenen Jahr waren es neun. Pierre Heusser, der städtische Ombudsmann, sagt, typischerweise gehe es um abschätziges Verhalten, vereinzelt auch um Rassismus oder die Angst, nun im Visier eines Betreibungsbeamten zu stehen.
Man müsse auch die andere Seite sehen. Betreibungsbeamten seien mit heftigen Reaktionen konfrontiert. Was nichts daran ändere, dass sie sich korrekt verhalten müssten.
Wenn sich Beschwerden über einen einzelnen Beamten häuften, gehe er direkt auf den Vorgesetzten oder die Vorgesetzte zu. Meistens aber könne man diese Fälle nicht klären, sondern lediglich zu vermitteln versuchen. Denn in der Regel stehe Aussage gegen Aussage.