Hinter dem Kürzel Granolas stecken europäische Vorzeigeunternehmen von Weltformat. Aber wie schaut es mit deren langfristigen Perspektiven aus? Und: Wie steht es um die Blue Chips? The Market geht diesen Fragen nach. Den Anfang macht der niederländische Chipzulieferer ASML.
Hinter der Bezeichnung Granolas steckt keine Backmischung, sondern es ist das Akronym aus elf europäischen Börsenschwergewichten, potenzielle Langfristinvestitionen. Ein Unternehmen aus dieser Auswahl ist ASML – eine Firma, die sich mithilfe von Spitzentechnologie ein Monopol geschaffen hat. Das Unternehmen stellt unter anderem Maschinen zur Chipherstellung her, und es ist gerade jetzt einen Blick wert.
Granolas, ein Kunstbegriff von Goldman Sachs
Geburtshelfer für den Begriff war die Investmentbank Goldman Sachs. Sie sah in den Unternehmen einen europäischen Gegenentwurf zu den grossen US-Techwerten. Hinter dem Akronym stehen AstraZeneca, ASML, GlaxoSmithKline (GSK), L’Oréal, LVMH, Nestlé, Novartis, Novo Nordisk, Roche, SAP und Sanofi. Kriterien bei der Auswahl im Jahr 2020 waren ein nachhaltiges Gewinnwachstum, eine geringe Volatilität, stabil hohe Margen und starke Bilanzen.
Bei der Suche nach einem europäischen Gegenpol zu den «Magnificent Seven» setzte Goldman Sachs nicht nur auf die Technologiebranche, sondern auf eine Mischung aus Gesundheitswesen, Basiskonsum und Technologie. Die Aktien der ausgewählten Unternehmen entwickelten sich seither unterschiedlich. Der deutsche Softwareriese SAP etwa wuchs stark, was die ungebrochene Dynamik des Cloud- und Softwaregeschäfts bei kräftig steigendem Gewinn und Cashflow zeigt. Der Nahrungsmittelhersteller Nestlé wiederum enttäuschte derart, dass CEO Mark Schneider im August vorzeitig gehen musste. Die neue Führung richtet den Fokus auf die Kernmarken.
Einige der unter dem Begriff Granolas zusammengefassten Unternehmen gehören zu den grossen Wertsteigerern an der Börse und sind wegen ihrer Geschäftsmodelle und ihrer Marktposition einen Blick wert – genau diese analysiert The Market. Das erscheint umso lohnender, als einige dieser Titel zuletzt erheblich an Wert verloren haben, wie der Luxusgüterhersteller LVMH oder das Kosmetikunternehmen L’Oréal.
Den Anfang macht ASML.
ASML: Monopol auf die Halbleiterzukunft
ASML liefert Druckmaschinen für die Chipherstellung, sogenannte Lithografiesysteme, und profitiert damit von einem grundlegenden Wandel: Weil die Welt digitaler wird, steigt die Nachfrage nach Halbleitern und sorgt für eine Bauteil-Bonanza. Die stetig kleineren und leistungsstärkeren Chips stecken in Smartphones, E-Autos und Unterhaltungselektronik, finden sich aber auch in den Rechenzentren für die Anwendung von künstlicher Intelligenz.
Das Beratungshaus McKinsey schreibt, dass der Umsatz mit den Chips schon 2030 die Schallmauer von 1 Bio. $ durchbrechen soll. Noch 2021 lag der Umsatz bei rund 600 Mrd. $.
Unersetzlich im Wachstumsmarkt
Um die Bonanza am Laufen zu halten, braucht es Maschinen von ASML. Sowohl einfachere Maschinen, die mit tiefem Ultraviolett (DUV) arbeiten, aber auch das Hochleistungssegment, das auf extremes Ultraviolett (EUV) setzt. Das Prinzip: Lichtstrahlen ätzen kleinste Strukturen auf Siliziumscheiben, die Wafer. Die wiederum sind Basis für Chips. Daumenregel: Je kürzer die Wellenlänge, desto feiner die erzielten Strukturen und desto kleinere Chips lassen sich daraus bauen – und damit kompaktere und leistungsstärkere Geräte. Gerade letztere Eigenschaft ist wichtig etwa für die Fortentwicklung von KI. Dank ASML ist es möglich, auf Siliziumplättchen von der Grösse eines Daumennagels mehr als 80 Mrd. Transistoren zu drucken. Die Lithografiemaschinen sind so komplex, dass ASML faktisch eine monopolistische Position innehat.
Das zeigt sich in den Geschäftszahlen. Der Umsatz verfünffachte sich zwischen 2013 und 2023 auf mehr als 27 Mrd. €. Der operative Gewinn auf Stufe Ebitda versechsfachte sich in derselben Periode gar auf 9,7 Mrd €. Die Ebitda-Marge lag damit fast immer über 30%.
Symbiotische Beziehung mit wenigen Kunden
ASMLs Position als Zulieferer hochkomplexer Maschinen bringt aber auch Risiken. Der Abnehmerkreis sei eine überschaubare Gruppe, sagt Thorsten Winkelmann in einem Interview mit The Market. Winkelmann ist CIO Europe and Global Growth Equities bei der US-Vermögensverwaltungsgesellschaft AllianceBernstein. «ASML kann quasi nicht ohne sie, aber diese Unternehmen können auch nicht ohne ASML.» Zu nennen sind Intel, TSMC, Samsung oder SK Hynix. Reduziert nur ein Kunde seine Bestellungen, schlägt sich das in den Unternehmenszahlen nieder, wie das dritte Quartal 2024 zeigte. Statt der erhofften rund 5 Mrd. € gingen nur Aufträge von gut 2,6 Mrd. € ein. Unter anderem, weil die Kunden mögliche Order vorerst zurückgestellt hatten.
2024 dürfte damit zu einem schwierigen Jahr für ASML werden. Von S&P Capital IQ erfasste Analysten rechnen mit einem Umsatz von etwas über 28 Mrd. €, das wäre nach Jahren zweistelligen Umsatzwachstums nur ein mageres Plus von 1,75%. Das Ebitda soll sogar leicht auf 8,9 Mrd. € sinken.
Dazu kommt ein politisches Risiko: Die USA wollen dem geopolitischen Rivalen China nicht die neueste Halbleitertechnik zukommen lassen. Dabei hat ASML bislang gut dorthin verkauft, zuletzt nurmehr Maschinen der älteren Generation. 2025 sollen noch immer rund 20% des Umsatzes in China erwirtschaftet werden.
Gute mittelfristige Aussichten
Bei der Fondsgesellschaft Comgest, mit dem Growth Europe Fund in ASML investiert, glaubt man an das langfristige Geschäftspotenzial des Unternehmens mit der neuesten Generation von EUV-Lithografieanlagen. Für Comgest-Fondsmanager Wolfgang Fickus ist wichtig, wie schnell Kunden wie TSMC auf die neueste Maschinengeneration umstellen.
Die Erholung sei da, sagte Finanzchef Roger Dassen, aber sie verlaufe gradueller als erwartet. Für 2025 rechnet das Unternehmen mit 30 Mrd. bis 35 Mrd. € Umsatz. Das deckt sich mit den Prognosen der Analysten. Für 2025 gehen sie von einem Umsatz von 32,3 Mrd. € aus, 2026 sollen es fast 40 Mrd. sein. Die Ebitda-Marge wiederum soll bis 2026 auf fast 39% steigen.
Für Finanzchef Dassen gibt es neben KI weitere Treiber, etwa die Energiewende oder die Elektrifizierung. Beides Anwendungsbereiche für die Technik aus dem Hause ASML. Eine Einschätzung, die Fondsmanager Winkelmann teilt: «Wenn ich davon überzeugt bin, dass immer mehr Rechenleistung auf immer kleinerem Raum benötigt wird, führt kein Weg an ASML vorbei.»
An der Börse hat das zuletzt unruhige Umfeld Folgen. Während die ASML-Aktien auf Fünfjahressicht mit einem Plus von gut 180% im Vergleich der Granolas vorn liegen, büssten sie seit dem 12. Juli, als die Titel ihren Höchststand verzeichneten, zeitweise 40% an Wert ein und liegen noch ein Drittel unter dem Jahreshöchststand von gut 1002 €. Kein Wunder, dass die Valoren mit Blick auf das Momentum, das The Market regelmässig untersucht, gegenwärtig durchfallen.
Trotz ambitionierter Ziele ist die Bewertung stark gesunken
Der Rücksetzer schlägt sich auch auf die Bewertung des Unternehmens nieder. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), gemessen am geschätzten Gewinn der kommenden zwölf Monate, lag noch im Januar – der Bewertungsgipfel des Jahres – bei 51. Inzwischen beträgt das KGV für das kommende Geschäftsjahr noch 27 und liegt damit unter dem langjährigen Schnitt. Es spricht einiges dafür, dass die Bewertung nun niedriger sein könnte als es angemessen wäre.
ASML ist nicht allein abgestraft worden. Bei Süss MicroTec, die ebenfalls Spezialmaschinen für die Chipfertigung herstellt, beträgt das Minus seit Anfang Juli 18%, der amerikanische Zulieferer Applied Materials verlor fast 25%. Nach dem Boom von Halbleitern und KI zeigten sich Investoren zuletzt ernüchtert.
Für Anleger ist die Frage entscheidend, ob es sich um einen gesunden Rücksetzer von allzu hohen Bewertungsniveaus handelt, während der Wachstumstrend ungebrochen ist. Oder ob eine spekulative Übertreibung vorausging, auf die meist eine lange Leidenszeit folgt. Falls ASML-Kunden in ihrer Euphorie viel mehr in neue Fertigungskapazitäten investiert haben sollten, als in den kommenden Jahren gebraucht wird, könnte die Erholung Monate oder Jahre auf sich warten lassen. So wie nach dem Dotcom-Crash: Telekommunikationsunternehmen litten jahrelang darunter, dass sie Glasfasernetze gebaut hatten, die dann lange Zeit nicht ausgelastet waren, obwohl sich das Internet durchsetzte.
ASML und andere Halbleiterausrüster rechnen derzeit nicht mit einer langen Flaute. Auf Besserung ab der zweiten Jahreshälfte 2025 hofft zum Beispiel der Halbleiterindustrieausrüster Aixtron. Dessen Kunden hatten im Elektroauto- und Leistungselektronikboom stark in neue Produktionsanlagen investiert. «Da war sicher eine spekulative Übertreibung. Aber 2026 ist alles verdaut», prognostiziert Investor-Relations-Manager Christian Ludwig. Die Endmärkte für Chips würden deutlich wachsen. Gerade bei Rechenzentren für KI-Anwendungen sei die Nachfrage stark.
Die Nachfrage für kleinere und leistungsstärkere Chips wird steigen. Die Hersteller werden in Produktionsanlagen investieren, ohne die Maschinen von ASML kommen sie dabei nicht aus. Freilich kann diese Nachfrage langsamer eintreffen als prognostiziert, etwa weil ASML-Kunden bestimmte Bestellungen erst einmal zurückstellen. Allerdings hat das Unternehmen am Ende des dritten Quartals einen beruhigenden Auftragsbestand von 36 Mrd. € eingeloggt. Das Fondshaus Pyfore Capital schreibt daher von «potenzieller kurzfristiger Volatilität», die Anleger im Auge behalten müssten. Auch China-Sanktionen könnten eine Herausforderung sein. Allerdings hat sich ASML daran gewöhnt, die modernste Technik ohnehin nicht nach China verkaufen zu können.
Kurz gesagt: ASML liefert das, was Granolas liefern sollen – langfristig gute Aussichten. Und das zu einem vergleichsweise günstigen Kurs.