Der deutschstämmige Präsident galt als Hoffnungsträger für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie im südosteuropäischen Land. Davon ist nichts geblieben.
Die Präsidentschaft von Klaus Iohannis endet mit einem Paukenschlag. Völlig überraschend hat der Ultranationalist Calin Georgescu die erste Runde der rumänischen Präsidentschaftswahl gewonnen.
Der charismatische Professor für Bodenkunde kritisiert den europäischen Binnenmarkt, will internationale Unternehmen enteignen und bewundert Wladimir Putin. Sollte Georgescu bei der Stichwahl am Sonntag zum Präsidenten des strategisch wichtigen EU- und Nato-Staats am Schwarzen Meer gewählt werden, hätte das Auswirkungen weit über das Land hinaus.
Nach einer Phase von innenpolitischer Stagnation und aussenpolitischer Verlässlichkeit steht Rumänien nun vor möglicherweise folgenschweren Umwälzungen. Selbst die in dreieinhalb Jahrzehnten nie hinterfragte Grundsäule der Westbindung scheint in Gefahr. Wie konnte das geschehen?
Enttäuschte Hoffnungen
Klaus Iohannis gilt in der öffentlichen Wahrnehmung als der schwächste Präsident seit dem Ende des Kommunismus. Das Urteil fällt auch deshalb so hart aus, weil dabei viel Enttäuschung mitschwingt.
Iohannis’ Wahl war 2014 mit grossen Hoffnungen verbunden. Der biedere Physiklehrer aus der kleinen deutschen Minderheit in Siebenbürgen galt als Stimme für die vielen Menschen, die sich ein demokratisch gefestigtes, im Westen verankertes Rumänien wünschten. Endlich jemand, der zu Hause als Vorbild taugt und auf der Weltbühne das Bild vom zurückgebliebenen Staat am Rande Europas revidiert.
Sein etwas hölzernes Auftreten machte den ehemaligen Bürgermeister von Sibiu (Hermannstadt) nur noch glaubwürdiger. Ernsthaftigkeit und Pflichtbewusstsein sind für ein Staatsoberhaupt wichtigere Sekundärtugenden als Emotionalität.
Abgehoben und eigennützig
Nach zehn Jahren an der Spitze des Staates bleibt von diesem Bild nicht viel übrig. «Iohannis hat sich schlicht nicht für die Menschen und ihre Probleme interessiert», sagt der Politologe Ioan Stanomir von der Universität Bukarest.
Tatsächlich nahm der Präsident in der letzten Zeit kaum noch am politischen Leben teil und genoss vor allem die Vorzüge seines Amts mit aufwendigen, aber amtlich kaum begründbaren Fernreisen und einer viel zu teuren Renovierung seines Ruhesitzes. Erklären mochte er sich dazu nicht. Die letzte Pressekonferenz liegt mehr als zwei Jahre zurück. Interviews gab er nicht.
In den Vordergrund trat er vor allem dann, wenn es um seine persönliche Zukunft ging. Seine aussichtslose Kandidatur als Nato-Generalsekretär und die unverhohlenen Ambitionen auf ein hohes Amt in der EU oder sogar in der Uno verstärkten das Bild eines Politikers, der vor allem auf den eigenen Vorteil bedacht ist. «Iohannis hat die Idee des Präsidentenamtes völlig ausgehöhlt», sagt Stanomir.
Kampf gegen die «rote Pest»
Dabei war der grossgewachsene Sachse in den ersten Amtsjahren tatsächlich eine Symbolfigur im Kampf gegen die Korruption, jenes Grundübel Rumäniens, das viel mit dem Fortbestand einflussreicher Netzwerke über das Ende des Sozialismus hinaus zu tun hat. Am deutlichsten wird das bei der Nachfolgerin der Kommunistischen Partei, der PSD. Die nur dem Namen nach sozialdemokratische Partei ist traditionell die stärkste Kraft im Land.
Bei den grossen Protesten 2018 stellte sich Iohannis auf die Seite der Demonstranten. Die PSD-Regierung hatte Justizreformen eingeleitet, die vor allem darauf abzielten, Korruptionsverfahren gegen hohe Politiker zu verhindern. Die Empörung im Land war riesig.
Auch in Brüssel machte man sich Sorgen über den Zustand des rumänischen Rechtsstaats. Als die Regierung abgewählt wurde, stand Iohannis als grosser Sieger da. Er selbst wurde kurz darauf mit deutlichem Vorsprung wiedergewählt. Alle atmeten auf.
Wachsender Einfluss der Geheimdienste
Umso erschütternder war die Kehrtwende. «Iohannis hat den Reformer nur gespielt. An wirklichen Veränderungen war er nie interessiert», sagt Stelian Ion. Der Politiker der liberalen Reformpartei USR war 2021 kurzzeitig Justizminister und trieb in dieser Funktion ambitionierte Reformen voran.
Unter anderem wollte er die Ernennung von Staatsanwälten entpolitisieren, um eine wirklich unabhängige Justiz zu schaffen. Auf Betreiben des Präsidenten wurde Ion seines Amtes enthoben. Wenig später brach die Regierung auseinander.
Mit Iohannis’ Billigung wurden daraufhin die Sozialdemokraten zurück in die Regierung geholt, jene Kraft also, die der Präsident im Wahlkampf noch als «rote Pest» und «Feind Nummer 1» bezeichnet hatte. Begründet wurde das Bündnis mit dem Bedürfnis nach Stabilität angesichts der Pandemie und später des Krieges in der Ukraine.
In Rumänien sind viele Menschen aber überzeugt, dass es um etwas anderes ging: ernsthafte Reformen zu verhindern, vor allem im Justizbereich. «Iohannis hat ein System geschaffen, wie es sich die alten Eliten immer gewünscht haben», sagt der ehemalige Minister Ion. Dass in den vergangenen Jahren die ohnehin mächtigen Geheimdienste noch an Einfluss hinzugewannen, verstärkt diesen Eindruck.
In einem Film über Iohannis’ Amtszeit zeigt das Online-Medium «Recorder», dass der Chef des Inlandgeheimdienstes sogar an einigen Regierungssitzungen teilgenommen hat. Wer hier wen beaufsichtigte, lassen die Autoren bewusst offen.
Stabilität wichtiger als Rechtsstaatlichkeit
Im Westen mochten sich nur wenige eingehend mit der komplizierten Realität in Rumänien befassen. Das strategisch wichtige Land an der Grenze zur Ukraine war oberflächlich stabil und stimmte verlässlich prowestlich ab. Das reichte.
Die Reformkräfte hätten sich mehr Einmischung gewünscht. «Dass die EU den speziellen Kontrollmechanismus [für Rumänien und Bulgarien] ersatzlos aufhob, war ein Fehler», sagt der ehemalige Minister Ion. Es brauche auch weiterhin eine externe Aufsicht, gerade bei der Verwendung der europäischen Gelder. Stattdessen erhielt Iohannis eine internationale Auszeichnung nach der anderen, 2021 etwa den renommierten Karlspreis.
In Rumänien liess das opportunistische Regierungsbündnis derweil nicht nur die Popularitätswerte der beteiligten Parteien und, wegen seiner zentralen Rolle, auch von Iohannis persönlich einbrechen, sondern es erschütterte auch das Vertrauen in die Politik ganz allgemein. Die grossen Proteste von 2018 gegen Korruption und politisierte Justiz hatten offensichtlich nichts genützt. Drei Jahre später war alles wieder beim Alten.
Erfolg der Ultranationalisten
Es ist kein Zufall, dass in diese Zeit der Aufstieg der rechten Protestbewegung fällt, die wegen des Präsidentschaftskandidaten Georgescu nun in aller Munde ist. Die sogenannten Souveränisten inszenieren sich als einzige Kraft, die ausserhalb «des Systems» steht. So wird in Rumänien das traditionelle Machtgefüge aus Sicherheitsdiensten, etablierten Parteien und klientelistischen Netzwerken genannt.
Nicht zuletzt in der bisher verlässlich proeuropäisch wählenden Diaspora haben die Souveränisten damit grossen Erfolg. Die Botschaft vom ausgebeuteten Land, das zu seinem Stolz zurückfinden muss, verfängt bei vielen Auslandrumänen, die sich oftmals zu schlecht bezahlten Jobs verdingen.
Der Aufstieg der rechten Polterer kann freilich nicht auf Klaus Iohannis’ schwache Präsidentschaft reduziert werden. Ähnliche Phänomene rechtspopulistischer Protestpolitik gibt es in vielen europäischen Ländern. Hinzu kommen deutliche Hinweise auf russische Einflussnahme auf die jüngsten Wahlen.
Aber Iohannis hat mit seiner opportunistischen Machtpolitik, der Verhinderung von Reformen, die von der Mehrheit seiner Wähler gewünscht waren, und einer zunehmend von Eigeninteresse gesteuerten Amtsausübung zur Entfremdung der Bürger vom Politikbetrieb beigetragen. Damit legte er eine der Grundlagen für die jüngsten Entwicklungen. Unabhängig vom Wahlausgang am Sonntag bleibt das ein Erbe seiner Präsidentschaft.