David Zuberbühler war ein Hinterbänkler. Dann begann er sich gegen die UNRWA einzusetzen. Ist das nun das Ende der Zahlungen an das Palästinenser-Hilfswerk?
Wenig lässt Parlamentarier emotionaler werden als Debatten über Entwicklungshilfen, die die Schweiz in die Welt verteilt. Wenn diese nur leicht beschnitten werden sollen, hat die Bluthochdruck-Fraktion einen stabilen Stimmenanteil. Die vom Nationalrat beschlossenen Kürzungen von 250 Millionen Franken findet diese Gruppe: ganz gefährlich. Was soll das Ausland bloss von uns denken? Tamara Funiciello (SP) verstieg sich gar zur Aussage, dass dieser Entscheid «Menschenleben» kosten werde.
Noch aufwühlender werden die Wortmeldungen nur, wenn es um einen konkreten Beitrag geht; um die 20 Millionen Franken, die jährlich ans umstrittene Palästinenserhilfswerk UNRWA fliessen. Die sollen, wie der Nationalrat am Mittwoch neuerlich beschlossen hat, gestrichen werden.
David Zuberbühler, 45, Nationalrat aus Appenzell Ausserrhoden (SVP), ist der Mann, der viele dieser Voten ausgelöst hat. Seit einem Jahr setzt er sich, in der Rolle des Einzelkämpfers, dafür ein, dass diese Gelder gestrichen werden. Er erhält zwar jeweils eine Mehrheit in der grossen Kammer, aber passiert ist bisher: wenig. Im letzten Dezember hat der Ständerat – nach dreimaliger Zustimmung im Nationalrat – in der Einigungskonferenz eine (leicht angepasste) Fortzahlung durchgesetzt, für Zuberbühler ein «fauler Kompromiss».
Seine grösste Rolle
Unzufrieden, legt er mit einem weiteren Vorstoss nach. Dieser wird wiederum angenommen, ist im Ständerat aber hängig (dieser erbat sich im Herbst mehr Bedenkzeit).
Das ist die bisher grösste Mission des David Zuberbühler. In der «Zeit» stand nach seinem ersten Jahr im Nationalrat, 2016, der Titel: «Zubi läuft mit». Irgendwie dabei halt. Nun läuft er voraus, hat er sein Thema (und damit auch die Öffentlichkeit) gefunden, seinen Kampf. Gegen linke Kritiker. Gegen den Bundesrat – obschon auch Aussenminister Cassis die UNRWA als Teil des Problems einstuft. Und, zumindest bis jetzt, gegen den Ständerat.
Als er am Donnerstagmorgen ins Telefon spricht, ist seine Stimme noch etwas belegt. Nachwehen der Ständeratspräsidiumsfeier von Andrea Caroni in Appenzell Ausserrhoden. Es wurde spät. Das passt zu einem Mann, der von allen als umgänglich beschrieben wird. Das Wort «gmögig», in Bundesbern inflationär als Zuschreibung verwendet, wird in Medienberichten über Zuberbühler zuverlässig gebraucht.
Das wirft die Frage auf: Wieso hat sich dieser freundliche Mann aus Herisau in dieses Thema verkrallt? Ein Mann, der an einem Ort lebt, «wo die Welt noch in Ordnung ist», der Krieg im Nahen Osten und Antisemitismus weit weg sind; in einer Welt, in der man den eigenen Hund noch als «Familienmitglied» auf der Website führt.
«Dä Zubi»
Ein Sicherheitspolitiker, besorgt ums eigene Land, bestrebt, dieses zu bewahren. Zuberbühler, der Zuverlässige, der auch schon als «Streber der Nation» betitelt wurde, weil er im Parlament nie fehlte. Einer, den nicht nur Freunde schlicht «dä Zubi» nennen, sondern er sich selbst, und auch jene, die ihn nicht kennen. Was regt sich Zuberbühler über etwas auf, das so weit weg in der Fremde passiert?
Erstens aufgrund einer Überzeugung. Er sagt: «Wenn Israel fällt, fällt der Westen.» Und die UNRWA gefährde Israels Sicherheit, zumindest indirekt.
Zweitens aufgrund einer Erfahrung: Zuberbühler sagt, dass es nicht überall so ist im Land wie bei ihm daheim. Er sehe, was in der Schweiz passiert. In den Städten, hauptsächlich. Der Antisemitismus breite sich aus, «und das, nachdem am 7. Oktober Hunderte Juden regelrecht abschlachtet worden sind. Unfassbar. Wir müssen mit der Polizei die Sicherheit der Juden, die niemandem ein Haar krümmen, sicherstellen.»
Wieso, fragt er schon fast desillusioniert, könne man nicht zur einzigen Demokratie im Nahen Osten halten? Und weshalb soll eine Organisation wie die UNRWA, die von «Terroristen unterwandert» sei, mit Steuergeld unterstützt werden?
Die Schulhaus-Inszenierung
Was Zuberbühler meint: dass rund ein Dutzend UNRWA-Mitarbeiter beim Terroranschlag am 7. Oktober dabei gewesen sind. Dass ein Schulleiter des Hilfswerks ein Hamas-Kommandeur in Libanon war. Dass die Schulbücher vor allem lehrten: Israel-Hass und Gewaltverherrlichung. Ein Beispiel ist eine Leseverständnisübung für Neuntklässler: Ein palästinensischer Brandanschlag auf einen jüdischen Bus im Westjordanland wird darin als «Grillparty» bezeichnet.
Besonders geprägt, sagt Zuberbühler, habe ihn ein Besuch mit der parlamentarischen Gruppe «Schweiz – Israel», als die Politiker in Bethlehem eine UNRWA-Schule und das Schulmaterial sichten wollten. Alles inszeniert. Anstatt in ein Klassenzimmer wurde man in ein Verwaltungsgebäude gebracht. Als anwesende Schülerinnen die Frage, ob sie sich vorstellen könnten, in Frieden und Freiheit zu leben (auch mit Israeli), gestellt wurde: Da war das Gespräch vorbei. Ohne Antworten. Ohne Schulbücher und Schulzimmer gesehen zu haben. «Eine Farce», sagt Zuberbühler, «Zeichen einer unerträglichen Einseitigkeit.»
Sein Engagement gegen die UNRWA hat Zuberbühler eine gewisse Bekanntheit eingebracht. In «Le Temps», der Zeitung des internationalen NGO-Genf, wurde Zuberbühler als Karikatur des typischen SVP-Vertreters dargestellt. Mit einer Sprechblase: «Die Schulen in Gaza brauchen uns nicht mehr – zumal sie ja zerstört worden sind.»
«Linke Doppelmoral»
Ihn stört das nicht. Was ihn nervt, sei diese «Doppelmoral», diese «Heuchelei» der Linken, die sich immer grossspurig gegen Antisemitismus aussprächen, aber letztlich schweigen oder sogar antiisraelische Positionen vertreten würden, wenn sie den Beweis erbringen könnten. Das ist die eine Sicht. Die andere, die viele Medien und Politiker vertreten: Es gibt keine Alternative zur UNRWA. Wer soll sonst Hilfe leisten?
Er kennt diese Erzählung, aber er kann ihr nichts abgewinnen. «Es stimmt einfach nicht, dass es keine Alternative gibt. Man will es aus ideologischen Gründen nur nicht zugeben.» Er ist auch nicht gegen Hilfsgelder, nur gegen Hilfsgelder für die UNRWA. Zahlen der Israeli, die jede Zufuhr streng kontrollieren, wiesen zumindest aus, dass das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen dreimal mehr Hilfsgüter lieferte als die UNRWA. Das ist eines von Zuberbühlers Hauptargumenten.
Er glaubt, dass nun auch der Ständerat in seinem Sinn entscheiden könnte. Deutungshoheit ist alles. Besonders, wenn es laut ist und emotional. Gegenwärtig sind fürs nächste Jahr von der Verwaltung aber wieder 20 Millionen Franken für die UNRWA eingeplant. Die Frage ist: Wie lange noch?