Aufregung unter Pferdezüchtern: Das Nationalgestüt will seinen Bestand an Hengsten drastisch verringern.
Was bedeutet es für eine Schweizer Pferderasse, wenn das Nationalgestüt weniger jungen Zuchthengste kaufen will? Und auch seinen Bestand an Samenspendern generell drastisch reduziert?
Am Schweizer Nationalgestüt (SNG), dem Kompetenzzentrum des Bundes für Equiden, wurde dies angekündigt. Und nun sehen einige der Züchter von Freibergerpferden den Anfang vom Ende ihrer Arbeit gekommen.
«Sämtliche Freibergerzüchter und -züchterinnen in der ganzen Schweiz fühlten sich vom Nationalgestüt im Stich gelassen», schrieben die «Freiburger Nachrichten» vergangene Woche. Die Zeitung zitierte Hans Bielmann, den Geschäftsführer der Pferdezuchtgenossenschaft des Sensebezirks: «Mit diesem Vorhaben sehen wir schwarz für das Fortbestehen der Freibergerzucht wie auch für das Fortbestehen des Nationalgestüts.»
Doch was ist eigentlich passiert?
Das Nationalgestüt liegt in Avenches, einem Dorf zwischen Neuenburgersee und Murtensee. Laut staatlicher Verordnung fördert das Nationalgestüt als Kompetenzzentrum des Bundes die genetische Vielfalt der Freibergerrasse, stellt diese Züchtern zur Verfügung und unterstützt weitere Erhaltungsmassnahmen des Schweizerischen Freibergerverbands. Es unterstützt die Züchter bei der Zuchtarbeit und hält selbst Equiden. Das SNG nimmt also eine wichtige Rolle ein für die Freibergerrasse, die als einzige mit Schweizer Ursprung überlebt hat.
Ein Viertel weniger Zuchthengste im Nationalgestüt
Alle anderen heimischen Pferderassen sind im vergangenen Jahrhundert verschwunden. Laut Schweizerischem Freibergerverband gab es bis in die 1980er Jahre noch 19 verschiedene Schweizer Pferderassen. Nationalrat Ernst Wandfluh sagte kurz vor Weihnachten in der Fragestunde der Wintersession, dass es in Avenches «überdurchschnittlich viele Personalwechsel» gebe und «offenbar aus finanziellen Gründen keine Junghengste mehr angekauft werden» könnten.
Die eidgenössische Forschungsanstalt Agroscope, zu der das SNG gehört, bestätigte dann auch, dass die Anzahl der staatlichen Zuchthengste in Avenches bis 2030 von 60 auf 45 Hengste reduziert werde. Als Erste hatte die «Bauern-Zeitung» darüber berichtet.
Nun fürchten die Züchter, dass die Zeit der Freiberger ebenfalls enden könnte. Die private Zucht der Hengste lohne sich nicht mehr, die Verkaufskosten deckten nicht den Aufwand. Bislang konnten die Züchter noch hoffen, einen ihrer Junghengste nach einer jährlichen Präsentation im jurassischen Glovelier für einen guten Preis ans SNG zu verkaufen. Nach der dortigen Vorselektion und einem folgenden Test kauft das Nationalgestüt traditionell jedes Jahr zwei oder drei Hengste.
Die Ankäufe des SNG geniessen also hohe Relevanz. Nach Avenches kommen nur die besten Hengste, so lautet der Anspruch. Entfiele aber dieser wichtigste Abnehmer und reduzierte er seine Anzahl der Zuchthengste, würde Züchtern die Motivation zur Zucht fehlen. Für sie bedeutet es neben dem finanziellen Aspekt auch enormes Prestige, einen Hengst nach Avenches zu verkaufen.
Der Bund begründet seinen Entschluss damit, dass derzeit alle Bereiche der Bundesverwaltung von Sparmassnahmen betroffen seien. Auf Anfrage teilt eine Sprecherin mit, eine Prüfung habe gezeigt, dass die Aufträge ans SNG gemäss Tierzuchtverordnung auch mit einem reduzierten Hengstbestand voll erfüllt werden könnten. Die Zuchttiere in Avenches sollen in den kommenden sechs Jahren durch natürliche Abgänge und den teilweisen Verzicht auf einen Ankauf von Junghengsten weniger werden.
«Die Zucht funktioniert also schon heute grösstenteils mit Hengsten von Privaten»
Agroscope beschwichtigt weiter: «In der Schweiz werden jährlich rund 1700 Freibergerfohlen zur Welt gebracht. Von diesen sind rund ein Drittel von Hengsten des Nationalgestüts.» Zwei Drittel stammten aus privater Zucht. «Die Zucht funktioniert also schon heute grösstenteils mit Hengsten von Privaten», teilt die Behörde mit.
Andreas Aebi, früherer Nationalratspräsident und amtierender Präsident des Schweizer Freibergerverbandes, sieht die Lage bei den Freibergern nicht allzu dramatisch. Und doch intervenierte er beim Bund. Er fürchtete einen Rückschritt: «Wenn man Generationen auslässt, gefährdet man den gesundheitlichen Zustand und die Weiterentwicklung der Rasse», sagt Aebi.
«Es gibt genug eingefrorenes Sperma der Hengste»
Man kann hier den Vergleich zum Fussball wagen: Verpflichtet ein Verein ein oder zwei Jahre keinen neuen Spieler, kann es sein, dass er das beste Talent verpasst. Und vielleicht den Lionel Messi der Freibergerzucht übersieht. Man werde ab 2024 «nach wie vor Freibergerhengste nach Bedarf des Tierbestands und zur Erfüllung des Auftrags zur Förderung der genetischen Diversität der Freiberger erwerben», teilte Agroscope nun auch mit.
Auch der Freibergerverbandspräsident Aebi beschwichtigt: «Man darf die Entscheidung des Nationalgestüts zur Hengst-Reduktion nicht überbewerten.» Natürlich könne man sie diskutieren, aber dass die Zahl der Zuchthengste verringert wird, ist für ihn keine Katastrophe. «Es gibt genug eingefrorenes Sperma der Hengste, die nun reduziert werden sollen», sagt Aebi.
Die 39 besten Junghengste des aktuellen Schweizer Jahrgangs sind am vergangenen Wochenende im oben erwähnten Glovelier präsentiert worden. Eine Jury wählte zwölf Tiere aus und bescheinigte ihnen eine «ausgeglichene Qualität».
Der Rassestandard sei gut erhalten worden, teilte der Verband der Schweizer Freibergerzüchter mit. Ob die Qualität der ausgewählten Hengste für das Nationalgestüt reicht, müssen sie nun zeigen. Stellen sie in einem sogenannten «Stationstest» 40 Tage lang ihre Fahr- und Reitfähigkeiten sowie ihr gutes Benehmen unter Beweis, kommen sie für einen Ankauf in Avenches infrage. Sie können aber auch bei privaten Haltern dazu beitragen, weitere Freibergerpferde zu zeugen.