Amerika ist wirtschaftlich stark unterwegs und wird es allem Anschein nach auch 2025 bleiben. Aber die amerikanischen Unternehmen sind derart hoch bewertet, dass manche Anleger kalte Füsse bekommen.
Washington und die New Yorker Wall Street liegen nur drei Zugstunden voneinander entfernt. Aber manchmal scheint es, die Orte lägen auf anderen Planeten.
Das politische Establishment erholt sich noch immer von der Wiederwahl von Donald Trump. Düstere Zukunftsszenarien und Abrechnungen innerhalb der demokratischen Partei füllen die Leitmedien.
Die Börsianer feiern dagegen im Wochentakt neue Rekordmarken. Der amerikanische Leitindex S&P 500 hat seit Jahresbeginn um 28 Prozent zugelegt, nach einem bereits erfreulichen Jahr 2023.
Doch es mehren sich die Stimmen, die Amerikas Börse ein schwaches Jahrzehnt prognostizieren.
Nicht zu heiss, nicht zu kalt
Sehr überraschend ist diese Erkenntnis nicht, denn die Analysten von Goldman Sachs und der Bank of America haben die historischen Daten auf ihrer Seite: Auf einen Boom folgt irgendwann immer eine Schwächephase. Und doch sagen sie, wie viele andere: Noch ist es nicht so weit, denn es passt derzeit für Corporate America fast alles zusammen.
Im dritten Quartal haben die amerikanischen Firmen mit ihren Gewinnzahlen einmal mehr positiv überrascht. Das langfristig stärkste Argument für die Dominanz der amerikanischen Wirtschaft gegenüber Europa oder Japan ist ihre hohe und wachsende Produktivität, die Investitionen sind weiterhin beträchtlich. Lagerhäuser und Fabriken werden automatisiert, und erste sinnvolle KI-Anwendungen finden langsam ihren Weg in die Arbeitswelt.
Hinzu kommen Stimuli von aussen: Die Trump-Regierung wird die Unternehmenssteuern deutlich absenken, was für höhere Profite sorgen wird. Zudem befinden sich die USA nahe am «Goldlöckchen-Szenario», das die Börsianer so sehr lieben: Die Wirtschaft wächst, läuft aber nicht zu heiss – was inflationär wirkt – und kühlt auch nicht zu sehr ab. Die US-Notenbank Fed hat die Inflation nach mehrjährigem Kampf auf deutlich unter 3 Prozent gedrückt; die Teuerung liegt somit nahe am Zielwert von 2 Prozent. Der Markt erwartet vom Fed daher im Dezember und 2025 weitere Zinssenkungen, was die Aktienpreise stützt.
Stabiler Arbeitsmarkt
Die am Freitag publizierten Zahlen des Arbeitsministeriums belegen zudem, dass der Arbeitsmarkt mit den weiterhin hohen Zinsen gut umgehen kann. Die amerikanische Wirtschaft hat im November 227 000 neue Stellen geschaffen, leicht mehr als erwartet. Zudem wurden die Zahlen für September und Oktober nach oben revidiert.
«Der langfristige Trend am Arbeitsmarkt bleibt positiv», sagt Markus Hansen, Analyst und Portfolio-Manager bei Vontobel. Die Vermutung habe sich bestätigt, dass die Oktober-Zahlen wegen der zwei grossen Hurrikans ein Ausreisser waren. Zudem würden die Reallöhne weiter wachsen, die Konsumenten in den USA dürften weiter kauffreudig bleiben.
Alles hat ein Ende
Hansen wäre aber nicht überrascht, wenn der amerikanische Aktienmarkt im ersten Halbjahr 2025 eine Verschnaufpause einlegt. «Trump hat in Bezug auf die Steuersenkungen die richtigen Dinge gesagt», aber die Märkte wollten abwarten, was seine Regierung in den ersten Monaten umsetze. Sinkende Zinsen könnten mittelfristig für günstigere Hypotheken sorgen und damit die Immobilien- und Bauwirtschaft ankurbeln, sagt Hansen, aber erst mit Verzögerung, also in der zweiten Jahreshälfte 2025.
Noch immer werde der amerikanische Markt zudem von wenigen Titeln getragen. «Selbst die ‹Magnificent Seven› werden von ‹Magnificent One› angetrieben, Nvidia.» Hansen vergleicht die hohen KI-Investitionen mit der Entwicklung am Anfang des Internetzeitalters: «Im Laufe der Jahre erhöhten E-Mails oder Outlook unsere Produktivität, aber zu Beginn investierten manche Unternehmen zu viel. Dieses Problem werden wir auch jetzt wieder sehen.»
Die Bewertung vieler amerikanischer Unternehmen, gemessen am Verhältnis von Gewinn und Aktienkurs, ist derzeit hoch. Das betrifft allen voran die grossen Technologiekonzerne. Sie konnten diese Bewertungen nur dank zahlreichen optimistischen Annahmen erreichen. Falls eine dieser Annahmen nicht zutrifft, ist eine Preiskorrektur denkbar.
Trump ist auch ein Marktrisiko
Und dann ist da noch Donald Trump. Die Wirtschaftsposten in seiner Administration hat er zwar grösstenteils mit Personen besetzt, die auch der traditionellen Wirtschaftselite genehm sind. Aber es ist denkbar, dass er auf Teufel komm raus Handelskriege führen und Millionen von illegalen Einwanderern ausweisen wird, die auf dem Bau oder den Feldern derzeit die Wirtschaft in Gang halten. Damit könnte Trump die Inflation anheizen und das Goldlöckchen-Szenario beenden.
Es gibt selbst für Anleger Optionen, die der Wirtschaftsentwicklung in den USA wie im Rest der Welt nicht ganz trauen. Hansen rät etwa jenen, denen das Übergewicht der US-Aktien Sorgen bereitet, den Blick auf ausgewählte ausländische Unternehmen zu richten, die einen grossen Teil ihrer Erträge in den USA generieren. Sie könnten von der anhaltenden Stärke der amerikanischen Wirtschaft profitieren, seien aber oft nicht gleich hoch bewertet wie US-Unternehmen.