Im Kriegsfall könnte Taiwan von der Aussenwelt abgeschnitten werden. Denn China könnte die Unterseekabel sabotieren. Ein eigenes Satellitensystem soll künftig als Back-up dienen.
Im Frühling 2023 gab es so etwas wie eine Hauptprobe dafür, was es bedeutete, wenn die Insel Taiwan von der Kommunikation mit der Aussenwelt abgeschnitten würde. Die beiden Unterseekabel zur Insel Matsu, die zu Taiwan gehört, aber wenige Kilometer vor dem chinesischen Festland liegt, wurden unterbrochen. Praktisch gleichzeitig.
Das Internet auf der Inselgruppe mit gut 12 000 Einwohnern fiel aus, Geldautomaten gaben kein Geld mehr aus, Reisende konnten auf der touristisch beliebten Insel keine Hotels mehr buchen. Auch telefonieren war praktisch unmöglich.
Zerstörte China die Kabel absichtlich?
Der nationale Telekom-Provider Chunghwa konnte nach ein paar Tagen eine Notverbindung mit der rund 180 Kilometer entfernten Hauptinsel Taiwan herstellen – per Mikrowelle. Wer Anschluss ans Internet brauchte, setzte sich mit seinem Handy oder Laptop vor die lokale Chunghwa-Filiale und nutzte den dortigen Hotspot.
Höchstwahrscheinlich waren es chinesische Schiffe, welche die Kabel nach Matsu beschädigten und für den Unterbruch sorgten. Ob absichtlich oder nicht, bleibt ungeklärt.
Auch wenn die Verbindungen nach Matsu schon lange wieder hergestellt sind, fragen sich seither die Taiwanerinnen und Taiwaner: Was tun, wenn China im Krisenfall die Hauptinsel Taiwan vom Internet abschneidet? Denn die Verbindung der 23 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner mit der Aussenwelt läuft über gerade einmal 15 Unterseekabel.
Die Back-up-Kommunikation mit Matsu – eine Mikrowellenverbindung – funktioniert nur über kurze Distanz. Für Taiwan als Ganzes kommen als Rückfallebene einzig Satelliten infrage. Doch deren Bandbreite und Geschwindigkeit kommen nicht annähernd an Unterseekabel heran. Ausser Starlink.
Taiwan hält Musk für zu China-freundlich
Das Problem mit dem Satellitensystem Starlink ist nicht die Technik, sondern eine einzelne Person. Taiwan traut dem Besitzer der Betreiberfirma SpaceX, Elon Musk, nicht. Musk hat nicht nur riesige wirtschaftliche Interessen in China mit seiner Elektroautofirma Tesla. Taiwan, so sagte Musk vor einem Jahr, sei ein integraler Bestandteil von China, der gegenwärtig willkürlich nicht zu China gehöre. Taiwan sei für China, meinte der Tech-Mogul, was Hawaii für die USA sei.
Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, wie wichtig Starlink für die Kommunikation in Frontnähe ist. Doch er zeigte auch die Macht, die Musk ausübt: So verhinderte er ukrainische Angriffe auf der Krim, die völkerrechtlich zur Ukraine gehört, indem er das Starlink-Signal nicht einschaltete. In Taiwan fragt man sich: Könnte man sich im Krisenfall auf Starlink verlassen?
Das Misstrauen wurde noch verstärkt, als das «Wall Street Journal» im Oktober geheime Gespräche Musks mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin aufdeckte. Die Zeitung schrieb, dass Putin Musk gebeten habe, Starlink in Taiwan nicht zu aktivieren, um dem chinesischen Partei- und Staatschef einen Gefallen zu tun.
In der Tat ist Starlink in Taiwan nicht verfügbar. Das liegt allerdings daran, dass die Firma die Bedingungen für eine lokale Lizenz nicht erfüllt.
Ein eigenes System soll die Kommunikation gewährleisten
Taiwan sucht nun nach einer Alternative zu Starlink. In einem ersten Schritt hat der Telekomkonzern Chunghwa einen Vertrag mit Eutelsat Oneweb geschlossen. Diese europäische Firma baut eine Low-Earth-Orbit-Satellitenkonstellation (LEO) auf, die sich als Alternative zu Starlink positionieren möchte. Allerdings hat Eutelsat Oneweb erst gut 600 Satelliten im All im Vergleich zu Starlink mit 6000.
Dennoch soll laut Chunghwa auf diesem Weg demnächst eine Anbindung ans globale Internet rund um die Uhr möglich sein. Beim schweren Erdbeben im April an der Ostküste von Taiwan wurden diese Satellitenverbindungen erstmals Rettungskräften zur Verfügung gestellt, als das lokale Telekomnetz gestört war.
Die Anbindung an Oneweb reiche bei weitem nicht, sagt Jerrel Lai, Experte beim Research Institute for Democracy, Society and Emerging Technology, einer neuen Denkfabrik der taiwanischen Regierung: «Eine wirklich sichere Verbindung hat Taiwan erst, wenn wir über ein eigenes LEO-Satellitensystem verfügen.»
LEO-Satelliten kreisen in einer Höhe von zwischen 200 und 2000 Kilometern um die Erde. Das ist für Weltraumverhältnisse eine kurze Distanz. Darum sind die Verbindungen schnell und haben kaum Verzögerung. Die Satelliten sind relativ günstig. Der Nachteil ist, dass sie sehr schnell um die Erde fliegen und sich nur kurz über einem gewissen Punkt befinden. Die Telekommunikationsverbindung von der Erde wird von Satellit zu Satellit weitergereicht. Darum bestehen LEO-Konstellationen aus Hunderten bis Tausenden von Satelliten.
Ganz so hoch sind die Hürden für Taiwan nicht: Sein System muss nicht den ganzen Globus, sondern nur die Insel mit einer Fläche von 36 000 Quadratkilometern, ein paar vorgelagerte Inseln und die Gewässer dazwischen abdecken. Der Chef der staatlichen Taiwan Space Agency (Tasa), Wu Jong-shinn, sagte gegenüber lokalen Medien, dass Taiwan etwa 120 LEO-Satelliten brauche für eine sichere Verbindung.
Taiwan beginnt nicht bei null. Tasa betreibt bereits seit 1999 Satelliten. Doch bisher waren diese für Aufgaben wie Meteorologie, Landwirtschaft oder Fischerei ausgelegt. Im August transportierte eine Rakete von SpaceX zwei in Taiwan entwickelte Minisatelliten ins All – sie dienen der Meeresbeobachtung.
Mit Telekomsatelliten betritt Tasa Neuland: 2026 soll der erste solche Satellit in einem Low Earth Orbit sein. Das Budget dafür sprach bereits die Regierung von Präsidentin Tsai Ing-wen, deren Amtszeit im Mai zu Ende ging: Umgerechnet knapp 9 Milliarden Dollar stehen zur Entwicklung der nationalen Raumfahrtindustrie zur Verfügung.
Taiwan kann auf seine gut entwickelte Elektronikindustrie bauen – bei Halbleitern ist das Land bekanntlich weltweit führend. Auch mit Raketen hat es einige Erfahrung. Das Militär verfügt über ein grosses Arsenal von Antischiffraketen und Flugabwehrraketen, die in Taiwan selbst entwickelt wurden. Das private Raumfahrtunternehmen Tispace arbeitet an einer Rakete, die kostengünstig Satelliten in einen Low Earth Orbit transportieren soll. Der erste erfolgreiche Start lässt aber noch auf sich warten.
Man brauche beides, eigene Satelliten und eigene Raketen, sagt der Experte Lai von DSET: «Erst dann ist Taiwan wirklich unabhängig und kann auch im Krisenfall die Kommunikation via Weltraum sicherstellen.»
Die Weltraumindustrie soll für Taiwan werden, was die Halbleiter heute sind
Taiwans Raumfahrtprogramm besteht seit den frühen neunziger Jahren. Vor vier Jahren hat es zusätzlichen Schub erhalten, als die damalige Präsidentin Tsai Ing-wen die Raumfahrt zu einem strategischen Industriesektor erhob. Taiwan will seine Wirtschaft über die Halbleiterindustrie hinaus diversifizieren. Einer der künftigen Motoren des Wirtschaftswachstums soll die Raumfahrt sein. Zweites Ziel der Regierungsstrategie ist, die nationale Sicherheit zu stärken, indem sie mit einer eigenen Satellitenkonstellation im Krisenfall die zivile und militärische Kommunikation sicherstellt.
Trotz der sicherheitspolitischen Komponente ist das Raumfahrtprogramm fast vollständig von den Streitkräften getrennt. Damit wolle Taiwan einerseits negativen Reaktionen Chinas vorbeugen und sich andererseits als verantwortungsvoller Akteur positionieren, der sich für Frieden und Stabilität in der Region einsetze, schreibt das Institut français des relations internationales (Ifri) in einer aktuellen Studie.
2022 wurde die staatliche Taiwan Space Agency (Tasa) gegründet, unter deren Ägide die Weltraumaktivitäten laufen. Für 2024 hatte die Agentur ein Budget von umgerechnet 120 Millionen Franken zur Verfügung. Die Strategie sieht eine enge Zusammenarbeit von Tasa mit akademischen Institutionen, der Industrie und Startups vor und ermutigt private Investitionen in den Sektor.
Indem es sein industrielles Know-how auf Raumfahrttechnologien anwende, könne Taiwan in zwei Bereichen eine Nische finden, schreibt Ifri. Erstens könne Taiwan die «TSMC der Raumfahrt» werden, indem es hochwertige und kostengünstige Kernkomponenten für Satelliten herstelle. Zweitens könne Taiwan zum «Foxconn der Raumfahrt» werden, indem es innovative Massenproduktionsverfahren für Satelliten entwickle und so zu einem der wichtigsten Integratoren und Montagebetriebe für Raumfahrtunternehmen weltweit werde.