Mit fortschrittlicher Sensorik und hoher Rechenleistung meistert der neue Transporter komplexe Verkehrssituationen und bietet gleichzeitig eine flexible und komfortable Innenraumgestaltung. Wann er nach Europa kommt, steht noch nicht fest.
«Das Fahrzeug ist ein Experiment», sagt Stefan Sielaff, der frühere Chefdesigner von Audi und Bentley. Seit drei Jahren ist Sielaff beim chinesischen Grosskonzern Geely für das Produktdesign verantwortlich, vor allem für die Fahrzeuge von Lynk & Co und der batterieelektrischen Schwestermarke Zeekr. Sein neuestes Produkt, der gerade in China vorgestellte Zeekr Mix, solle kein herkömmliches Elektroauto werden, sagt Sielaff, sondern eine mobile Kapsel auf vier Rädern, die ihre Passagiere ins Zeitalter des autonomen Fahrens führe.
Dem Serienfahrzeug vorausgegangen ist «Project M», ein Mix im Prototypenstadium auf der (weiterentwickelten skalierbaren) SEA-M-Plattform, den Geely in grösserer Stückzahl an die Alphabet-Tochter Waymo für Robotaxi-Praxistests im öffentlichen Strassenverkehr geliefert hat. Während Waymo dessen autonome Fahrfunktionen vorantreibt, setzt Zeekr mit dem Mix Ideen zur Mehrfachnutzung des Fahrzeugs für ein Szenario um, in dem das Lenkrad künftig überflüssig ist und die Erlebniswelt für die Passagiere im mobilen Lebensraum erweitert wird.
Der Zeekr Mix, den wir in China fahren, hat noch Lenkrad und Pedale, wie es die gesetzlichen Vorschriften verlangen, er ist noch weit von der Serienreife eines Robotaxis entfernt. Aber er nutzt die Testergebnisse der sechsten Generation des Waymo-Systems. Zeekr spricht von 1000 neuen Verkehrsszenarien für teilautonomes Fahren, die bewältigt werden können. Die Konkurrenz ist noch nicht so weit. Der Mix verfügt über einen Autopilot-Assistenten, der – wie bei Tesla – durch zweimaliges Herunterdrücken des Gangwahlhebels rechts vom Lenkrad aktiviert wird.
Mit beeindruckender Eleganz meistert das Haohan 2.0 genannte System Autobahnfahrten mit Überholmanövern, aber auch komplexe Kreuzungen, an denen Fahrmanöver undisziplinierter Verkehrsteilnehmer selbst unsere Wahrnehmung an ihre Grenzen bringen. Das sichere Einfädeln in den Stop-and-go-Abbiegeverkehr funktioniert ebenso fehlerfrei wie das Umfahren von Steinbrocken auf der Fahrbahn unter Berücksichtigung des Gegenverkehrs und der Fussgänger am rechten Strassenrand.
Ausserdem parkiert der Mix vollautomatisch und ferngesteuert längs und quer ein. In der nächsten Ausbaustufe soll das System ohne Präzisionskarten auskommen, allein auf der Basis von Szenarien, die an Bord verarbeitet würden, kündigt Zeekr an.
Die Umgebung wird von einem Lidar-System, 5 Millimeterwellen- und 12 Ultraschallsensoren sowie 13 Kameras erfasst. Deren Informationen verarbeiten zwei Chips des Typs Nvidia Orion X mit besonders schneller Rechenleistung. Visuell dargestellt wird die gesamte Umgebung auf einem grossen, zentralen Tablet und einem Head-up-Display mit Augmented-Reality-Elementen. Ein schmales Display über der Lenksäule informiert über Reichweite, Verbrauch und Geschwindigkeit. Zeekr aktualisiert gleichzeitig seine Modelle 001, 007 und 7X mit Haohan 2.0.
Deutlich mehr Flexibilität als der VW-Konkurrent
Das zweite Alleinstellungsmerkmal des neuen Zeekr Mix ist die intelligente Raumausnutzung und Variabilität des Mobiliars. Mit 469 cm Länge, 200 cm Breite und 178 cm Höhe ist der Mix etwas kürzer, etwas breiter und etwas niedriger als der Volkswagen ID. Buzz mit kurzem Radstand. Dass sein Äusseres an den VW erinnert, streitet Sielaff nicht ab, er folge eben der Idealform eines Minivans für maximale Raumausnutzung. Zeekr spricht von 93 Prozent Verkehrsfläche, ein SUV kommt auf rund 70 Prozent.
Was die Flexibilität anbelangt, ist Zeekr dem Vorbild Volkswagen deutlich überlegen. Man betritt den Fünfsitzer durch drei motorisierte Schiebetüren, während die Fahrertür zwar konventionell, aber ebenfalls elektrisch schwenkt und sensorgesteuert vor Hindernissen stoppt. Der besondere Clou: Durch den Verzicht auf B-Säulen öffnet sich der 148 cm breite und 133 cm hohe Einstieg über eine Tritthöhe von nur 39 cm zum bemerkenswert niedrigen Boden.
Dies trotz beachtlicher Bodenfreiheit, die sich mit manchem SUV messen kann, und trotz der im Unterboden verbauten Batterie. Vom niedrigen Einstieg profitieren Kinder ebenso wie ältere Menschen und Rollstuhlfahrer. Hilfreich ist er auch beim Einladen von sperrigen Utensilien wie zwei Velos mit montierten Rädern oder einem E-Scooter.
Wer Abstriche bei Verwindungssteifigkeit und Seitenaufprallschutz befürchtet, sollte einen Blick unter das Blech der Türen werfen: Hier sind hochfeste Stahlstrukturen verbaut. Tatsächlich sind selbst auf schlechten Strassen keine Bewegungen oder Vibrationen der Karosserieteile zu spüren.
Die vier klimatisierten Integralsitze (beheizt, belüftet, Massage) sind elektrisch mehrfach verstellbar, mit Armlehnen und ausklappbaren Fussstützen im Fond ausgestattet. Die Beinfreiheit ist grosszügig. Fahrer- und Beifahrersitz lassen sich um 270 Grad drehen und in Verbindung mit den Rücksitzen sogar zu einem Doppelbett umbauen.
Sitzverstellung per Spracherkennung
Es gibt eine über den gesamten Fussraum längs verschiebbare Multifunktionsmittelkonsole mit Kühlschrank, Getränkehalter, vier über Steckverbindungen verbindbaren Einzeltischen und herausnehmbaren Campinglichtern. Die neun verschiedenen, vorprogrammierten Wohnkonfigurationen unter dem riesigen Panorama-Glasdach sind im Zentraldisplay gespeichert und können per Sprachbefehl von jedem Platz aus oder individuell direkt am Sitz eingestellt werden.
Auffallend ist in dieser Fahrzeugklasse der um 90 Grad nach aussen drehbare, beheizte Beifahrersitz. Neben zahlreichen USB-Anschlüssen ermöglicht eine 220-Volt-Steckdose den Betrieb von Musikverstärker, Espressomaschine oder Heizplatte. Ergänzt um ein Dachzelt, kommt der Zeekr Mix einem Wohnmobil sehr nahe.
Die batterieelektrische Freizeitkapsel wird von einem 310 kW / 421 PS starken Elektromotor an der Hinterachse angetrieben. Die Fahrzeugstruktur des Hinterwagens ab den Schiebetüren ist identisch mit der des Zeekr-Modells 007, was die Entwicklungszeit auf unter zwei Jahre verkürzte und Kosten sparte.
Der Mix beschleunigt in völlig ausreichenden 6,8 Sekunden auf 100 km/h, auf der Autobahn bis 180 km/h. Seinen Saft zieht er aus einer angeblich selbstentwickelten LFP-Batterie mit 76 kWh Kapazität, die mit bis zu 418 kW zumindest anfangs ultraschnell Strom zieht. Zeekr verspricht, in nur 10,5 Minuten von 10 auf 80 Prozent laden zu können, was Weltrekord wäre. Allerdings soll das bis jetzt nur an den hauseigenen V3-Ladestationen in China möglich sein.
Eine volle Batterie trage den Mix 550 km weit, heisst es – nach chinesischem Messzyklus, was in der Praxis etwa 400 km bedeuten dürfte. Zeekr traut der Variante mit dem stärkeren NMC-Speicher und 102 kWh eine Reichweite von 712 km zu. In der Praxis dürften es über 500 km sein.
Während der Fahrt sind nur die Abrollgeräusche der 19-Zoll-Räder zu hören. Bis zur erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h gibt es keine Windgeräusche. Dies ist der windschlüpfigen Karosserie mit geschlossener Frontpartie zuzuschreiben, die in eine riesige, vergleichsweise flache Windschutzscheibe übergeht. Sie ist auch verantwortlich für das ungewöhnlich weit in den Innenraum reichende Armaturenbrett, unter dem die Systeme arbeiten.
Der freie Raum darüber ist für die Passagiere allerdings nicht nutzbar und erschwert es dem Fahrer, die Dimensionen des Vorderwagens einzuschätzen. Hier helfen Radar und Kameras, so Zeekr, die das komplette 360-Grad-Umfeld des Fahrzeugs überwachen und abbilden. Elektronische Assistenten «bremsen» einen unaufmerksamen Fahrer bei Querverkehr abrupt ab und verhindern das Öffnen der Seitentüren, wenn Verkehrsteilnehmer behindert werden könnten.
Doch sosehr das flexible Interieur des Mix überzeugt, so wenig bleibende Eindrücke hinterlässt das aktive Fahren mit dem Elektro-Van. Seine stark federnde Karosserie bedient die Komfortansprüche der Kunden im meist langsamen und geradeaus fliessenden Verkehr und unterscheidet sich nicht von anderen Elektroautos aus China. Die Fahrmodi Eco und Comfort liefern kaum Unterschiede, nur im Sportmodus wird stärker rekuperiert. Dies ermöglicht ein einpedaliges Fahren, bei dem das Bremspedal meist unbenutzt bleibt.
Die elektronische Lenkung ohne physische Lenksäule wirkt synthetisch und wenig feinfühlig. Überzeugend ist dagegen der einzigartig enge Lenkeinschlag der Vorderräder von 50 Grad, dies dank einer besonders kompakten Vorderachsgeometrie. Er führt zu einem Wendekreis von nur 990 cm für leichtes Rangieren, insbesondere beim Parkieren – ohne aufwendige Hinterachslenkung.
Es fällt auf, dass die Entwickler dem autonomen Fahren mehr Aufmerksamkeit gewidmet haben als dem Fahrspass für Selbstfahrer, der sich dem Nutzen des Zeekr Mix als mobiles Wohnzimmer für Familien unterordnen soll.
Ob der Van mit so viel Zukunftsmusik auch europäische Kunden überzeugen kann, darüber scheint man sich im Geely-Management nicht einig zu sein. Vermutlich wegen der schleppenden Akzeptanz der erst drei Jahre alten Marke Zeekr vor allem in Europa, wo Produkteinführungen verschoben wurden.
Offenbar wird die Markenflut im Geely-Konzern mit Volvo, Polestar, Link & Co, Zeekr, Lotus und LEVC auf einer Plattform von potenziellen Kunden als zu wenig differenziert empfunden. Das könnte sich mit dem Zeekr Mix ändern. In der von uns gefahrenen Basisversion mit Vollausstattung und 76-kWh-Batterie kostet der Minivan in China 279 900 Yuan, umgerechnet gut 36 000 Euro oder 34 000 Franken. Im ersten Verkaufsmonat Oktober wurden bereits mehr als 25 000 Einheiten verkauft.
Die Preise dürften in Europa jedoch höher angesetzt sein, sei es aufgrund der EU-Strafzölle oder des höheren Preisniveaus in der Schweiz. Der Mix erscheint aber als das bisher überzeugendste Angebot der Marke, allerdings nur, wenn sein Preis in Europa unter 50 000 Euro liegt, dem Einstandspreis eines vergleichsweise mager ausgestatteten ID. Buzz. Vielleicht kann sich Geely dazu durchringen, ihn in einem europäischen Volvo-Werk zu produzieren und den Zöllen zu entgehen.