Die Welt braucht nicht mehr Menschen. Auch für China bietet der demografische Wandel Chancen.
Die Regierung in China ist alarmiert. Seit Jahren versucht sie erfolglos, die Frauen dazu zu ermutigen, mehr Kinder zu haben. Am Mittwoch hat das nationale Statistikbüro die neusten Zahlen bekanntgegeben. Nur neun Millionen Geburten gab es im Jahr 2023, schon wieder weniger als im Vorjahr. Da elf Millionen Menschen gestorben sind, sank die Bevölkerungszahl um zwei Millionen. Bereits im zweiten Jahr in Folge. Ist das ein Desaster?
Aus der langfristigen wirtschaftlichen Wachstumsperspektive schon. China ist noch kein reiches Land, doch der erwerbsfähige Bevölkerungsanteil geht bereits zurück. Der globale Wachstumsmotor stottert und droht den Wohlstand der ganzen Welt zu senken. Doch halt, so düster ist es nicht. Die Politik macht einen Denkfehler, wenn sie davon ausgeht, nachhaltiges Wachstum sei nur durch mehr Babys zu erreichen.
Die Überalterung ist unaufhaltbar
Die Geburtenrate mit politischen Massnahmen steigern zu wollen, ist sowieso vergebene Liebesmüh. In wohlhabenden Gesellschaften haben die Frauen mit zunehmender Bildung und Anteil am Erwerbsleben weniger Kinder. Dieser Trend ist in der Regel auch durch familienfördernde Massnahmen nicht umkehrbar. Frankreich bildete lange eine Ausnahme diesbezüglich – doch auch dort geht die Zahl der Kinder pro Frau seit zehn Jahren zurück.
Sinken die Geburten, sinkt auch die Zahl potenzieller Eltern der nächsten Generation. Personen, die mit weniger Geschwistern und in kleineren Familien heranwachsen, gewöhnen sich daran. Die Kleinfamilie wird zur sozialen Norm.
In China wurde das durch die Einkindpolitik noch verstärkt. Dazu kommt: Jede neue Generation hat höhere Ansprüche daran, wie ein gutes Leben auszusehen hat. Wenn zuerst eine Eigentumswohnung vorhanden sein muss und genug Erspartes für den bestmöglichen Start für den Nachwuchs, schiebt man die Kinderfrage nach hinten.
Sinkende Geburtenraten können politisch also nur schwer angehoben werden. Die Überalterung der Gesellschaft ist unaufhaltbar.
Weniger ist mehr
Doch Chinas Regierung hat viele Mittel, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und die Produktivität der Bevölkerung zu steigern. In China ist das Pensionsalter zum Beispiel vergleichsweise tief, es liegt bei 50 Jahren für Frauen und 55 für Männer in handwerklichen Berufen, 55 und 60 bei Bürojobs. Dieses anzuheben, ist bereits schrittweise im Gange. Daneben könnte die Regierung mehr in die Bildung, Ausbildung und Gesundheit der Bevölkerung investieren und die Urbanisierung weiter fördern. Sie kann Innovation und Automatisierung vorantreiben. Sie kann dringend nötige Strukturreformen angehen, die das Land wieder attraktiver machen für private Unternehmer und ausländische Investoren.
Natürlich sind diese Massnahmen nicht ohne politisches Risiko. Masseneinwanderung etwa wäre auch eine Lösung, allerdings mit erheblichen sozialen und politischen Kosten. Oder der Umstand, dass auf eine zu rasche Anhebung des Pensionsalters sozialer Widerstand droht. Will die Regierung mehr in Bildung und Gesundheit investieren, muss sie möglicherweise bei der inneren Sicherheit sparen. Sie müsste also bereit sein, die Kontrolle zu lockern. Fest steht: China kann schrumpfen und gleichzeitig gedeihen.
Weniger Menschen heisst zunächst auch weniger Gedränge auf den Strassen und in der U-Bahn, weniger Ressourcenverschleiss, weniger Umweltverschmutzung. Der Wohlstand Einzelner wächst, wenn mehr Ressourcen pro Kind zur Verfügung stehen. Chinesinnen haben mehr Zeit und Energie dafür, anderes zu tun, als sich um mehrfache Schwangerschaften, Geburten, Säuglinge und Kleinkinder zu kümmern – was ihre Stellung in der Gesellschaft bereits massgeblich verbessert hat.
Der Planet dankt
China steht mit der Entwicklung ja nicht alleine da. Auch Europa überaltert und schrumpft, wie Japan, Südkorea, Singapur. Die Menschheit muss Wege finden, die Lebensqualität aller zu verbessern, ohne sich exponentiell zu vermehren und dadurch noch mehr Ressourcen zu verschleissen. Es gibt kein Zurück zur Vielkinderfamilie.