Dazu gibt es Actionszenen, Erdbeben, Lawinen, niedliche, tapfere, im Duett singende Löwenbrüder: «Mufasa» wäre das perfekte Disney-Produkt – gäbe es nicht so spassbremsende Zwischenfälle wie den depperten «Hakuna Matata»-Schlager.
Es gibt Musiken, die uns unverhofft ins Sonnengeflecht treffen. Oft handelt es sich dabei um nur wenige Sekunden, meist um einen der bewährten Tricks aus der Kiste der musikalischen Rhetorik. Mit dem Kinofilm «Mufasa: The Lion King» ist jetzt ein neuer Fall dazugekommen. Ein simpler Oktavsprung aufwärts im letzten Refrain des Songs, den Mads Mikkelsen singen darf.
Mikkelsen ist die überraschend schwarze Stimme eines weissen Löwen. Der heisst Kiros, ist ein Albino mit hellblauen Augen und auf Krawall gebürstet. Eine neue Figur, die mitsamt ihrem Albinorudel plötzlich aus dem Nichts auftaucht in dieser computeranimierten Disney-Tierfabel, um alles in der Savanne plattzumachen. Und wieder verschwindet. Kiros spricht mehr, als er singt, und er grollt mehr, als er spricht.
Sein Lied «Bye Bye» ist einer von sieben neuen Songs, die Lin-Manuel Miranda komponiert hat. Es thematisiert ausnahmsweise offen, worum es Raubkatzen geht. Tschüss, liebe Beute, ich fresse dich jetzt! Eine Frage des Arterhalts, alles andere wäre ja auch Kinderkram. «I’m the last of my line», raunt Mikkelsen, bevor seine Bruststimme kippt. Damit ist das ganze weitgehend vegane Lion-King-Chor-Gejodel vom «Circle of Life» und der guten Herrschaft jenseits der Weite des Horizonts entlarvt als fette, fromme Lüge.
Fortsetzung und Rückblick zugleich
Fünf Jahre nach dem kommerziellen Rekorderfolg der computergenerierten Version des Zeichentrickfilms «The Lion King» hat der ernstzunehmende, Oscar-gekrönte Regisseur Barry Jenkins («Moonlight»), gemeinsam mit dem Drehbuchautor Jeff Nathanson, die Geschichte für Disney weitergeschrieben. «Mufasa» ist erstens das Sequel und zweitens Prequel zugleich.
Der Anfang des neuen schliesst unmittelbar an den Schluss des alten Filmes an: Simba und Nala, der Löwenkönig und die Löwenkönigin, sind glückliche Eltern geworden. Onkel Scar wurde auf immer verbannt. Dafür tobt jetzt die Löwenprinzessin Kiara übermütig durch die Steppe und muss dringend eine Weile babygesittet werden, weshalb der Schamanen-Affe Rafiki ihr eine wahre Geschichte erzählt: nämlich die, wie ihr Grossvater Mufasa einst als Löwenbaby beide Eltern verlor.
Fast ertrank er, wurde gerettet, fand eine Ersatzfamilie und einen Blutsbruder, mit dem er auszog, das Fürchten zu lernen und Spuren zu verwischen, wie Winnetou mit Old Shatterhand. Und er bewährte sich dann, obwohl er «keinen Tropfen blauen Blutes» in sich trug, als Anführer und «Auserwählter», der das Gras wachsen hört und zum König des geweihten Landes wird.
Nala hat sich derweil, das zeigt gleich eine der ersten «Nahaufnahmen», mit einem hübschen Hängebauch ins Gebüsch zurückgezogen. Es ist also keine Spoilerei, wenn man verrät, dass es sich, drittens, bei der Rahmenerzählung um eine Art Weihnachtsgeschichte handelt: Nach hundert Filmminuten ist ein weiteres Löwenkindlein geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Und die kleine Kiara kennt nicht nur den Stammbaum der Familie aus dem Effeff. Sie weiss nicht nur, woher Onkel Scar seine Narbe hatte, wie der Königsfelsen entstand und wann der Nashorn-Hofschranzen-Vogel Zazu angeflogen kam, den man nicht essen darf. Sie hat auch ein Brüderchen gekriegt. Ganz schön kompliziert.
Bunte Insektenbonbons
Warum Jenkins und Nathanson die beiden Narrative so dicht ineinander verhäkelten, bleibt ihr Geheimnis. Rafikis Rückblick wird immer wieder von Auftritten des Warzenschweins und des Erdmännchens unterbrochen, die ebenfalls mithelfen beim Babysitten, nebenbei aber eine Handvoll bunte Insektenbonbons snacken oder eine Strophe ihres depperten «Hakuna Matata»-Schlagers einflechten.
Auch sonst ist die Abenteuergeschichte gespickt mit spassbremsenden Zwischenfällen. Es geht zu wie an einem Fan-Schulungskurs: Erkennen Sie die Melodie? Hast du den Witz gerade mitgekriegt? Das Zitat X aus dem ersten Teil kapiert? Die Variante der Szene Y entdeckt? Gehört, wie die junge Löwin im ewigen Schnee zu dem jungen Löwen sagt: «I’ve got you»?
Es ist schade drum. So phantastisch fotorealistisch illuminierte Actionszenen! So atemraubende Verfolgungsjagden, Stampeden, Erdbeben, Lawinen und Tsunami-Fluten, so niedliche, tapfere, im Duett singende Löwenbrüder! Aber dann wieder: ein Boxenstopp. Der Rhythmus scheint gestört in diesem Disney-Produkt, man spürt Sand im Getriebe. Dabei ist ideologisch doch eigentlich so weit noch alles im Lot und beim Alten geblieben. Weibchen kriegen immer noch Babys, sie geben gute Ratschläge. Männchen halten Nickerchen, sie haben Muckis und Visionen. Alles okay.