Der Marktwert von Europas grösstem Titel brach zeitweise um umgerechnet 129 Mrd. € ein. Auslöser war die Nachricht, dass der Hoffnungsträger CagriSema weniger grosse Abnehmerfolge bewirkt als erhofft. The Market ordnet die Entwicklung auch mit Blick auf Schweizer Unternehmen ein.
Die Betreffzeile der E-Mail mit Zeitstempel 11:45 Uhr liest sich harmlos bis positiv. «Novo Nordisk A/S: CagriSema demonstrates superior weight loss in adults with obesity or overweight in the REDEFINE 1 trial», steht dort. Doch keine Stunde später war der Aktienkurs von Europas wertvollstem kotierten Unternehmen zeitweise um 29% eingebrochen.
Am Nachmittag werden die Titel mit einem Minus von gut 20% gehandelt, bei 575 dKr. Noch am 25. Juni hatten sie ein Rekordhoch bei 1028 dKr markiert.
Der Börsenwert fiel innerhalb von weniger als 60 Minuten um rund 100 Mrd. € auf umgerechnet 345 Mrd. €.
Wirksamkeit des Abnehmkandidaten geringer als erhofft
Die grosse Enttäuschung in den Testergebnissen des Abnehmmittelkandidaten CagriSema lag in der geringer als erhofft gemessenen Wirksamkeit. Die mit CagriSema behandelten Personen erzielten eine Gewichtsreduzierung von 22,7% innerhalb von 68 Wochen. Novo Nordisk hatte aber eine Gewichtsreduzierung von mindestens 25% in Aussicht gestellt.
Um die Bedeutung der Daten zu verstehen, hilft ein Blick in die Analystenstudien der vergangenen Wochen. Viele hatten nichts weniger als eine Neugestaltung des Markts für Abnehmmittel erwartet. «Will CagriSema REDEFINE the obesity landscape? We think so», betitelte Barclays Research eine Studie zu Novo Nordisk vom 22. November. Die erste bedeutende Studie für Novos Abnehmmittel der nächsten Generation sei das am sehnsüchtigsten erwartete Testergebnis im gesamten Sektor.
Pharmaunternehmen streben nach Präparaten, die einen höheren Gewichtsverlust bieten als Wegovy oder Ozempic mit durchschnittlich 15% oder das Konkurrenzprodukt Zepbound des US-Pharmakonzerns Eli Lilly (22,5%), das im vergangenen Jahr auf den Markt kam. CagriSema kombiniert den Wegovy-Wirkstoff Semaglutid mit Cagrilintid, einem Analogon des Peptidhormons Amylin. Damit wirkt es sowohl auf das Darmhormon GLP-1, auf das auch Wegovy abzielt, als auch auf Amylin, ein Hormon der Bauchspeicheldrüse. Cagrilintid verringert das Hungergefühl und verstärkt die Sättigungssignale an das Gehirn.
Obwohl die Abweichung auf den ersten Blick nach wenig aussieht, ist die heutige Meldung für die Umsatzerwartungen an CagriSema durchaus relevant. Bisher ging der Markt von einem Spitzenumsatz von rund 20 Mrd. $ aus, diese Schätzung dürften nun erheblich revidiert werden. Ausserdem ist es wahrscheinlich, dass Novo Nordisk ihre Markteinführungsstrategie anpassen muss.
Schweizer Aktien werden in Mitleidenschaft gezogen
In der Schweiz dürften vor allem Ypsomed und Bachem von der Novo-Enttäuschung betroffen sein – die Aktien reagieren entsprechend. Jene des Injektionsspezialisten Ypsomed werden am Mittag gar kurzzeitig vom Handel ausgesetzt und notieren darauf 12% tiefer.
Ypsomed konzentriert sich künftig voll und ganz auf das Geschäft mit Injektionssystemen, Pens und Autoinjektoren. Der wichtigste Kunde im Bereich der Diabetes- und Abnehmmedikamente: Novo Nordisk. Gemäss einer Studie der UBS von Ende November könnte bis ins Geschäftsjahr 2027/28 maximal rund ein Viertel des Umsatzes mit Delivery Systems (Injektionssysteme) auf CagriSema entfallen. Entwickelt sich der Novo-Wirkstoff nicht so wie erhofft, könnte das die Umsatzentwicklung von Ypsomed somit ebenfalls belasten.
Doch das Burgdorfer Unternehmen hat insgesamt vierzig Verträge rund um GLP-1-Applikationen mit mehr als dreissig verschiedenen Kunden abgeschlossen, was das Klumpenrisiko etwas reduziert. Ausserdem ist laut Vontobel-Analystin Sibylle Bischofberger gegenwärtig die Produktionskapazität der wichtigste limitierende Faktor beim Wachstum, womit Ypsomed allfällig frei werdende Kapazität auch für andere Wirkstoffe und Kunden einsetzen könnte. Gemäss UBS könnte die Umsatzeinbusse je nach anderen Aufträgen 11 bis 37% betragen.
Auch für Bachem sind Diabetes- und Abnehmmedikamente ein lukratives Geschäft – wobei gegenwärtig noch hauptsächlich mit Blick in die Zukunft. Der Auftragsfertiger hat mehrere Verträge für die Herstellung von GLP-1-Medikamenten mit Pharmaunternehmen abgeschlossen. Unter den Kunden ist wahrscheinlich auch Novo Nordisk, wobei das vom Unternehmen bisher nicht kommuniziert worden ist.
GLP-1 ist mittlerweile eine wichtige Grundlage für die Wachstumspläne des Auftragfertigers: Das kürzlich fertig gestellte Gebäude K am Hauptstandort Bubendorf soll sich mehrheitlich auf die dafür notwendigen Peptide fokussieren. So will Bachem bereits 2026 die Schwelle von 1 Mrd. Fr. Umsatz erreichen, 2023 hatte sie 577 Mio. erwirtschaftet. Ähnlich wie bei Ypsomed ist auch beim Baselbieter Unternehmen die Produktionskapazität ein limitierender Faktor, die Kapazität könnte wohl auch anderweitig genutzt werden. Peptide und Oligonukleotide werden auch in Medikamenten gegen Krebs- und in Gentherapien verwendet.
Was wohl schwerer wiegt: Schon vor der heutigen Meldung wurde unter Investoren und Analysten laut an der Realisierbarkeit dieses ambitionierten Mittelfristziels gezweifelt; der Aktienkurs notiert 38% unter dem Mitte Mai erreichten Höchst. Zumal sich die Inbetriebnahme des 550 Mio. Fr. teuren Baus in Bubendorf bereits verzögert hatte. Obwohl das Management bisher an den Plänen festhält, ist die heutige Nachricht insbesondere auch ein Signal, wie unsicher das Vorhaben ist.
Grundsätzlich zeigt die heutige Nachricht, wie schwerwiegend eine derartige Abhängigkeit von einem Grosskunden respektive einem Produkt ist, gerade im Fall von kleinen Unternehmen – bei Ypsomed werden Erinnerung an die gescheiterte Vertriebskooperation mit Eli Lilly vor zwei Jahren wach. Sowohl bei Ypsomed als auch bei Bachem hängen zudem erhebliche Investitionsvorhaben mit diesen Aufträgen zusammen.