Auf 569 Seiten zeigt das Papier der Untersuchungskommission die grossen Versäumnisse von Bundesrat, Finma und SNB auf. Die Behörden tragen eine Mitverantwortung für den Untergang der Grossbank.
Die Schweizer Behörden malten nach der CS-Rettung im März 2023 ein heroisches Selbstbild. Einen Kraftakt hätten sie vollbracht, ein geschickt ausgeführtes Manöver, das die Wirtschaft und die Schweiz vor einer Katastrophe bewahrte. Die Notübernahme der Credit Suisse (CS) durch die UBS, so die Erzählung, sei die beste von mehreren Alternativen gewesen – präzise geplant, ohne Kostenfolge für den Steuerzahler und am Ende sogar profitabel.
Der Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) entlarvt dieses Selbstbild als das, was es ist: ein Stück Polit-PR in eigener Sache.
Der Bericht der PUK liefert auf 569 Seiten erstmals ein hochauflösendes Bild davon, wie die Behörden die CS über mehrere Jahre in den Untergang begleiteten. Es ist besorgniserregend.
Der Bericht zeigt: In der akuten Phase der Krise konnten die Behörden mit einem zu späten, zu unkoordinierten und letztlich chaotischen Krisenmanagement dem Untergang der Credit Suisse kaum noch etwas entgegensetzen. Immer zögerte jemand, nie entstand im Kollektiv von Finanzmarktaufsicht, Nationalbank und Finanzdepartement ein gemeinsames Gefühl der Dringlichkeit, wonach man die CS jetzt wirklich aus dem Sumpf ziehen müsse. Stattdessen misstraute jeder jedem.
Auch der «Swiss Finish» in der Bankenregulierung, von dem man in der Schweiz nach der grossen Finanzkrise 2008 stolz sprach, erwies sich als Etikettenschwindel. Ab 2015 verkam er zum «Swiss Discount»: Die Schweizer Behörden, die international eine Vorreiterrolle zu spielen glaubten, liessen es zu, dass die Risiken in der Bilanz der Credit Suisse über die Jahre zu einer Zeitbombe wurden.
Die Versäumnisse wurden für die ganze Welt im Herbst 2022 erstmals sichtbar. Beim ersten Bank-Run der Kunden auf die Credit Suisse fehlte dem Bundesrat ein zentrales Instrument, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Solidität der Bank zu stärken: der sogenannte Public Liquidity Backstop. Ueli Maurer hatte sich jahrelang gegen seine Einführung gestellt. Nun hätte man für die klamme Credit Suisse dieses Instrument gebraucht. Doch für eine Blitzeinführung war es zu spät, weil das noch mehr Unsicherheit um die kollabierende Grossbank geschürt hätte.
Die Finma agierte kurzfristig und situativ
Mindestens so problematisch wie die Rollen des Finanzdepartements und seines ehemaligen Vorstehers ist jene der Finma: Sie intervenierte bei der CS in den Jahren vor der Krise oft. Doch wenn es hart auf hart kam, litt sie an Beisshemmung. Sie agierte kurzsichtig und situativ, ohne Blick auf das grosse Ganze, nämlich darauf, was die langfristigen Konsequenzen ihrer Zurückhaltung sein könnten.
Die Finanzmarktaufseher erlaubten es der CS in den letzten Jahren ihrer eigenständigen Existenz sogar, ihre finanziell besorgniserregende Situation vor dem Markt und den Kunden zu verschleiern: Als die Credit Suisse aufgrund neuer Bilanzierungsvorschriften mehr Eigenkapital hätte halten müssen, gewährte ihr die Finma grosszügige Ausnahmen. Der «regulatorische Filter» erlaubte es der CS, ihre Kapitalsituation zu beschönigen. Ohne diesen Filter hätte die CS weit über 10 Milliarden Franken an zusätzlichem Kapital aufnehmen müssen.
Wäre der Bank das nicht gelungen, wäre ihre Kapitalisierung gesunken – und Aktionären, Kunden und Öffentlichkeit wäre klargeworden, wie schlecht es um die finanzielle Verfassung der CS steht. Doch ausgerechnet die Finma verhinderte dies.
Die PUK stellt in ihrem Bericht nüchtern fest: «Der Filter erlaubte es der CS AG, den Anschein genügender Kapitalisierung bis zum Schluss aufrechtzuerhalten.» Inwiefern politischer Druck aus Ueli Maurers Finanzdepartement bei der Gewährung des Filters eine Rolle spielte, ist noch unklar. Neben der Finma-Präsidentin Marlene Amstad muss sich auch Mark Branson – der ehemalige Direktor ist heute Chef der deutschen Finanzdienstleistungsaufsicht – unangenehme Fragen gefallen lassen.
Die Episode zeigt: Man kann als Finanzplatz die schärfsten Eigenkapitalauflagen der Welt einführen. Wenn man sie im entscheidenden Moment durch Ausnahmen freihändig neutralisiert, sind sie wertlos.
Die Aufsicht war nicht nur bei den Eigenkapitalvorgaben erstaunlich nachgiebig. Wie selbst die in der politischen Würdigung harmlose PUK beklagt, hat die Finma ihr schärfstes Sanktionsinstrument in all den Jahren gegenüber der CS nie angerührt.
Aus Furcht vor langen Gerichtsverfahren hat sie kein einziges Mal einem der CS-Topmanager die Gewähr für eine einwandfreie Geschäftsführung entzogen, eine Massnahme, die einem faktischen Berufsverbot gleichkommt. Die Zurückhaltung dürfte die CS-Führung in ihrer Annahme bestätigt haben, dass ihr die Finma zwar lästig, aber nie gefährlich werden konnte.
Misstrauen behinderte die Zusammenarbeit
Das Versagen der Behörden wiegt umso schwerer, als bei der Bewältigung der CS-Krise viele Dinge falsch gelaufen sind, die bereits vor fünfzehn Jahren bei der Rettung der UBS nicht funktioniert hatten. Oft wurden keine Protokolle geführt, und der Austausch zwischen den Behörden funktionierte schlecht. Misstrauen verhinderte eine echte Zusammenarbeit. Der Finanzminister agierte im Bundesrat über Monate als Einzelmaske.
Als sich die Lage der Credit Suisse ab Sommer 2022 zuspitzte, behandelte Ueli Maurer seine Bundesratskollegen so, als hätten diese nichts anderes im Sinn, als die Stabilisierung der Grossbank zu unterlaufen.
Er informierte sie unregelmässig, unvollständig und immer nur mündlich. Das Misstrauen innerhalb der Kollegialbehörde mag ein Kollateralschaden aus der Corona-Zeit gewesen sein, als es im Bundesrat zeitweise fast bei jeder Sitzung Indiskretionen gab. Doch am Ende kam es in der CS-Krise zu keiner einzigen Indiskretion.
Man sollte aber nicht Maurer allein die Schuld geben: Die anderen Mitglieder der Regierung stehen ebenfalls in der Pflicht. Sie haben sich zwar bereits im Herbst 2022 über die mangelhaften Informationen des SVP-Bundesrates beschwert. Aber sie haben ihren Forderungen nach besseren Informationen nach dem für die ganze Welt sichtbaren Bank-Run offensichtlich nicht genug Nachdruck verliehen. In der Kollegialbehörde schaute jeder für sich und sein Departement.
Auch die nicht protokollierten «Non-Meetings» von Ueli Maurer und dem Ex-SNB-Präsidenten Thomas Jordan mit den Präsidenten der beiden Grossbanken sind Ausdruck eines erstaunlichen Misstrauens in die nach der Finanzkrise etablierten Gremien und Prozesse.
Die Nationalbank und ihr ehemaliger Präsident kommen im Bericht noch am besten weg. Aber sie sollten sich nicht zu sehr freuen über die relativ verhaltene Kritik an ihrer Rolle in der CS-Krise. Als «lender of last resort» haben sie ihre Funktion in der CS-Krise übernommen. Aber die Liquiditätshilfen reichten im März 2023 schliesslich nicht aus, um die Bank vor dem Wochenende der Rettung mit genügend Liquidität zu versorgen. Die CS hatte nicht genügend Sicherheiten vorbereitet. Es brauchte Notrecht.
Ob die SNB bei der Gewährung der Notfall-Liquidität zu formalistisch war, lässt die PUK offen, wohl auch, um sich nicht dem Vorwurf der politischen Einflussnahme auf die Unabhängigkeit der Nationalbank auszusetzen. Trotzdem sollte sich die Nationalbank unter ihrem neuen Präsidenten Martin Schlegel im Klaren sein: Das darf nicht noch einmal passieren.
Fehler eingestehen gehört nicht zu den Stärken der Schweizer Politik und ihrer Behörden. Ein Paradebeispiel ist die Finma, die ihre eigene Leistung in der CS-Krise Ende 2023 in einem «Lessons learned»-Bericht in krasser Weise schönredete und keinen einzigen konkreten Fehler einräumte.
Damit sich die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, ist es für die einzelnen Verantwortungsträger, aber vor allem auch für die Behördenorganisationen als Ganzes zwingend, die eigenen Versäumnisse beim Namen zu nennen.
Die Finanzmarktaufsicht machte am Freitagnachmittag einen Anfang. In einer Mitteilung schrieb sie kleinlaut: «Die Finma kann die im Bericht geäusserte Kritik an der Umsetzung des regulatorischen Filters im Jahr 2017 nachvollziehen.»
Wenn neben der Finma auch Bundesrat und Nationalbank selbstkritisch in sich gehen, braucht es bei der nächsten Bankenkrise dann hoffentlich keine heroische Rettungsaktion mehr.