Der Vorstand des Volkswagen-Konzerns und die Betriebsräte der IG Metall haben sich geeinigt: Betriebsbedingte Kündigungen sind vom Tisch, doch der Konzern will bis 2030 sozialverträglich gut 35 000 Stellen abbauen. Zwei Werke könnten neue Eigentümer erhalten.
Der Streit war zu ernst, als dass nun ein «O du fröhliche» angestimmt werden könnte. Doch beide Seiten haben es immerhin geschafft, für die rund 120 000 Mitarbeiter der Marke VW in Deutschland noch vor Weihnachten mehr Klarheit zu schaffen. Viele Beschäftigte werden erzürnt und erleichtert zugleich sein, denn betriebsbedingte Kündigungen sind trotz einer Streichung von über 35 000 Arbeitsplätzen bis 2030 vom Tisch.
Für die Einigung zwischen Management und Mitarbeitervertretern war allein in dieser Woche ein Kraftakt mit rund 70 Stunden Verhandlungen bis teilweise tief in die Nacht nötig. Das Ergebnis ist ein klassischer Kompromiss, bei dem die Gewerkschafter der IG Metall allerdings äusserst schmerzliche Zugeständnisse machen mussten.
Chronisch schwache Produktivität
Der Abbau von Zehntausenden Stellen soll sozialverträglich über die Zeit geschehen, etwa durch Abfindungsprogramme und Altersteilzeit. Zugleich tritt die Job-Garantie für die verbleibenden Mitarbeiter wieder in Kraft und gilt bis Ende des Jahres 2030. In der Gläsernen Manufaktur in Leipzig sollen ab 2026 keine Autos mehr gebaut, das Werk soll jedoch einer anderen Nutzung zugeführt werden, womöglich ausserhalb des Konzerns. Auch der ebenfalls kleinere Standort Osnabrück bleibt vorerst erhalten, doch steht ein Verkauf immer noch zur Diskussion.
Die grossen Werke in Emden und Zwickau bleiben erhalten. Damit bewegt sich der Kompromiss in einem Rahmen, der schon vor exakt einem Monat von der NZZ skizziert worden ist.
Das Ergebnis ist erfreulich, denn die Marke VW galt im Konzern schon lange als Sanierungsfall. Die Produktivität und die Marge sind chronisch schwach. An der nachhaltigen Sanierung haben sich schon Generationen von Managern die Zähne ausgebissen. Der Grund ist die traditionell starke Stellung der Gewerkschafter im Konzern mit dem grossen Einfluss der Politik. Die beiden Vertreter des Landes Niedersachsen, das mit 20 Prozent der Stimmrechte eine Sperrminorität besitzt, haben bisher stets ihre schützende Hand über die Mitarbeiter gehalten.
Das gilt auch für den derzeit amtierenden sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Stephan Weil und seine grüne Kultusministerin Julia Willie Hamburg, die beide im Aufsichtsrat sitzen und zusammen mit den Arbeitnehmervertretern eine Stimmenmehrheit haben. Dadurch ähnelt Volkswagen oft mehr einem Staatskonzern als einem privaten Unternehmen. Das hat dazu beigetragen, dass die Mitarbeiter im Branchenvergleich exzellente Löhne und einige weitere ungewöhnliche Privilegien geniessen. Eine Folge davon ist die geringe Profitabilität.
Diese konnte der Volkswagen-Konzern in der Vergangenheit durch Gewinne im lukrativen chinesischen Markt und von Audi und Porsche ausgleichen. Doch das ist inzwischen vorbei. Im Reich der Mitte hat Volkswagen bei den Elektroautos vorerst den Anschluss verloren, Audi kämpft ebenfalls mit grossen Problemen, und selbst die traditionell profitabelste Marke Porsche zeigt Schwächezeichen.
Konzernchef Oliver Blume ging «all in»
Mit der Forderung einer harten und nachhaltigen Restrukturierung der Marke ist Konzernchef Oliver Blume ein Risiko eingegangen. Er brachte die Schliessung von bis zu drei Fabriken, Zehntausende betriebsbedingte Kündigungen und eine pauschalen Lohnkürzung von 10 Prozent bei den deutschen VW-Mitarbeitern ins Spiel. In der Welt des Pokers würde man angesichts dieser Ziele wohl von «‹all in› gehen» sprechen. Er hat nun nicht alles bekommen, doch das wird er auch kaum erwartet haben.
Mit den Massnahmen wollten Blume und sein Team eine Marge von 6,5 Prozent bei der Kernmarke VW erreichen. In den Verhandlungen war es das Wichtigste, diese Zielmarke zu erreichen. Das scheint mit den anvisierten Massnahmen offenbar möglich. Zwar läge die Profitabilität damit immer noch deutlich niedriger als jene der tschechischen Schwestermarke Skoda, doch VW könnte die grossen Investitionen in die E-Mobilität und Digitalisierung wohl halbwegs selbst finanzieren.
Für Blume hat sich das grosse Risiko gelohnt, was für die Wolfsburger Strukturen mit ihren Abhängigkeiten und Seilschaften eine Sensation ist. Auch das Land Niedersachsen hat sein Plazet für die einschneidenden Massnahmen gegeben. Das fiel wohl insofern etwas leichter, als die betroffenen Fabriken allesamt in Sachsen liegen.
Marktentwicklung spielt wichtige Rolle
Für Volkswagen stehen bis 2030 nun bemerkenswerte Einschnitte auf der Agenda. Ob diese am Ende ausreichen, um die angestrebte Profitabilität zu erreichen, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Zu diesen gehören die Attraktivität kommender Modelle, die Marktentwicklung in China, der Erfolg neuer Wettbewerber sowie die Verkäufe von Elektroautos, auf die VW seit ein paar Jahren stark fokussiert.
Bestenfalls kann die Marge der Marke in einem besseren Umfeld in ungeahnte Höhen schnellen, schlimmstenfalls muss das Management in einigen Jahren nachjustieren. Dann heisst es: «Alle Jahre wieder.»
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