Vor 20 Jahren reisst ein Tsunami am Indischen Ozean 230 000 Menschen in den Tod. Milanka Kurti überlebt. Die Geschichte einer Familie, die seither nicht mehr die gleiche ist.
Der Frühstückstisch ist gedeckt. Milanka Kurti sitzt mit der ganzen Familie an einer langen Tafel auf der Terrasse eines Hotels in Khao Lak, Thailand. Das Meer liegt nur wenige Schritte entfernt. Das Luxusresort «Sofitel Magic Lagoon» wurde vor wenigen Tagen eröffnet, die letzten Zimmer wurden gerade erst fertiggestellt. Es sei das grösste und luxuriöseste Hotel der Region, heisst es.
Von der Terrasse aus sieht man einen Felsen, von dem aus eine Rutschbahn ins Meer führt. Die edlen Bungalows säumen den weissen Sandstrand, die Gäste gelangen durch eine Glastür aus dem Zimmer direkt ins Wasser.
Am Abend zuvor hat das Hotel ein grosses Weihnachtsbankett organisiert. Milanka Kurti und ihre Familie zogen sich chic an, die Kinder liessen ihre Gesichter schminken, die Hotelgäste feierten ausgelassen. Seit Jahren reist Milanka Kurti über die Festtage mit ihrer Mutter und der Familie ihrer Schwester Sana ans Meer. Nun ist auch eine befreundete Familie dabei. Milanka selbst ist alleine mit dem jüngsten ihrer drei Söhne angereist, ihr Partner ist zu Hause geblieben.
Doch die Stimmung ist dieses Mal anders. Milanka Kurtis Mutter erhielt vor wenigen Wochen die Diagnose Brustkrebs, ihre Lungen sind bereits stark befallen. Sie wird zusehends schwächer. Kurti befürchtet, es könnten die letzten gemeinsamen Ferien sein. Sie sollte recht behalten.
Auf der Terrasse geht das Frühstück langsam zu Ende. Es ist der Morgen des 26. Dezember 2004, kurz vor zehn Uhr, als die Familie vom Tisch aufsteht. Jeder geht zum nächsten Programmpunkt: Kurtis Sohn Alessandre, 9, geht mit dem 7-jährigen Cousin und seinem Onkel Helmut aufs Zimmer, sie wollen schwimmen gehen.
Der Vater der befreundeten Familie ist bereits aufgebrochen, um ein Auto zu mieten. Seine 16-jährige Tochter hat längst gefrühstückt, sie ist beim Tauchen; sein Sohn, 20, hat sich in den Bungalow zurückgezogen. Er würde nur wenige Tage hier bleiben, gleich nach Silvester muss er wegen des Studiums zurückkehren.
Am Tisch zurück bleiben Milanka Kurti, ihre Mutter und ihre zweieinhalbjährige Nichte, Anita. Sie sind gerade am Zeichnen, als die kleine Anita mit ihrer Omi auf die Toilette will. Plötzlich hört Milanka lautes Geschrei. Sie schreckt auf und sieht, dass das Meer plötzlich weit weg ist. Sie kann es nicht einordnen.
Dann geht alles schnell: Auf dem Tisch liegt eine Fotokamera, sie will danach greifen. Doch mit einem lauten Donnern peitschen die Wassermassen auf ihren Körper ein und reissen sie mit. Wenn sie wieder auftaucht, wird die Welt eine andere sein.
«Ich war sehr unbeschwert»
Heute, fast 20 Jahre später, sitzt Milanka Kurti am Tisch im Wintergarten ihrer Wohnung in Dotzigen bei Biel, die Nachmittagssonne fällt auf ihr nachdenkliches Gesicht. Ihre einst blonden Haare sind heute schneeweiss. Ihre Haltung ist kerzengerade, die Körperspannung gleicht der einer Sportlerin. «Das ist wichtig. Ich spüre meine Gelenke und meine Knochen heute viel mehr als vorher.» An Silvester wird sie 59 Jahre alt.
Milanka Kurti teilt ihr Leben in die Zeit vor und jene nach dem Tsunami. Sie ist in Wien aufgewachsen und zog mit 20 Jahren in die Schweiz. In Biel gründet sie eine Familie, wird Mutter zweier Söhne. In einer späteren Beziehung bringt sie ihren jüngsten Sohn zur Welt, Alessandre. Er ist 6 beziehungsweise 8 Jahre jünger als seine Brüder.
Vor dem Tsunami arbeitet Kurti als Model, als Securitas-Mitarbeiterin und als Motorboot-Lehrerin. Auch im Verkehrsdienst ist sie eine Zeitlang tätig. Sie mag es, sich immer wieder neu zu erfinden. «Ich war sehr unbeschwert und lustig», sagt sie heute. Auch spirituell ist sie interessiert. Mit ihrer Schwester reist sie mehrfach nach Chiang Mai, dem spirituellen Zentrum Thailands. Das wäre auch der Plan gewesen in den Ferien 2004, nach den Strandferien in Khao Lak.
Doch dazu kam es nie. Was Milanka Kurti in Thailand widerfahren sollte, lässt sich kaum in Worte fassen. Sie versucht es trotzdem.
«Die Menschen liefen herum wie Zombies»
Die grosse Welle reisst Milanka Kurti mit. Sie weiss nicht, wie lange sie schon unter Wasser ist. War es eine Minute? Waren es zwei? Sie ist eine gute Schwimmerin, und doch wirbelt sie das Wasser in alle Richtungen. Ein lautes Dröhnen umgibt sie. Harte Gegenstände prallen gegen ihren Körper. Was oben und unten ist, weiss sie längst nicht mehr.
Als sie die Orientierung zurückerlangt, liegt sie irgendwo im zweiten Stock eines Hotelgebäudes. Das Wasser steht bis hier. Kurti sieht, wie es sich zurückzieht und wie es danach wiederkommt. «Ich lag da und spürte nichts», sagt sie. Ob sie sich Verletzungen zugezogen hat, weiss sie nicht.
Etwa zehn Personen befinden sich bei ihr im zweiten Stock. «Es kommt noch eine Welle!», rufen sie. Manche knüpfen Bettlaken aneinander, um Personen aus dem Wasser zu sich zu ziehen. «Es war so laut. Überall hörte ich Schreie, ein riesiges Chaos», erzählt Milanka Kurti.
Als das Wasser weg ist, hört sie die Leute um sich herum rufen: «Wir müssen sofort weg!» Sie folgt, ohne nachzudenken. Wege gibt es keine mehr, überall liegen Geröll, Scherben und Schlamm. Als sie durch das unwegsame Gelände waten, schiesst es Kurti durch den Kopf: die Jungs! Sie ruft: «Alessandre! Alessandre!»
Wie durch ein Wunder hört sie von oben eine ihr bekannte Stimme: «Mami, hilf mir!» Alessandre und sein Cousin stehen auf dem Dach eines Bungalows. Kurti realisiert, dass sie es nicht zu ihnen hochschafft. «Ich kann nicht!» Ihre Bewegungen werden immer zaghafter. «Die Leute liefen herum wie Zombies. Ich auch.»
Auf der anderen Seite ruft Milanka Kurtis Schwester nach ihr. Auch sie lebt. «Ich habe Mami und Anita verloren!», sagt Kurti verzweifelt. Das Atmen fällt ihr immer schwerer. Dann wird ihr plötzlich schwarz vor Augen.
Ihre Schwester Sana tätschelt ihr auf die Wange, um sie wieder zurückzuholen. Es gelingt halbwegs. Milanka kann nicht richtig atmen. Zu viel dreckiges Wasser und Schlamm ist durch ihre Nase in die Lunge gelangt. Sana reicht ihr einen Inhalierstift, der die Atmung erleichtern soll. Woher sie ihn hat, daran werden sich später beide nicht mehr erinnern können. Milanka Kurti hält den Stift fest in der Hand und lässt ihn nicht mehr los. Jedes Mal, wenn ihr Atem schwächer wird, riecht sie wieder daran. Es ist ihre einzige Sicherheit in diesem Moment.
Neben Milanka Kurti liegt ein Mann. Er ist schwer verletzt, wenige Minuten später stirbt er. Kurti bekommt davon kaum etwas mit. «Es müssen sehr viele Tote dort gelegen sein», sagt sie. Als sie imstande ist aufzustehen, nimmt ihre Schwester sie an der Hand und setzt sie auf ein nahendes Mofa. Der Fahrer verspricht, sie zum Spital zu bringen. Dann verlässt Milanka Kurti, halb bei Bewusstsein, das Trümmerfeld. Ohne ihren Sohn. Ohne Anita.
Was die anderen erlebt haben
Erst viel später wird Milanka Kurti erfahren, was mit den anderen passiert ist, die noch am Morgen mit ihr am Frühstückstisch sassen.
Ihr Sohn Alessandre, sein Cousin und dessen Vater Helmut stehen vor dem Bungalow, als die Welle sie erfasst und an die Wand drückt. Die Wassermassen schwemmen Helmut anschliessend auf den Balkon. Von dort versucht er, die beiden Jungs aus dem Wasser zu sich zu ziehen. Es gelingt. Helmut verletzt sich, doch alle überleben.
Kurtis Schwester, Sana, steht dahinter und sieht gerade noch, wie die Welle die Glasfront des Bungalows zerbricht. «Kinder, Welle!», ruft sie noch. Dann füllt sich das Zimmer mit Wasser. Sana, eine gute Schwimmerin, krümmt sich zusammen wie ein Embryo, um sich zu schützen. Gibt die Tür durch den Druck des Wassers nicht nach, würde sie hier ersticken. Doch die Tür geht auf, es spült sie nach draussen. Auch sie hat viel Schlamm und Dreck eingeatmet. Doch die grösste Verletzung, die sie davontragen wird, ist keine körperliche.
Die Tochter der befreundeten Familie, die am Tauchen ist, hat grosses Glück. Sie überlebt die starken Strömungen im Meer unverletzt. Erst als sie an Land zurückkehrt und die Zerstörung sieht, sollte ihr bewusst werden, was gerade passiert ist.
Ihr Vater steht bereits bei der Autovermietung, als die Welle kommt. Er ist genügend weit weg, um sich in Sicherheit zu bringen.
Der junge Student, der Sohn der befreundeten Familie, befindet sich im Zimmer. Er findet keinen Ausweg mehr. Auch sein Bungalow füllt sich sofort mit Wasser. Doch die Türe geht nicht auf. Er ertrinkt.
Was mit Milanka Kurtis Mutter und der kleinen Anita passiert ist, weiss niemand. Sicher ist einzig: Weder die Mutter noch das kleine Mädchen können schwimmen. Nachdem die Welle sie beim Frühstückstisch erfasst hat, sind beide verschwunden. Sie sind verschollen, wie Tausende andere Menschen auch.
Kein Hinweis führt zu Anita
Milanka Kurti liegt im Gang eines Spitals in der Nähe von Khao Lak. Auch hier herrscht Chaos: Überall liegen, sitzen und stehen Menschen. Immer wieder werden Zettel aufgehängt mit Fotos oder Namen von Personen, die gesucht werden. Oder solchen, die gefunden wurden. Es ist laut, stickig und dreckig.
In der Hand hält Kurti ihren Vicks-Inhalierstift. Sie erhält Sauerstoff durch eine Maske. Die Flut liegt nun schon einen Tag zurück. Ihr Sohn Alessandre und sein Cousin haben überlebt. Sie sind bei ihr im Krankenhaus. Ihre Schwester sucht mit ihrem Mann ununterbrochen nach der kleinen Anita und der Mutter. Ohne Erfolg.
Noch aus dem Spital kann Milanka Kurti einen Anruf in die Schweiz tätigen. Sie lässt ihre beiden anderen Söhne wissen, dass sie lebt. Drei Tage wird sie insgesamt hier bleiben. Dann geht alles schnell: Am 29. Dezember, zwei Tage vor ihrem Geburtstag, wird Milanka Kurti für den Transport mit der Rega vorbereitet. Ihr Sohn und auch ihr Neffe werden mitfliegen.
Weil sie keinen Kontakt mit ihrer Schwester aufnehmen kann, schreibt sie einen Zettel und hängt ihn ans Brett im Krankenhaus, neben die Namen und Gesichter von Vermissten und Gefundenen: Sie werde mit den beiden Jungs in die Schweiz gebracht, schreibt sie. Dann verlässt sie Thailand.
In der Schweiz angekommen, wird Milanka Kurti im Spital untersucht. Ihre Wirbelsäule wurde geschädigt, ihre Hüfte ebenso. In ihrer Nasenhöhle und der Lunge hat sich viel Dreck angesammelt. Ihren Geburtstag und Neujahr verbringt sie im Spitalbett. Erst hier wird Kurti erstmals das Ausmass der Zerstörung bewusst, als sie Bilder und Nachrichten davon sieht.
Es dauert nicht lange, bis die ersten Medien im Spital sind, um über die Überlebenden des Tsunamis zu berichten. Milanka Kurti willigt ein, lässt sich fotografieren und interviewen. Sie hofft, dass jemand vielleicht ihre Nichte oder ihre Mutter gesehen hat und sich bei ihr meldet.
Alessandres Cousin kehrt an Neujahr zurück nach Wien, wo Milankas Schwester mit ihrer Familie lebt. Der Vater Helmut, der bei den beiden Jungs war, als die Flut kam, reist in den nächsten Monaten alle paar Wochen nach Thailand, um nach Anita zu suchen. Immer wieder gehen Hinweise ein von Menschen, die Anita, das kleine Mädchen mit den braunen, lockigen Haaren, irgendwo gesehen haben wollen. Kein Hinweis führt zur kleinen Anita. «Wenn es um Geld geht, haben plötzlich alle irgendetwas gesehen», sagt Milanka Kurti.
Ist die Mädchenleiche Anita?
Es gibt keine Anleitung, wie man das Trauma eines Tsunamis verarbeitet. Vor 2004 weiss kaum jemand, was ein Tsunami überhaupt ist, geschweige denn, wie man überlebt, wenn man überlebt hat. «Das Jahr 2005 ist völlig an mir vorbeigegangen», sagt Milanka Kurti. «Da war so viel Schmerz, so viel Trauer, ich konnte mich kaum bewegen.»
Im April wird ihre Stirnhöhle operiert und von Ablagerungen aus der Flut befreit. Das Atmen fällt ihr wieder leichter. Im Mai wird sie an der Hüfte operiert, sie muss seither viel Sport machen, um sie zu stabilisieren. Auch an ihrem Rücken arbeitet sie lange. Konzentriert sie sich nicht auf eine gerade Haltung, dreht sich ihr Oberkörper leicht nach aussen.
Im Juli reist Milanka Kurti das erste Mal zurück nach Thailand. Die Leiche einer Frau, die ihre Mutter sein könnte, wurde gefunden. Milanka Kurti identifiziert sie vor Ort. Nun hat sie Gewissheit. In einer buddhistischen Zeremonie wird die Leiche ihrer Mutter kremiert. Die Asche wird anschliessend nach Serbien, der Heimat von Milankas Eltern, übergeführt.
Nach der Zeremonie besucht Milanka Kurti auch das Hotel, in dem sie ihre Mutter zum letzten Mal gesehen hat – oder das, was davon übrig blieb. «Es war eine einzige Ruine. Nichts erinnerte mehr an das schöne Resort, in dem wir Weihnachten gefeiert haben.»
Noch im selben Sommer erreicht die Familie die Nachricht von den österreichischen Behörden. Eine Mädchenleiche sei in Khao Lak gefunden worden, deren DNA mit jener von Anita übereinstimme. Der kleine Körper, ohne Hände und Füsse, wird zur Familie nach Wien gebracht und dort begraben. Doch ihre Eltern, Sana und Helmut, sind nicht überzeugt, dass es sich dabei wirklich um ihre Tochter handelt. Auch Kurti zweifelt. Die Eltern haben das Grab in den 20 Jahren kaum besucht.
Vielleicht ist es Hoffnung, vielleicht auch Verdrängung: Anitas Eltern beantragen keinen zweiten DNA-Test. Mehrere Personen hätten angegeben, ihre Tochter nach dem Tsunami gesehen zu haben. Auf der verzweifelten Suche nach Anita suchte Milanka Kurtis Schwester auch ein spirituelles Medium auf. Anita sei am Leben und sie sei von einer Familie aufgenommen worden, versicherte das Medium.
Bis heute hat die Familie die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, Anita doch noch zu finden. Kurtis Schwester hat die verzweifelte Suche und den Umgang mit dem Verlust in einem Buch mit dem Titel «Meine geliehene Tochter» verarbeitet.
Milanka geht anders damit um. Auch sie spüre noch eine kleine Hoffnung, dass das Mädchen im Grab nicht Anita sei. Dennoch: «Ich habe losgelassen», sagt sie. «Sonst findet man keinen Frieden.»
«Ich sehe die Welt heute anders»
Milanka Kurti führt nach dem Tsunami ein anderes Leben. Ihre damalige Beziehung ging drei Jahre nach dem Tsunami in die Brüche. Vier Jahre nach der verheerenden Welle lernte sie ihren heutigen Ehemann kennen. Milanka Kurti ist aus der Stadt Biel ins ländliche Dotzigen gezogen und nennt sich nun, im Leben nach dem Tsunami, Milanka Fankhauser.
Sie hat Halt nicht nur in einer neuen Beziehung, sondern auch in der Spiritualität gefunden. Zwar habe sie nach dem Tsunami auch einen Psychologen besucht, genauso wie ihr Sohn Alessandre. «Aber ich wollte tiefer gehen.» Milanka Fankhauser erzählt davon, «Seelenarbeit» und «Energiearbeit» gemacht zu haben. Auf eine Glaubensrichtung will sie sich nicht beschränken. Seit ein paar Jahren bietet sie selbst Energieberatungen an, sie will anderen Menschen helfen, «ihre Seele zu heilen».
«Ich sehe die Welt heute anders», sagt sie. Sie sei ernster und schwermütiger als vor dem Tsunami. Wenn sie Nachrichten über Erdbeben und Kriege lese, könne sie sich besser in die Betroffenen hineinversetzen. «Ich weiss, was es heisst, seine Familie zu suchen oder verletzt dazuliegen und darauf zu warten, dass man gerettet wird.»
Zum Meer hat sie seit dem Tsunami eine ambivalente Beziehung. Sie macht immer noch gerne Strandferien. «Aber ich habe heute sehr viel Respekt vor dem Wasser.» In einem Zimmer direkt am Strand will sie nicht mehr schlafen. «Am liebsten auf einem Hügel.» Das Schwimmen, das sie einst so geliebt hatte, hat sie aufgegeben. «Dann gehe ich lieber ins Solbad», sagt Milanka Fankhauser und lacht.
Überhaupt wirkt sie gefasst, wenn sie über das Erlebte spricht. Als würde sie über das Leben einer anderen Frau erzählen. Ihre Augen werden nicht feucht, ihre Stimme zittert nie. Das sei nicht immer so gewesen. Zwar sei die Normalität nach dem schwierigen ersten Jahr bald wieder eingekehrt. «Ich hatte ja noch drei Kinder, ich musste schnell wieder auf die Beine kommen.»
Doch sie habe lange gebraucht, um zu trauern und das Geschehene zu verarbeiten. «Der Tsunami hat nicht nur mich verändert, sondern meine ganze Familie», sagt Fankhauser. «Ich habe fast 19 Jahre gebraucht, um zurück ins Leben zu finden.» Heute könne sie besser akzeptieren, was passiert sei. Sie sagt: «Der Tsunami ist ein Teil von mir.»
Mehr Tote als in jedem anderen Hotel
Bald will Milanka Kurti Fankhauser wieder nach Khao Lak reisen, gemeinsam mit ihrem Mann. Er war noch nie an dem Ort, der seine Frau für immer verändert hat. «Es soll dort heute ganz anders aussehen», sagt sie. Es klingt nicht wehmütig, sondern neugierig.
Im Hotel «Sofitel Magic Lagoon», dem schönsten und grössten Hotel der Region, hat Milanka Kurti Fankhauser ihre Mutter und ihre Nichte das letzte Mal gesehen. In dem Hotel starben an jenem Tag über 300 Gäste und Angestellte, mehr als in jedem anderen Hotel. Allein 187 von ihnen kamen aus Deutschland.
Daran erinnert heute nichts mehr. Auf dem Fundament des zerstörten «Magic Lagoon» steht nun das Luxusresort «JW Marriott Khao Lak». Es hat fast 300 Räume, vom Zimmer gelangen die Gäste direkt an den Pool. Gefrühstückt wird mit Blick aufs Meer.