Kein Konzern im Schweizer Leitindex schnitt 2024 so schlecht ab wie der Logistikriese. Stattdessen lieben Anleger den dänischen Konkurrenten DSV. Sie haben ihre Gründe.
Donald Trump eignet sich auch als Weihnachtsmann. Als Trump nach der Wahl im November vielen Ländern mit Importzöllen drohte, machte der künftige US-Präsident der internationalen Speditionsbranche ein Weihnachtsgeschenk. Darüber freut sich Stefan Paul, CEO des Logistikriesen Kühne + Nagel: «Wir spüren stark, wie Kunden vor seinem Amtsantritt Lieferungen in die USA vorziehen.» Torschlusspanik greift um sich, bevor Trump in wenigen Wochen in den Welthandel eingreifen kann.
Der Schub betrifft Hightech-Güter, aber auch E-Commerce-Produkte aus Asien, insbesondere China. Dem Reich der Mitte droht Trump besonders gerne. «Die Unsicherheit ist gross, ob neue Zölle erlassen werden. Die Preise für einzelne Transportwege ziehen bereits an», berichtet Paul im Gespräch. Das bedeutet hektische Vorweihnachtstage für den Chef des Speditionskonzerns mit Sitz in Schindellegi.
Vor einem Jahr hui, jetzt pfui
Die Betriebsamkeit dürfte willkommen sein, denn Kühne + Nagel muss aufholen. Auf Jahressicht ist der Transportdienstleister der grosse Verlierer im SMI. Seit Anfang Januar haben seine Aktien etwa 30 Prozent an Wert verloren und stehen nun bei rund 200 Franken. Vor Nestlé ist der Spediteur das Schlusslicht im Schweizer Leitindex. Es ist eine kalte Dusche: Im Jahr 2023 hatten die Titel noch um einen Drittel zugelegt.
Auch damals hatte es zum Jahresende gute Nachrichten für Logistiker gegeben. Wobei «gut» in dieser Branche vom Standpunkt abhängig ist: Huthi-Rebellen in Jemen eröffneten Ende 2023 das Feuer auf Frachtschiffe im Roten Meer. Seither nehmen die Schiffe den langen Umweg um das Kap der Guten Hoffnung. Doch sobald es im Welthandel kompliziert wird, sind Spezialisten wie Kühne + Nagel gefragt, um Waren schnell und zuverlässig ans Ziel zu bringen.
Als der Weg durch den Suez-Kanal zu gefährlich wurde, schossen die Frachtpreise in die Höhe – und mit ihnen zunächst auch der Aktienkurs von Kühne + Nagel. Der Preiseffekt war anhaltend: Im Juli kostete es 8200 Dollar, einen Standardcontainer von Schanghai nach Rotterdam zu verschiffen. Das war fünf Mal so viel wie zwölf Monate zuvor und immerhin mehr als halb so teuer wie auf dem Höhepunkt der Lieferkettenkrise in der Corona-Pandemie.
Der Corona-Kater war schmerzvoll
Doch der Aktienkurs von Kühne + Nagel konnte das Plus nicht halten. Er war bereits im März wieder eingebrochen, als der Konzern den Jahresabschluss für 2023 vorlegte. Schuld war die Ernüchterung der Investoren: Während der Corona-Pandemie war es dem damals weltgrössten Transporteur von See- und Luftfracht glänzend ergangen. Er erwirtschaftete 2022 einen Umsatz von 39,4 Milliarden Franken.
Umso grösser war der Kater, als sich die Lage normalisierte. Im Jahr 2023 fiel der Umsatz auf 23,9 Milliarden Franken zurück; der Betriebsgewinn (Ebit) halbierte sich auf 1,9 Milliarden Franken. Beides ist mehr als vor der Pandemie, doch Analysten glaubten, der Konzern würde besser davonkommen.
Ausserdem profitiert Kühne + Nagel nicht sofort, wenn die internationalen Frachtpreise anziehen. Der Konzern hat keine eigenen Schiffe, sondern mietet bei Reedern den Platz für die Fracht. Es dauert, bis sich das höhere Preisniveau in neuen Verträgen mit den Kunden niederschlägt. Je länger die Preishausse, desto stärker wird sie überwälzt.
Ab dem dritten Quartal werde man das höhere Preisniveau bei der Seefracht in den Geschäftszahlen merken, versprach der CEO Paul Ende Juli. Doch genau seit jenem Zeitpunkt sind die Frachtpreise wieder gefallen – obendrein stärker, als viele Beobachter erwartet hatten.
Die globalen Logistikketten haben sich angepasst: Es gibt inzwischen genug Container und Schiffskapazitäten für den bis zu zwölf Tage längeren Transportweg rund um Afrika. Ausserdem dämpft die Wirtschaftslage. In wichtigen Regionen wie Europa und China hat sie sich nicht wie erhofft erholt.
DSV bietet die spannendere Börsen-Story
Zwar liegen die Frachtpreise noch auf höherem Niveau als vor einem Jahr. Und im dritten Quartal zeigten die Geschäftszahlen von Kühne + Nagel tatsächlich einen Aufwärtstrend, nachdem sich der Konzern angestrengt hatte, effizienter zu werden.
Doch inzwischen hat die Börse ein neues Problem mit Kühne + Nagel. Dieses Problem heisst DSV. Im September kündigte der dänische Konkurrent an, DB Schenker zu übernehmen, die Logistiktochter der Deutschen Bahn. Daraufhin schoss der Aktienkurs von DSV in die Höhe. Gleichzeitig fiel jener von Kühne + Nagel in die Tiefe.
Durch die Fusion mit Schenker schiebt sich DSV im stark fragmentierten Logistikmarkt an die internationale Spitze, zumindest gemessen am gemeinsamen Umsatz von zuletzt 39,3 Milliarden Euro. Kühne + Nagel kommt hinter der deutschen DHL auf Platz drei. Dass Anleger und Analysten über den Zusammenschluss so erfreut sind, liegt an den Grössenvorteilen und Einsparungen, die DSV versprochen hat.
Übernahmen gehören zum Geschäftsmodell von DSV. Im Jahr 2019 bekam das die Panalpina zu spüren. Entgegen ersten Zusagen haben sich die Dänen den Schweizer Konkurrenten restlos einverleibt. Am Heimatsitz in Basel ist nicht mehr viel übrig von dem früheren Transportriesen. Doch an der Börse kommt diese Strategie gut an.
Kühne + Nagel bleibt konservativ
Kühne + Nagel wird abgestraft, weil die Firma anders vorgeht. «Wir stehen für organisches Wachstum ohne schuldenfinanzierte Grossübernahmen», sagt der CEO Paul. Höchstens gönnt sich der Konzern kleinere Zukäufe, welche das Geschäft ergänzen.
So wie im November, als er das amerikanische Unternehmen IMC Logistics erwarb, das auf den Transport von Schiffscontainern über Land zu und von den amerikanischen Häfen spezialisiert ist. Die konservative Strategie ist ganz im Sinne vom deutschen Milliardär und Grossaktionär Klaus-Michael Kühne, der 55 Prozent der Konzernanteile hält.
Anders als DSV will Kühne + Nagel die Börse 2025 auf konservativem Weg überzeugen: Man will deutlich organisch wachsen, und das schneller als die Weltwirtschaft, wie Paul sagt. Gelingen soll dies auch gerade wegen der Konsolidierung in der Branche: «Wir werden derzeit von vielen Grosskunden von DSV und Schenker angesprochen, die zu uns wechseln möchten», so der CEO.
Die Unternehmen möchten ihre Risiken streuen und sich nicht nur auf einen Spediteur verlassen. Davon profitierte Kühne + Nagel bereits nach der Panalpina-Übernahme durch DSV.
Wird Trump Risiko oder Chance?
Bleibt die Frage, wie viel es zu handeln geben wird: Donald Trump hat mit seinen Zollandrohungen ausgelöst, dass Lieferungen vorgezogen werden – und nicht unbedingt, dass zusätzliche getätigt werden. Möglicherweise ist es ein Strohfeuer. Langfristig können neue Handelshemmnisse den internationalen Warenaustausch belasten, wie etwa die Bank of America anmerkte, als sie Mitte Dezember den Ausblick für die Aktien von Kühne + Nagel auf «underperform» senkte.
In Schindellegi bleibt man dennoch leicht positiv gestimmt. Eine fragmentierte Handelswelt wünsche er sich zwar schon aus gesamtwirtschaftlichen Gründen nicht, sagt Paul. «Aber sie muss für uns nicht per se schlecht sein», setzt der seit Sommer 2022 amtierende Chef hinzu. Es böten sich viele Opportunitäten. Je schwieriger die logistischen Anforderungen, desto besser könne man sich von Konkurrenten differenzieren.