Auch in Japan gibt es eine nostalgische Sehnsucht nach den 1980er Jahren, in denen das Land noch «gross» war. Eine TV-Serie spielt das Szenario durch, einen Mann von damals in die Gegenwart zu katapultieren – entlarvend ist das für beide Seiten.
Geht’s noch? Anfang Dezember wurde «Futehodo» zum japanischen Begriff des Jahres 2024 gewählt. Es handelt sich hier um eine dieser vielen kreativen Wortschöpfungen und Neukombinationen, für die das Japanische so ausserordentlich offen ist.
Der Begriff geht auf die erfolgreiche Fernsehserie «Futekisetsu ni mo hodo ga aru!» zurück, was sich etwa mit «Das geht zu weit!» ins Deutsche übersetzen lässt. Und «too much» ist vieles hier, was wohl auch zu einem der grössten Booms der letzten Jahre beigetragen und einen Nerv der Zeit getroffen hat.
Aus der Zeit katapultiert
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der kettenrauchende Sportlehrer und alleinerziehende Vater Ichiro, der bei einer Busfahrt aus dem Jahr 1986 ins Jahr 2024 – oder in der japanischen Zählweise aus der Showa-Zeit in die noch junge Reiwa-Periode (ab 2019) – katapultiert wird. Zunächst versucht er verzweifelt zurückzukehren, denn die Gegenwart befremdet ihn über alle Massen. Seine Werte und sein Verhalten sind buchstäblich aus der Zeit gefallen, und er erweist sich als regelrechtes Fossil im zwischenmenschlichen Umgang.
Mit beissendem Spott karikiert die Serie den Kontrast zwischen der Gegenwart und dem Benehmen und den Wertvorstellungen einer bloss vierzig Jahre zurückliegenden Vergangenheit. Dabei nimmt sie nicht nur die ältere Generation, sondern auch die Gen Z Japans auf die Schippe, die sich mit ihren Ansprüchen in Bezug auf politische Korrektheit das Leben nicht immer einfacher macht. Trotz aller Satire werden die Figuren empathisch gezeichnet, und immer wieder wird zwischen den Generationen vermittelt. Wenn von «Insta» die Rede ist, verstehen nun einmal die einen bloss «Instant-Nudeln».
Um die Handlung besser zu verstehen, hilft ein Blick auf die gesellschaftliche Stimmung nach dem Platzen der Wirtschaftsblase der neunziger Jahre. In dieser ökonomisch schwierigen Zeit entstand eine Sehnsucht nach der vergangenen Ära, in der zumindest rückblickend alles besser, einfacher und sicherer gewesen zu sein scheint. In der es noch verlässliche Werte wie die lebenslängliche Anstellung und sichere Renten gab und nicht alle Leute ständig am Handy waren. Diese Showa-Nostalgie besitzt durchaus ihren Reiz, wie sich an der Beliebtheit von Retro-Cafés und dem gemütlichen Charme des Altmodischen zeigt. In einer Gegenwart mit kühlem Design, Online-Dating und Dauerstress verklärt sich die gute alte Zeit und erscheint in einem warmen Licht.
Gängige Stereotype
Doch «Futehodo» setzt dieser romantisierenden Sicht einen Vexierspiegel entgegen. Unangemessen ist hier nicht die heutige junge Generation, sondern der Sportlehrer Ichiro selbst. Mit sexistischen Sprüchen und sonstigen Äusserungen, die in den achtziger Jahren gang und gäbe waren, gerät er in der Gegenwart schnell an seine Grenzen und verhält sich total daneben.
Dabei kann er nicht einmal etwas dafür, da er selbst den Wandel von Werten, Lebensrealitäten und Vorstellungen komplett verpasst hat. So war im Japan der achtziger Jahre beispielsweise die Ansicht, dass Frauen bis spätestens Ende zwanzig unter der Haube sein sollten, ebenso verbreitet wie Witze über behinderte Menschen oder eben die Überzeugung, dass eine gute Ausbildung einem eine sichere Anstellung garantiere.
Diese Zeiten sind längst vorbei, doch die Serie zeigt mit Humor und Tiefgang, wie diese alten Ansichten auf die moderne Gesellschaft prallen – und beide Zeiten ihre positiven und negativen Aspekte haben. Selbstverständlich ist alles nach guter japanischer Serientradition in eine berührende Familiensaga eingebettet, und auch die Musik kommt nicht zu kurz.
Am Ende bleiben ein Lächeln und vielleicht auch eine neue Neugier auf den Austausch zwischen Alt und Jung. Gerade die kommenden Neujahrsfeiertage bieten dafür den perfekten Rahmen. Und wer weiss? Vielleicht sorgt «Futehodo» ja auch bei den traditionellen Familientreffen für die eine oder andere Diskussion über das, was heute «zu weit» geht.