Axel Lehmann wollte für die Credit Suisse die Wende herbeiführen. Wie der Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zeigt, schätzte er die Lage zu optimistisch ein. Bei den entscheidenden Verhandlungen spielte er keine Rolle mehr.
Der letzte Sonntag der Credit Suisse beginnt früh für Axel Lehmann: Um 6.45 Uhr am 19. März 2023 telefoniert der Verwaltungsratspräsident der Bank mit Urban Angehrn, dem damaligen Direktor der Finanzmarktaufsicht (Finma) und hohen Behördenvertretern: «Axel, Klartext: (. . .) Der Wert der Aktie der CS ist null», teilte Angehrn Lehmann mit deutlichen Worten mit.
Anschliessend zählte er dem Präsidenten die Bedingungen für die Rettung der maroden Grossbank auf. Lehmann habe darauf nur zögerlich reagiert, worauf ihm die Finma auseinandersetzte, dass dann die Alternative eine Abwicklung der CS mit entsprechenden Risiken für die Finanzmärkte im In- und Ausland sei. Wenige Stunden später war die Notfusion der CS mit der UBS Tatsache.
Veröffentlicht hat das Gespräch die parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) am Freitag in ihrem Bericht zur CS-Krise. Fokussiert hat sie bei ihrer Untersuchung auf die Arbeit der Behörden und nicht auf die internen Geschehnisse bei der Bank. In dem Bericht zeigt sich jedoch immer wieder die Realitätsverweigerung der Führungsriege der CS um Axel Lehmann und CEO Ulrich Körner. Sie verhielten sich in der Krise zu passiv, schätzten die Lage der Bank bis zum Schluss falsch ein. An diesem entscheidenden Wochenende war Lehmann nur noch Statist.
Zu lange zu optimistisch
Als sich im Herbst 2022 die Krise der CS zu verschärfen begann, war Lehmann auf Tauchstation. Die Bank arbeitete an einer neuen Strategie, die Restrukturierungspläne unter dem Codename «Project Africa» sollten Ende Oktober vorgestellt werden.
Bis zur Strategievorstellung schwiegen Lehmann und Bankchef Ulrich Körner nach aussen eisern. Auch, als Kunden Anfang Oktober nach einem Tweet eines australischen Journalisten innerhalb von zwei Wochen Gelder von mehr als 80 Milliarden Franken von der CS abzogen.
Das lange Schweigen erwies sich als fatal. Der Bankspitze gelang es nicht, die Situation wieder zu stabilisieren. Laut dem PUK-Bericht musste sie eine Woche vor der geplanten Strategieankündigung die Finma um zusätzliche temporäre Erleichterung bei den Liquiditätsanforderungen bitten. Der Regulator gewährte ihr diese, kritisierte gleichzeitig aber, dass die Bank bisher nur ungenügende Massnahmen eingeleitet habe, um die Geldabflüsse zu stoppen.
Für die Bank blieb der erhoffte Befreiungsschlag aus. Lehmann und Körner schafften es nicht, die Investoren von der neuen Strategie zu überzeugen, es flossen weiter Gelder aus der Bank ab. Als die Finma im November darauf zu drängen begann, dass ihr die Bank mögliche Kaufinteressenten nennt, konnte die CS dies nicht. Laut PUK-Bericht verwies sie aber auf das positive Feedback aus der Branche zur neuen Strategie.
Lehmann erscheint zunehmend als jemand, der die Situation der Bank falsch einschätzte. Die Finma hatte lange Zeit den Eindruck, dass der Verwaltungsrat der CS ihre Besorgnis nicht teile, wie die PUK in ihrem Bericht schreibt. Wie optimistisch der CS-Präsident die Situation der Bank auch noch am Jahresende einschätzte, zeigt, dass er den Verkauf der CS bestenfalls als «Plan Z» betrachtete und deshalb mit dem Verwaltungsrat auch keine formelle Diskussion darüber geführt habe, so die PUK. Lehmann selbst wollte auf Anfrage der NZZ nicht zum Bericht der Kommission Stellung nehmen.
In seinen optimistischen Äusserungen bestärkt sah sich der CS-Präsident sicher auch durch seine nichtoffiziellen Treffen mit dem damaligen Finanzminister Ueli Maurer und dem damaligen Präsidenten der Nationalbank, Thomas Jordan. Diese Treffen, sogenannte «non-meetings», fanden zwischen Oktober und Dezember 2022 jeweils an einem Sonntagabend am Sitz der SNB in Zürich statt.
Finma-Präsidentin Marlene Amstad, die an drei dieser Treffen teilnahm, sah sie kritisch, da keine verbindlichen Forderungen an die CS erhoben wurden. Die mangelnde Verbindlichkeit würde dazu führen, «dass sich der Verwaltungsratspräsident der CS in seiner unrealistischen Einschätzung eher bestätigt fühlte», sagte sie der Kommission. Lehmann schaffte es jedoch, Maurer und Jordan zumindest zum Teil zu überzeugen. Seine Position habe nach derartigen Treffen teilweise zu viel Raum eingenommen, sagte der damalige Finma-Chef Urban Angehrn der PUK. Ob die Behörden deswegen erst im März 2023 handelten, als nur noch eine Notfusion mit der UBS realistisch war, bleibt unklar.
Der CS-Präsident als Befehlsempfänger
Als nach den Äusserungen des Präsidenten der Saudi National Bank, man wolle der CS keine weitere Kapitalspritze gewähren, der Aktienkurs der Bank am Mittwoch, dem 15. März 2023, einen Drittel seines Wertes verlor, versuchte Lehmann die Lage der Credit Suisse noch einmal schönzureden. Staatshilfe sei kein Thema, sagte er an einer Konferenz in Saudiarabien.
Er täuschte sich erneut. Am selben Tag eröffnete Finanzministerin Karin Keller-Sutter gemeinsam mit den Spitzen von Finma und Nationalbank der CS, dass sie sich auf einen Verkauf an die UBS vorbereiten müsse. In dem Gespräch hätten die Vertreter der Bank einen grossen Mangel an Urteilsvermögen an den Tag gelegt, schreibt die PUK. Sie seien «weiterhin zuversichtlich» aufgetreten.
Bei den Verhandlungen wurde Axel Lehmann zunehmend in die Rolle des Statisten gedrängt. Das einzige direkte Treffen in dieser Zeit zwischen den Bankspitzen der beiden Grossbanken am Donnerstag brachte kein Ergebnis. Er habe sich bei der Ausarbeitung und Strukturierung der Transaktion als reiner Befehlsempfänger verstanden, sagte Lehmann später der PUK.
So wurde auch ohne ihn über den Verkaufspreis verhandelt. Am Samstagabend teilte ihm UBS-Präsident Kelleher telefonisch ein Angebot in der Höhe von einer Milliarde Franken mit. Das Telefonat war sehr kurz. Lehmann sei «keineswegs mit dem Angebot einverstanden gewesen», schreibt die PUK. Erst am Sonntagnachmittag um 16.45 Uhr einigten sie sich auf einen Preis von drei Milliarden Franken. Weniger als drei Stunden später sass Lehmann auf dem Podium der Pressekonferenz, an der das Ende der CS verkündet wurde.
Als einziger der Teilnehmer wirkte er entspannt. Nun weiss man, warum: Er hatte mit dem Ausgang der Verhandlungen nichts zu tun.