Unsere Augen brauchten weitaus mehr Nährstoffe als Vitamin A, erklärt eine Augenärztin.
Leserfrage: Sollte man täglich Karottensaft trinken, um die Sehkraft zu erhalten?
Wer sich mit Augengesundheit beschäftigt, kommt um Karotten nicht herum. Der Mythos, dass sie unsere Sehkraft verbessern, hält sich hartnäckig. Wahrscheinlich stammt er aus dem Zweiten Weltkrieg: Weil die British Royal Air Force geheim halten wollte, dass sie Radarsysteme nutzte, behauptete sie kurzerhand, ihre Piloten könnten aufgrund ihres Karottenkonsums besonders gut im Dunkeln sehen – und dort feindliche Flugzeuge erkennen.
Das ist natürlich Quatsch. Trotzdem sind Karotten tatsächlich gut für die Gesundheit, auch die unserer Augen. Das liegt an ihrem hohen Gehalt an Betacarotin, einer Vorstufe von Vitamin A. Der Körper kann es in Retinol umwandeln, also in eine aktive Form von Vitamin A. Retinol ist wichtig für die Produktion des Netzhautpigments Rhodopsin und trägt darüber hinaus zur Erhaltung einer gesunden Hornhaut bei. Sollte man also jeden Tag ein Glas Karottensaft trinken? Keineswegs, gerade in Produkten aus dem Supermarkt steckt oft viel Zucker, ausserdem gehen durch das Erhitzen Nährstoffe verloren. Frisch gepresst, ungezuckert und schnell verzehrt hingegen kann Karottensaft gute Nährstoffe liefern. Weil beim Entsaften jedoch Fasern und Ballaststoffe verlorengehen, sollte er trotzdem nicht jeden Tag getrunken werden. Karotten selbst hingegen dürfen gerne oft auf dem Teller landen.
Aber unsere Augen brauchen mehr als die Vitamin-A-reichen Karotten. «Sie mögen es bunt», sagt Andreea Gamulescu, leitende Oberärztin der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Regensburg und Mitglied der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft. Besonders wichtig sind zum Beispiel die Carotinoide Lutein und Zeaxanthin, die Netzhautpigmente bilden, zum Lichtschutz der Zellen beitragen, freie Radikale neutralisieren und die Sehfunktion im Dunkeln stärken. Ausserdem schützen sie vor der Ablagerung unerwünschter Stoffwechselprodukte, den sogenannten Drusen, die die Durchblutung des Auges beeinträchtigen können. Besonders viele Carotinoide stecken in grünem Gemüse wie Spinat, Brokkoli oder Grünkohl, aber auch in Paprika, Erbsen und Mais sowie in Pfirsichen, Nektarinen, Aprikosen und Orangen. Daneben sind Hühnereier eine gute Quelle.
Weitere wichtige Augen-Nährstoffe neben Vitamin A sind laut der Ophthalmologischen Gesellschaft die Vitamine C und E, die B-Vitamine sowie Folsäure und Mineralstoffe, insbesondere Zink. Auch Mikronährstoffe wie Selen, Curcumin und Resveratrol sind wertvoll für die Sehkraft. «Sie übernehmen zellschützende Funktionen, sind wichtig für den Sehzyklus und unterstützen Reparatur- oder Regenerationsvorgänge am Auge», erklärt Gamulescu.
Eine wichtige Rolle spielen auch ungesättigte Omega-3-Fettsäuren, vor allem Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA). Sie wirken entzündungshemmend und sind am strukturellen Aufbau der Netzhaut beteiligt.
Nahrungsergänzungsmittel sind nicht nötig
Wichtig ist Gamulescu: Mit dem Fokus auf einzelne Stoffe sollte man es nicht übertreiben. «Eine normale, abwechslungsreiche Ernährung ist in unserer westlichen Welt normalerweise ausreichend, um alle benötigten Vitamine und Spurenelemente aufzunehmen.» Sie empfiehlt eine ausgewogene mediterrane Kost, in der neben Fisch und Olivenöl reichlich rotes, gelbes und grünblättriges Gemüse sowie Obst auf dem Speiseplan stehen.
«Eine gute Nährstoffversorgung kann Augenkrankheiten zwar nicht komplett verhindern oder heilen, hat aber positive Effekte», sagt die Augenärztin. Das weiss man zum Beispiel aus grossen Bevölkerungsstudien, die einen Zusammenhang zwischen Ernährungsgewohnheiten und der Häufigkeit und Schwere von Augenkrankheiten zeigen. «Insbesondere trockene Augen, altersbedingte Makuladegeneration (AMD), diabetische Retinopathie oder auch grüner Star lassen sich über die Ernährung günstig beeinflussen und teilweise sogar verlangsamen», sagt Gamulescu. Studien zeigen zum Beispiel, dass eine Omega-3-reiche Ernährung das Risiko für AMD senken und die Erkrankung bei Patienten verlangsamen kann.
Vom pauschalen Griff zu Supplementen hingegen rät die Augenärztin ab. Die Studienlage dazu sei derzeit noch zu dünn, die Aufnahme über Nahrungsmittel effektiver und gesünder. Obst und Gemüse sind dabei die besten Lieferanten für eine breite Palette an Nährstoffen, sie enthalten nicht nur Vitamine und Mineralstoffe, sondern auch wertvolle Antioxidantien und sekundäre Pflanzenstoffe. Gamulescu: «Wer ausgewogen isst, nicht raucht und sich moderat bewegt, tut seiner Augengesundheit viel Gutes.»