Der neue ARD-Talk «Miosga» startet in einer aufgeheizten politischen Stimmung. Viele Deutsche sind von der Ampelregierung schwer enttäuscht und mögen auch den öffentlichrechtlichen Rundfunk nicht besonders.
Es ist kaum vorauszusagen, ob der neue ARD-Sonntagabend-Talk mit der ehemaligen «Tagesthemen»-Moderatorin Caren Miosga interessanter oder weniger interessant sein wird als der alte Sonntagabend-Talk mit der ehemaligen «Tagesthemen»-Moderatorin Anne Will.
Die 54-jährige Miosga hat allerdings in einigen grösseren Interviews schon einmal skizziert, wie sie sich ihre Sendung vorstellt, und daraus lassen sich ein paar Vermutungen ableiten.
«Wir wollen keinen Krawall inszenieren», sagte sie dem «Spiegel»: «Wir möchten die Runde nicht so besetzen, dass alle einander die Köpfe einschlagen.» Ihr sei durchaus wichtig, auf Parität zu achten und verschiedene Meinungen zu hören: «Aber nicht zwingend alle in einer Sendung.»
Geschicktes Erwartungsmanagement
Die NDR-Journalistin setzt also auf Pluralität innerhalb ihres Formats, will aber nicht in jeder Ausgabe von «Miosga» ausgewogenen Schulfunk präsentieren. «Spitzenpolitiker» sollen die Chance bekommen, sich ruhig und im Zusammenhang zu äussern, davon erhofft sich die Moderatorin «wahrhaftige Momente».
Mit dieser Konzeption bewegt sie sich weg von den bisweilen chaotisch-konfrontativen Runden ihrer Vorgängerin Anne Will und vom üblichen «Hart, aber fair»-Rabatz. Allerdings kommt sie auf diese Weise der Talkshow von Sandra Maischberger recht nahe, die das zugleich freundliche und unerbittliche Einzelgespräch weitgehend perfektioniert hat – man denke zum Beispiel an Maischbergers Beharrlichkeit, als der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck daran scheiterte, korrekt zu beschreiben, was «Insolvenz» bedeutet.
Miosga betreibt geschicktes Erwartungsmanagement, indem sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit vorsorglich darauf hinweist, dass die Politiker, mit denen sie es aufnehmen werde, «extrem gecoacht» seien. Das bedeutet: Wenn es ihr gelingt, ihnen trotzdem spannende Antworten zu entlocken, ist sie sehr gut.
Abstrakt, formelhaft, anschauungslos
Tatsächlich dürfte die Coachingquote unter deutschen Ministern und Abgeordneten eher gering sein. Bei Einzelnen, zum Beispiel bei der früheren Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, änderte sich von einem bestimmten Zeitpunkt an die Gestik in auffallender Weise – da mag ein Medientrainer am Werk gewesen sein.
Dass aber etwa Bundeskanzler Olaf Scholz für seine charakteristische Art, Fragen überhaupt nicht zu beantworten, Unterricht gebraucht hat, erscheint unwahrscheinlich. Und wenn ein Coach dafür die Verantwortung trüge, müsste er – angesichts der unterirdischen Beliebtheitswerte des Kanzlers – dringend eine Rückrufaktion starten.
Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang, die SPD-Vorsitzende Saskia Esken oder der FDP-Justizminister Marco Buschmann reden oft abstrakt, formelhaft, anschauungslos. Aber diese Diktion ist – völlig ungecoacht – auch auf vielen Kreisparteitagen zu hören, weil schlechte Politiker Politikerklischees aus den Talkshows oder aus dem «Tatort» nachspielen. Da könnte die Gastgeberin ansetzen und beispielsweise fragen, was «Wir werden das gemeinsam im Einklang mit dem Koalitionsvertrag entscheiden» genau bedeute.
Miosga verdient deutlich mehr als der Bundeskanzler
Miosgas Honorar für die neue Talkshow hat der «Business Insider» veröffentlicht: Die Sendung insgesamt kostet 5,8 Millionen Euro im Jahr und wird von ihrer eigens dafür gegründeten Firma produziert. Die Journalistin selbst erhält pro Folge 19 000 Euro, was sich bei 30 Shows im Jahr auf knapp 600 000 Euro summiert. Zum Vergleich: Das Gehalt des Bundeskanzlers (einschliesslich seiner Abgeordnetendiät) beträgt pro Monat rund 30 000 Euro, also 360 000 Euro im Jahr.
«Miosga» startet in einer politisch aufgeheizten Zeit: Umfragen praktisch aller Meinungsforschungsinstitute und auch die gegenwärtigen Proteste von Bauern, Spediteuren und Handwerkern lassen eine grosse Entfremdung zwischen der Ampelregierung und ganz unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen erkennen. Wo sieht die neue Talkmasterin die Gründe für diese Entfremdung?
«Vielleicht haben wir zu lange in der Illusion gelebt, dass das mit dem Wohlstand in Deutschland ewig so weitergehen könnte», antwortet die Journalistin auf die Frage der NZZ: «Doch dann kamen die Krisen – Pandemie, Klima, Krieg in Europa, die Energiepreise steigen, und die Leute sind so verunsichert, dass sich ihr Unmut gleich gegen das politische System richtet. Mir wurde ein bisschen bang, als neulich jemand den bemerkenswerten Satz sagte: ‹Der Beweis, dass die Demokratie auch in harten Zeiten trägt, ist in der Bundesrepublik noch nicht erbracht worden.›»
Ausgrenzung ist keine gute Strategie gegen die AfD
Eine der Hauptfragen an das neue Format werde sein, wie es in diesem Wahljahr mit einer Europa- und drei Landtagswahlen die Alternative für Deutschland (AfD) behandeln werde, sagt Miosga. Der öffentlichrechtliche Rundfunk in Deutschland tut sich mit der Rechtsaussen-Herausforderung seit Jahren schwer, egal, ob es um die Deutsche Volksunion (DVU) ging, um die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) oder jetzt um die AfD.
Man konnte mitunter den Eindruck gewinnen, dass gerade Moderatorinnen den «Rechten» vor allem mit Haltung zu begegnen versuchten, seltener mit Argumenten. Wenn es ging, vermied man überhaupt, sie einzuladen, um ihnen «keine Bühne zu bieten».
Miosga hingegen ist klar, dass Ausgrenzung keine Strategie mehr sein kann, wenn die AfD in Umfragen bundesweit 22 Prozent erreicht und in den Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg, in denen 2024 gewählt wird, jeweils stärkste Kraft werden könnte.
Die erkenntnisleitenden Interessen der Moderatorin
Sie will deshalb AfD-Vertreter einladen, nur keine eindeutigen Verfassungsfeinde und keine «krassen Rechtsextremisten», denn viele von ihnen seien «Meister im Errichten von Lügengebäuden». Da komme man als Moderatorin mit dem Überprüfen von Aussagen live nicht hinterher.
Diese Selbsteinschätzung mag realistisch und der Vergleich ungerecht sein, aber: Dass Fernsehlegenden wie Günter Gaus, Hanns Joachim Friedrichs oder Werner Höfer dieses Wagnis nicht eingegangen wären, ist schwer vorstellbar. Zudem wird es spannend sein, zu beobachten, welche AfD-Vertreter überhaupt in eine Sendung gehen, in der sie von vorneherein unter den Verdacht gestellt werden, Lügner zu sein.
Sie mache ihren Beruf, weil sie sich für die Welt interessiere, und nicht, weil die Welt sich für sie interessieren solle, sagt Miosga. Trotzdem interessiert es natürlich die Zuschauer, welche Erkenntnisinteressen die neue Talkmasterin leiten. Ein wenig blitzte das auf, als sie im vergangenen Juli eine Vertreterin der klimaextremistischen Letzten Generation mehr als sechs Minuten lang in den «Tagesthemen» interviewte, nachdem die Gruppe in Hamburg und Düsseldorf den Flugverkehr lahmgelegt und mehr als 50 000 Reisende behindert hatte.
Wer ist der geheimnisvolle erste Gast?
Miosgas Interview wurde in anderen Medien durchaus anerkennend als «scharf» interpretiert; sie habe der Klimakleberin die Leviten gelesen. Sie fragte in der Tat auch mehrfach nach, ob die Form des Protests nicht dem Anliegen schade. So weit, so scharf. Doch aufhorchen liess Miosgas Halbsatz, dass das «Ziel» der Klimaaktivisten ja «unstrittig» sei. Damit dürfte sie in der deutschen Bevölkerung derzeit keine Mehrheit finden, ebenso wenig mit ihrer besonders liberalen Haltung zum Thema Migration.
Für eine der lustigsten Geschichten über die neue Herrin des Sonntagabend-Talks hat der ehemalige Diplomat und Chef der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger gesorgt: In einer «Tagesthemen»-Live-Schalte sprach er Miosga konsequent mit dem Namen ihrer ZDF-Kollegin Marietta Slomka vom «Heute-Journal» an. «Ich heisse Miosga», sagte Miosga. Doch offenbar konnte Ischinger sie nicht verstehen und blieb ein ums andere Mal bei «Slomka» – was von Wiederholung zu Wiederholung komischer wurde und sowohl die so Verkannte als auch ihre Studiopartnerin Judith Rakers vor Heiterkeit fast zum Platzen brachte.
Es wird jetzt an Caren Miosga sein, zu zeigen, dass man sie nicht verwechseln kann. Die erste Sendung am kommenden Sonntag (21. 1.) dürfte bereits ein wenig die Richtung weisen. Ein ausserordentlich prominenter politischer Gast, der sich flexibel zu jeder Art von bedeutenden Themen äussern könne, soll bereits zugesagt haben. Etwa Olaf Scholz? Bisher war der Sonntagabend direkt nach dem ARD-«Tatort» die absolute Talk-Primetime, bei Anne Will hiess das in den Merkel-Jahren auch regelmässig: Kanzler-Zeit.
Caren Miosga (54) studierte in Hamburg Slawistik und Geschichte und arbeitete zeitweise als Reiseführerin in Russland, bevor sie Journalistin wurde. Ihr Weg führte vom ersten deutschen Privatradio (Radio Schleswig-Holstein) über Stationen bei Radio Hamburg und N-Joy Radio zum Norddeutschen Rundfunk, wo sie das NDR-«Kulturjournal», das Medienmagazin «Zapp» und die Kultursendung «Titel, Thesen, Temperamente» moderierte. 16 Jahre lang, von 2007 bis 2023, war sie Moderatorin der ARD-«Tagesthemen». Miosga ist verheiratet und hat zwei Töchter. Ihre politische Talkshow «Miosga» startet am 21. Januar um 21 Uhr 45 in der ARD.