Chili, Ingwer, Wasabi: Scharfe Zutaten sind nicht jedermanns Sache. Doch woran liegt das? Und kann man «scharf essen» trainieren?
Als der amerikanische Chili-Züchter Ed Currie seine neueste Kreation namens «Pepper X» kostet, leidet er Höllenqualen. Dreieinhalb Stunden lang habe er die Hitze gespürt, nachdem er eine ganze Schote gegessen habe, erzählte er der Nachrichtenagentur AP. Dann kamen schreckliche Krämpfe dazu. «Ich lag etwa eine Stunde lang flach auf einer Marmorwand im Regen und stöhnte vor Schmerzen.»
2,69 Millionen Einheiten erreicht die «Pepper X» durchschnittlich auf der sogenannten Scoville-Skala. Diese misst den Schärfegrad von Früchten der Paprikapflanze. Damit ist sie die schärfste Chili-Sorte der Welt. Erst kürzlich erhielt sie einen Eintrag im «Guinness-Buch der Rekorde». Zum Vergleich: Ein herkömmlicher, bereits als sehr scharf empfundener Jalapeño erreicht auf der Scoville-Skala lediglich einen Wert zwischen 2500 und 8000 Einheiten. Die «Carolina Reaper» – bisheriger Rekordhalter und ebenfalls eine Kreation von Ed Currie – kommt auf 1,64 Millionen Schärfeeinheiten.
Currie rät denn auch explizit vom Verzehr der neuen Chilischote ab. An Sorten wie «Pepper X» oder «Carolina Reaper» müsse man sich herantasten.
Scharf wird als Schmerz empfunden
Wer Schärfe nicht gewohnt ist, dürfte bereits mit vielen würzigen Gerichten seine Mühe haben. Schon eine gewöhnliche Chili-Sauce, Sushi mit Wasabi oder Senföl können im Mund ein schmerzhaftes Brenngefühl auslösen.
Verantwortlich dafür sind bestimmte Stoffe. Chilischoten etwa enthalten Capsaicin, das als Scharfmacher gilt. Der Wirkstoff aktiviert Rezeptoren im Mund, die eigentlich Hitze über 42 Grad erkennen würden. Im Mund löst der Wirkstoff also ein Hitzegefühl aus – selbst dann, wenn die Speise kalt ist. Dieselbe Wirkung entfaltet der Stoff Piperin im Pfeffer oder Allicin in Knoblauch.
Die Wahrnehmung von Schärfe in Lebensmitteln verläuft also nicht über den Geschmackssinn, sondern über das somatosensorische System, das auch der Schmerzwahrnehmung dient, wie die Ernährungswissenschafterin Karolin Höhl von der Dr.-Rainer-Wild-Stiftung in Heidelberg erklärt. «Scharf wird also nicht ‹geschmeckt›, sondern als Schmerz oder Hitze empfunden.»
Dementsprechend reagiert der menschliche Körper, wenn wir scharf essen: Die Blutgefässe erweitern sich, die Haut errötet, und man beginnt zu schwitzen. Der Verzehr einer Chilischote löst gewissermassen eine Nervenreaktion aus, die Gefahr signalisiert.
Genetik und Sozialisation beeinflussen, ob wir scharfes Essen mögen
Wie empfindlich jemand auf Schärfe reagiert, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Laut der Ernährungswissenschafterin Höhl spielt unter anderem die Genetik eine Rolle. So würden genetisch bedingte Unterschiede in der Ausgestaltung und Funktion der Rezeptoren zu unterschiedlichen Empfindlichkeiten führen. «Eine speziell angeborene Unempfindlichkeit ist mir hingegen nicht bekannt», so die Forscherin.
Auch die Sozialisation spielt laut Höhl eine Rolle. Grundsätzlich könnten Menschen in jeden Geschmack und in jede Esskultur hineinwachsen und Vorlieben für die esskulturell typischen Nuancen und Intensitäten ausbilden. «Wir lernen durch die Sozialisation bei Tisch, die Geschmäcke einer Esskultur quasi automatisch zu mögen, ohne bewusstes Zutun.» In der Wissenschaft ist dieser Prozess als «Mere-Exposure-Effekt» bekannt – mögen durch blossen Kontakt.
Nicht unterschätzt werden dürfen auch Persönlichkeitsfaktoren. So gibt es einen Zusammenhang zwischen der Präferenz für Schärfe und dem sogenannten «sensation seeking», wie Höhl erklärt. «Das ist ein Persönlichkeitsfaktor, der bedingt, ob ein Mensch Lust auf ungewöhnliche und intensive sensorische Empfindungen hat oder eher zurückhaltend ist.» Menschen, bei denen «sensation seeking» stärker ausgeprägt ist, neigten demnach eher zu einer Präferenz für scharfe Speisen.
In Stein gemeisselt sind diese Präferenzen allerdings nicht. Denn scharfes Essen zu vertragen, kann man sich antrainieren. Laut Höhl deuten verschiedene Untersuchungen auf einen Gewöhnungseffekt hin. So zeigte eine Studie, dass sich Konsumenten nach einer gewissen Zeit an die brennende Schärfe von weissem Senf gewöhnten.
Scharf essen hat einen ähnlichen Effekt wie Sex
Bei der Präferenzbildung für scharfe Speisen spielte in der Geschichte der Menschheit aber auch ganz simpel eine Rolle, welche Lebensmittel verfügbar waren. Chili kommt ursprünglich aus Südamerika und hat sich dort in den Esskulturen etabliert. Nach Asien gelangte die Paprikaschote zwar erst nach dem 16. Jahrhundert, doch der Kontinent kannte bereits damals eine reiche Palette an scharfen Gewürzen. So kommt Pfeffer ursprünglich aus Indien, von wo aus er nach Indonesien und Malaysia gelangte. Ingwer stammt aus den Tropen und Subtropen des südlichen und östlichen Asien.
Hinzu kommt: Capsaicin, die Schärfesubstanz in Chilis, hat eine keimhemmende Wirkung. Diese ist vor allem in südlichen Ländern mit heissem Klima nützlich, um Speisen vor schnellem Verderb zu schützen. Zudem weiss man, dass scharfe Gerichte einen regulierenden Effekt auf die Körpertemperatur haben. Es konnte nachgewiesen werden, dass Capsaicin die Körpertemperatur senkt und zu vermehrter Schweissbildung führt. Ein Effekt, der in heissen Regionen von Vorteil ist.
Nicht zuletzt kann Schärfe sogar Endorphine freisetzen und so das allgemeine Wohlbefinden steigern. Damit haben scharfe Gerichte eine ähnlich positive Wirkung auf den Körper wie Ausdauersport, Lachen oder Sex, bei denen ebenfalls Glückshormone freigesetzt werden.
Der Griff zum Wasserglas ist wenig zielführend
Dennoch sind scharfe Speisen nicht für jedermann geeignet. Ganz die Finger davonlassen sollte, wer einen empfindlichen Magen oder Darm hat. Denn die Schärfe reizt Magen- und Darmschleimhäute. Die Folgen können Magenschmerzen oder Durchfall sein. Auch kleine Kinder sollten hierzulande scharfe Mahlzeiten meiden. Ihr Verdauungstrakt muss sich erst noch an die Schärfe gewöhnen.
Wer es trotzdem einmal übertreibt, sollte am besten einen Schluck Milch trinken oder etwas Joghurt oder Käse essen. Der Impuls, zum Wasserglas zu greifen, ist hingegen wenig zielführend. Fett- und eiweisshaltige Lebensmittel lindern die Schärfe am besten. Denn Capsaicin ist fettlöslich. Kommt es mit Fett in Kontakt, kann es sich nicht mehr so gut an die Rezeptoren binden.