2025 stellt die Schweiz die Weichen dafür, welche Art von Grossbank sie künftig beheimatet: eine auf eidgenössisches Mass zurechtgestutzte UBS. Oder eine Bank, die sich mit den Playern an der Wall Street messen kann.
Er nimmt Milliardäre in Hongkong, Dubai oder San Francisco für sich ein, aber auch die Seniorin am Schalter in Wil, Zürich oder Gland, wenn er ihr die AHV-Rente in bar auszahlt.
Er begleitet das boomende ETH-Startup an die New Yorker Börse, steht aber dem kriselnden Familienunternehmer genauso gerne mit einem Kredit bei.
Er schüttet seinen Aktionären Milliarden aus und ist mit einem Lohn von 2 Millionen Franken ganz zufrieden.
Ungefähr so müsste der UBS-Chef aussehen, den sich die Schweizerinnen und Schweizer wünschen.
Ein Banker, wie ihn nur die Eidgenossenschaft hervorbringen kann und der stets die passende Antwort auf eine grosse Frage wäre: Hat die Schweiz den Mut, sich auch in Zukunft eine Grossbank zu leisten?
Die Kapitallücken der Credit Suisse schliessen
Am 19. März 2023 ging die Credit Suisse unter. Die UBS übernahm ihre Erzrivalin auf Wunsch der Schweizer Behörden. Die CS musste auf staatliche Anordnung von der UBS gerettet werden. Für diese Aktion stand die öffentliche Hand via Liquiditätshilfen und Garantien mit insgesamt 257 Milliarden Franken im Risiko.
Um CS-Bankern – die hasardiert, kassiert und sich bis zum Schluss uneinsichtig und arrogant gezeigt hatten – aus der Patsche zu helfen. So sieht das Bild aus, das die Linke und andere Finanzplatzskeptiker seither in der Bevölkerung verbreiten.
Sie würden jetzt am liebsten die UBS verzwergen. Die Grossbank geniesst implizit eine Staatsgarantie – und droht Opfer eines regulatorischen Überschiessens zu werden, und zwar über eine Verschärfung der Eigenkapitalanforderungen.
Aus Sicht der Regulatoren sind diese ein Instrument, um Banken zu disziplinieren: Je höher diese Anforderungen sind, desto mehr stehen die Eigentümer mit eigenem Geld im Risiko, desto geringer ihr Risikoappetit.
Mit dem PUK-Bericht zum Untergang der CS hat die Frage des Kapitals an Bedeutung gewonnen. Es hat sich herausgestellt, dass die Finma der Credit Suisse viel zu lange und zu grosszügig Aufschub und Erleichterungen gewährt hatte.
Aber es wäre falsch, die UBS jetzt für die Nachlässigkeit der Finma bei der Aufsicht der CS zu bestrafen. «Die Eigenmittelanforderungen an die UBS sind im internationalen Vergleich bereits heute hoch», schreibt der Bundesrat im Bericht zur Bankenstabilität, den er im April veröffentlicht hat.
Die Grossbank muss – weil sie mit der Übernahme der Credit Suisse gewachsen ist, deren Kapitallücken schliessen und ab 1. Januar die sogenannten «Basel III»-Vorschriften erfüllen muss – ihr Eigenkapital bis 2030 so oder so um 20 Milliarden Dollar aufstocken.
Dies wird von der Bank nicht infrage gestellt. Und der UBS-Chef Sergio Ermotti rechnet dies bei jeder sich bietenden Gelegenheit zähneknirschend vor.
Bei der Schweizer Grossbank sieht man sich ohnehin im internationalen Wettbewerb benachteiligt. Anders als die Schweiz haben die USA, Grossbritannien und auch die EU die Einführung des strengeren «Basel III»-Regelwerks aufgeweicht und herausgeschoben.
Es wird sich zeigen, ob die UBS mit ihrem Widerstand gegen ein zusätzliches Swiss Finish Gehör findet beim Bundesrat. Er will Anfang 2025 Vorschläge vorlegen, wie viel Kapital die Grossbank künftig für ihre ausländischen Beteiligungen in der Bilanz des Schweizer Stammhauses halten muss.
Je nachdem, wie hart die Verschärfung ausfällt, müsste die UBS zusätzlich bis zu 25 Milliarden Dollar an Eigenkapital aufbauen.
Ziel der verschärften Kapitalvorschriften: Zum einen erhöhen sie die Sicherheit in Krisen. Zum andern dürfte der Bundesrat der UBS den Anreiz nehmen wollen, zu stark zu wachsen, zu international zu werden und zu komplexe Strukturen aufzubauen.
Gleich lange Ellen im internationalen Wettbewerb
Wenn der Bund aber überschiesst und die Eigenkapitalvorschriften zu hoch ansetzt, hätte das Folgen. Die UBS müsste, um den Renditevorstellungen ihrer internationalen Aktionäre gerecht zu werden, ihre Preise im internationalen Geschäft erhöhen.
Sie wäre damit kaum mehr konkurrenzfähig. Entweder müsste sie sich deshalb daraus zurückziehen, oder aber sie würde mit einer zu tiefen Eigenkapitalrendite zum Übernahmeobjekt für ausländische Banken. Diese könnten dann das internationale Geschäft der UBS abspalten.
In beiden Fällen bliebe eine schweizerische UBS übrig, die über kurz oder lang den Status einer wirklich internationalen Grossbank verlieren würde.
Sprich: Ermotti und seine Führungscrew wären künftig am Swiss Economic Forum in Interlaken statt am WEF in Davos anzutreffen. Sie würden vermehrt die kantonalen Handelskammern pflegen, statt sich an Finanzkonferenzen in Singapur oder London zu zeigen. Und die besten Private-Banking-Kunden würden neu an Super-League-Spiele im Zürcher Letzigrund eingeladen statt an Formel-1-Rennen in Las Vegas.
Es würde vielen gefallen, dass die verhassten Banker endlich auf guteidgenössisches Normalmass zurechtgestutzt würden. Dem Land würde es aber schaden.
Für die exportorientierten Schweizer Firmen etwa ist es wichtig, dass eine international vernetzte Grossbank sie bei Auslandgeschäften unterstützt.
Das können zwar auch die Schweizer Ableger von ausländischen Instituten. Doch es steht zu befürchten, dass gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten das Angebot der Auslandbanken für die hiesige Industrie rasch austrocknet. Auf Schweizer Institute ist mehr Verlass.
Zum andern – und das geht bei Polemiken um Millionenboni, Staatshilfe oder riskantes Investment Banking manchmal vergessen – trägt die UBS viel zum Wohlstand und zum Gedeihen des Finanzplatzes bei.
Sie ist die drittgrösste private Arbeitgeberin des Landes, bezahlte 2023 – wenn man die CS und alle Mitarbeiter einrechnet – 2,6 Milliarden Franken an Steuern und kauft jedes Jahr für 4 Milliarden Franken Güter und Dienstleistungen in der Schweiz ein.
Darüber hinaus bringt eine global tätige Grossbank der Schweiz Nutzen, der sich nur schwer in Zahlen fassen lässt: Sie bildet Banker aus, die national wie international Karriere machen können.
Sie verleiht dem hiesigen Finanzplatz Ausstrahlung, indem sie Kunden und Vermögen aus aller Welt, aber auch qualifizierte Fachkräfte anzieht. Und – das hat sich beim Untergang der Credit Suisse gezeigt – sie kann auch Teil der Lösung inländischer Finanzkrisen sein.
Wall Street oder Bahnhofstrasse?
Mit einer Verzwergung würde vieles wegbrechen. Es drohte auch die Verzwergung des Finanzplatzes und der Schweizer Wirtschaft: weniger Wertschöpfung, weniger Arbeitsplätze, weniger Steuergelder in der Branche selbst. Aber auch ungünstigere Bedingungen für das Gedeihen des Rests der Schweizer Wirtschaft.
Natürlich hat die UBS-Spitze um den Präsidenten Colm Kelleher und den CEO Sergio Ermotti eigennützige Gründe, um sich gegen eine Verschärfung der Kapitalvorschriften zu wehren.
Sie machen die Aktie weniger attraktiv, gerade im Vergleich zu jenen der grossen US-Banken an der Wall Street, mit denen sich die UBS an der Börse gerne misst.
Die UBS beharrt im Wettstreit mit J. P. Morgan Chase, Bank of America oder Citibank – mit gutem Recht – auf gleich langen Ellen und auf so viel Markt wie möglich.
Aber sollen sich die UBS-Banker überhaupt mit New York messen? Oder sitzt die Konkurrenz, die einer systemrelevanten Schweizer Bank angemessen ist, doch eher in St. Gallen in der Raiffeisen-Zentrale oder bei den Nachbarn der Zürcher Kantonalbank an der Bahnhofstrasse?
Die Antwort lautet: beides. Die UBS ist der global führende Vermögensverwalter – und sie ist nun einmal in der Schweiz beheimatet. Das heisst, sie kann sich weder ganz an der Wall Street orientieren noch komplett auf die Schweiz zurückziehen, damit die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler im Land beruhigt schlafen können.
Bitte kein Swiss Finish
Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass der Bundesrat ein Swiss Finish beziehungsweise UBS Finish bei den Kapitalvorschriften schafft, das signalisieren soll: Wir haben die Banker im Griff (und tun ihnen aber auch nicht allzu fest weh).
Man ahnt es: Ein solches Swiss Finish wäre vor allem für die Galerie. Die Schweiz sollte stattdessen der UBS keine Ausnahmen mehr erlauben wie bei der Credit Suisse, bestehende Kapitalvorschriften also zuerst einmal durchsetzen.
Sie sollte zudem internationale Vorgaben im Einklang mit den wichtigsten Konkurrenz-Finanzplätzen umsetzen und ein Vorpreschen wie bei der Einführung der «Basel III»-Standards tunlichst vermeiden.
Darüber hinaus – und das hat der PUK-Bericht zum Untergang der CS in aller Deutlichkeit gezeigt – braucht die Schweiz eine Finanzmarktaufsicht, welche den Willen hat, bei der Bank durchzugreifen.
Es braucht das Zusammenspiel zwischen Bundesrat, Nationalbank und Finma, die gemeinsam endlich ein glaubhaftes «Too big to fail»-Regime installieren, Anzeichen einer Krise frühzeitig erkennen und dann mit der notwendigen Dringlichkeit angehen.
Und vor allem braucht die Schweiz eine UBS-Spitze, die – auch wenn sie es nicht ganz freiwillig tut – mit ihrem Verhalten und ihren Taten zeigt, dass sie beides unter einen Hut bringt: den Kampfgeist für die Wall Street und das Verständnis für die Schweiz.