Auch die Aktien von soliden Schweizer Blue-Chip-Unternehmen sind nicht vor Kurseinbrüchen gefeit. 2024 wurde mit jedem vierten SMI-Titel ein Verlust eingefahren. Welchen Valoren The Market schon dieses Jahr eine Trendwende zutraut.
Beim Pokerspiel sind die blauen Jetons die wertvollsten; an den Börsen handelt es sich bei Blue Chips um die am höchsten kapitalisierten Standardwerte. Blue Chips versprechen Qualität, Stabilität und Beständigkeit. An der Schweizer Börse trägt der Swiss Market Index (SMI) dieses Siegel.
Die zwanzig im SMI vertretenen Werte sollten zum Besten gehören, was der Schweizer Aktienmarkt zu bieten hat. Trotzdem sind auch SMI-Titel nicht vor heftigen Kursverlusten gefeit. Bekanntlich waren auch Flops wie Swissair und Credit Suisse einst Schweizer Blue Chips.
Ungeachtet dieser raren Unfälle verfügen SMI-Valoren in der Regel über erstklassige Qualitäten, weshalb sie sich für langfristige Engagements eignen. Wenn ein Mitglied ein schwaches Jahr hat, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich danach erholt.
Befinden sich dividendenstarke SMI-Vertreter unter den Kursverlierern, kommen sie auf den Radar derjenigen Investoren, die mit einer «Dogs-of-the-…»-Strategie die Titel mit der höchsten Dividendenrendite suchen.
Auch Blue Chips können floppen
Das Anlagejahr 2024 schlossen gleich sechs SMI-Werte im Minus ab (inklusive Swisscom). Werden die jeweiligen Dividendenausschüttungen berücksichtigt, bleibt noch ein Quintett übrig, das 2024 in den roten Zahlen abgeschlossen hat.
Die ebenso unerfreuliche Performance über einen dreijährigen Zeitraum könnte zum Schluss verleiten, dass Kühne + Nagel (K+N), Nestlé, Sika, Logitech und Geberit mehr als nur in einer temporären Formkrise stecken.
Auf hartnäckige Probleme deuten die schwindenden Bewertungen des Verlierer-Quintetts hin. Ihre für die nächsten zwölf Monate prognostizierten Gewinne sind im vergangenen Jahr weniger gefallen als die Aktienkurse. Das derzeitige Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) liegt bei allen unter dem Durchschnittswert der vergangenen fünf Jahre.
Vertrauen weg, Kurse am Boden
Das mag daran liegen, dass die Analysten ihre Gewinnschätzungen zu spät oder noch nicht ausreichend den Gegebenheiten angepasst haben. Oder es signalisiert, dass diese fünf SMI-Werte derzeit zu deutlich geringeren Kursen zu kaufen sind als in der Vergangenheit, also für Investoren eine Kaufgelegenheit darstellen.
The Market analysiert, was die Gründe der miesen Kursentwicklung gewesen sind und wem des letztjährigen Verlierer-Quintetts eine neue Chance gegeben werden soll. Nicht alle scheinen schon reif für eine Trendwende zu sein.
Der mit Abstand schwächste SMI-Wert war im vergangenen Jahr Kühne + Nagel (K+N). Die Aktien des weltgrössten Logistikdienstleister bei der Seefracht und der Nummer zwei bei der Luftfracht büssten rund 30% ein.
Handelssanktionen, Strafzölle, wegen Terrorattacken unterbrochene Transportrouten sowie eine flaue Nachfrage nach Transportkapazitäten kreieren für das Unternehmen eine toxische Mischung, die auf der Rentabilität lastet. Die vor einigen Jahren noch deutlich über 30% liegende Konversionsrate (Betriebsgewinn auf Stufe Ebit im Verhältnis zum Rohertrag) erreichte in den ersten neun Monaten 2024 nur noch 19,1% (i. V. 23,5). Mittelfristig peilt das Unternehmen einen Wert von 25 bis 30% an.
Die geopolitischen Verschiebungen machen den Transport von Gütern komplexer und teurer und limitieren tendenziell den grenzüberschreitenden Handel. Für Logistikdienstleister ist das ein zweischneidiges Schwert: Einerseits hoffen sie, von der Komplexität zu profitieren, andererseits wird das Rad der Globalisierung, das ihr Geschäft in den vergangenen Jahren angetrieben hat, zurückgedreht. Je lokaler das Logistikgeschäft wird, desto grösser ist die lokale Konkurrenz, und umso geringer sind die Vorteile, die ein global agierender Konzern wie K+N vorweisen kann.
K+N steht im Schatten des dänischen Konkurrenten DSV, der eine deutlich sportlichere Strategie verfolgt und die besseren Margen erzielt. Nachdem die Dänen ihr vor gut fünf Jahren den Schweizer Logistiker Panalpina vor der Nase weggeschnappt haben, machen sie nun mit der Übernahme der Logistiktochter der Deutschen Bahn einen noch grösseren Wachstumsschritt. Mit dem 14,3-Mrd.-€-Kauf von DB Schenker ist DSV der unangefochtene Branchenprimus. Das stark fragmentierte globale Frachtgeschäft – K+N als Marktführer bei der Seefracht deckt nur rund 3% ab – dürfte in den kommenden Jahren weiter konsolidiert werden.
Die enttäuschende Kursentwicklung dürfte zu einem gewissen Teil auch mit dem Hauptaktionär Klaus-Michael Kühne zusammenhängen. Seine jüngsten Flops (Benko) kratzen an seinem Ruf als erfolgreicher Unternehmer. Ein Publikumsaktionär muss sich zudem bewusst sein, dass er mit seinem Investment im Seitenwagen des Patrons (Beteiligung 54,1%) sitzt, der die strategischen Entscheide fällt.
Kurzfristig lastet die Möglichkeit, dass Partners Group ihre seit 2021 gehaltene 24,9%-Minderheitsbeteiligung an der chinesischen Tochtergesellschaft Apex International abgibt, auf den Aktien. Über eine Put-Option könnte sie nun ihre Beteiligung retournieren, was K+N rund 800 Mio. Fr. kosten würde.
Die letztjährigen Kursverluste haben die Bewertung der Titel deutlich reduziert. Der Unternehmenswert in Relation zum Ebitda beträgt nur noch gut 10. In den vergangenen fünfzehn Jahren lag er rund 20% höher. Trotzdem verkehren die Valoren noch immer mit einem Aufschlag zu den Papieren der amerikanischen und der europäischen Konkurrenten.
Ein Kaufargument ist die attraktive Dividendenrendite, die derzeit klar über dem langjährigen Schnitt von 3,5% liegt.
The Market ist der Ansicht, dass die Trendwende bei K+N noch länger auf sich warten lässt, es für einen Einstieg also zu früh ist. Der für den 25. März angesetzte Kapitalmarkttag in London könnte den Valoren neuen Auftrieb geben.
Das Kursdebakel von Nestlé muss jedem Eidgenossen einen Stich ins Anlegerherz geben. Seit drei Jahren ist beim Schweizer Vorzeigekonzern der Wurm drin: Die Werteinbusse beträgt 42%. Mit Ach und Krach konnte der Nahrungsmittelkonzern bis Ende 2024 immerhin noch das Prädikat am höchsten kapitalisierter Schweizer Wert verteidigen. Mit einer Börsenkapitalisierung von 198 Mrd. Fr. lag er knapp vor dem Basler Pharmakonzern Novartis (194 Mrd. Fr.). Im neuen Jahr hat er auch diesen Spitzenplatz verloren.
Das Konsumgüterunternehmen hat interne und externe Probleme. Das Umfeld ist für alle grossen Nahrungsmittelkonzerne anspruchsvoll, die Inputpreise bleiben hoch, und die Konsumenten sind weniger bereit, für Premiummarken auch Premiumpreise zu bezahlen. Das Gleiche gilt für die Investoren: Der einstige Bewertungsaufschlag gegenüber der Konkurrenz hat sich in einen Discount verwandelt.
Nestlé hadert mit einer schleppenden Umsatzentwicklung. Nach 2023 wird auch 2024 ein Umsatzrückgang zu beklagen sein. Das war dem Ziel des Managements geschuldet, die Rentabilität einigermassen zu halten. Das Vertrauen in die Nestlé-Aktien wird erst zurückkehren, wenn es dem Unternehmen gelingt, den Umsatz zu steigern. Die Analysten gehen davon aus, dass das im Lauf des neuen Jahres der Fall sein wird, aber zulasten der Rentabilität geht. Das mittelfristig angepeilte organische Wachstum von mindestens 4% wird 2025 kaum möglich sein.
Das Mandat des Nestlé-Veteranen Laurent Freixe ist es, den Nahrungsmittelmulti zu stabilisieren. Anorganische Experimente sind vom neuen Konzernchef nicht zu erwarten. Auf den beiden Ertragssäulen Nespresso und Tiernahrung sollte Nestlé die Wende indes gelingen.
Damit sich die Investoren wieder für Nestlé erwärmen, braucht es aber mehr als Stabilität. In den vergangenen Jahren hat die Konkurrenz deutlich besser gearbeitet als die Schweizer. Ein Kaufargument für Nestlé ist die attraktive Dividendenrendite von 4%.
Die miese Kursentwicklung der Sika-Aktien erstaunt, denn das Management hat strategisch wie operativ wenig Fehler gemacht. Wegen des fragmentierten Marktes ist im globalen Bauchemiegeschäft ein akquisitorisches Vorgehen angebracht. Sika hat bewiesen, dass sie Neuerwerbungen rasch integrieren und auf ein höheres Margenniveau bringen kann.
Auch bei der jüngsten Grossakquisition (MBCC) gibt es keine Anzeichen, dass das ehemalige Bauchemiegeschäft von BASF nicht ein wertsteigernder Teil des Sika-Universums werden kann.
Die Sika-Valoren leiden darunter, dass Investoren derzeit Unternehmen im Bauwesen und im Automobilsektor generell meiden. Der Trumpf der Gruppe sind die geografisch breite Abstützung sowie ein Sortiment, das hohe Margen erlaubt.
Die Scheidung von Bill und Melinda Gates hat dazu geführt, dass die Investments ihrer Stiftung, die 5,3% der Sika-Aktien hielt, aufgeteilt wurden. Der Abbau der Beteiligung sorgte für zusätzlichen Verkaufsdruck. Seit Herbst hält die Stiftung weniger als 3% an Sika. Die happigen Kursverluste in den letzten drei Jahren haben die Bewertung der Sika-Titel auf ein vernünftiges Niveau gebracht.
The Market hält das derzeitige Kursniveau für eine gute Gelegenheit für längerfristige Engagements in diesen Wachstumswert. Dank dem herausragenden Geschäftsmodell wäre sogar ein zu früher Einstieg verkraftbar.
Der Computerzubehörhersteller ist der einzige Schweizer Technologiewert mit internationaler Ausstrahlung. In seinem Kerngeschäft hat er seinen Spitzenplatz verteidigt. Innovation und Geschwindigkeit in der Produktentwicklung sind ein Markenzeichen des operativ von Kalifornien aus geführten Konzerns.
Wie andere Unternehmen hatte auch Logitech mit den Nachwehen des Pandemiebooms länger als erwartet zu kämpfen. Mittlerweile hat sich das Ungleichgewicht eingependelt. Entscheidend für das neue Anlagejahr wird sein, wie gut die vergangene Festtagssaison für Logitech gelaufen ist.
Den Beweis, dass sich ihre Produkte auch im Büroalltag durchsetzen, ist Logitech noch schuldig geblieben. Jedes Büro technologisch mit Videokonferenzlösungen auszurüsten, bleibt vorerst eine Vision. Die bereits vorhandenen Kommunikationsmöglichkeiten sind meist ausreichend.
Noch ist nicht ersichtlich, welche strategischen Pflöcke die neue Logitech-Chefin Hanneke Faber einschlagen will. Allein schon die nach wie vor ausserordentlich gute Rentabilität zu halten, wäre ein Erfolg. Solange das Unternehmen den Modeströmungen privater Konsumenten ausgesetzt ist, wird der Kursverlauf erratisch bleiben. Aus Anlegersicht beruhigend ist, dass das Logitech-Management keine zu hohen Erwartungen weckt, also tendenziell eher positiv überraschen kann, allenfalls bereits 2025 wieder.
Ein Opfer der europäischen Baukrise ist Geberit. Gepaart mit einer permanenten, wenn auch verdient hohen Bewertung war das im vergangenen Jahr zu viel. Der Sanitärtechnikkonzern ist jedoch krisenresistent, das heisst, er hat mehrfach bewiesen, dass er seine Marktposition in einer Rezession verbessern kann.
Der traditionell zyklischen Baukonjunktur stellt er ein äusserst flexibles operatives Geschäftsmodell gegenüber. Produktionskapazitäten werden sofort der Nachfrage angepasst. Mit dem Einsatz von Temporärkräften wird darauf reagiert. Das verhindert grössere Entlassungen in der Flaute beziehungsweise das Nachrennen nach Fachkräften, wenn die Nachfrage wieder anzieht.
Geberit verkauft ihre Produkte nicht direkt an die Sanitäre, sondern versucht, diese in ihrem Ökosystem mit Beratung und Ausbildung einzubinden. Das gelingt ihr bisher perfekt und hält ihr die Konkurrenten vom Leib.
Ein selbstkritisches, schlankes und bodenständig auftretendes Management ist ein weiteres Qualitätsmerkmal von Geberit. Die Börse ist sich dessen offenbar bewusst geworden, weshalb die Aktien wieder im langjährigen Schnitt bewertet sind. Angesichts der hohen Abhängigkeit von der deutschen Baukonjunktur (rund 30% der Einnahmen) ist die letztjährige Kurseinbusse von lediglich 2% schon fast ein Erfolg.
Die stets ausserordentlich hohe Kapitalrendite sowie Generierung freien Cashflows unterstreicht die Qualität des Geschäftsmodells – eine perfekte Langfristanlage.