Konzeptkunst, Fluxus, Film, Musik und Engagement für den Frieden – die künstlerische Praxis von Yoko Ono hat viele Facetten. Ihre Ausstellung «Music of the Mind» in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen umspannt ein Lebenswerk aus sieben Jahrzehnten.
Unter zeitgenössischen Künstlern gehört es mittlerweile zum guten Ton, das Publikum aus der blossen Betrachter-Perspektive herauszulocken und es zum Mitmachen zu animieren. Ein Trend, der in den sechziger Jahren durch die Konzeptkunst und die Fluxus-Bewegung seinen Anfang nahm. Yoko Ono zählt zu den Wegbereiterinnen der Artsy-Aktivisten. Sie begnügte sich indes nicht damit, den Kunstbegriff zu erweitern. Sie wollte – und will – die Welt retten.
«War Is Over! If You Want It», so lautete der Titel einer medienwirksamen Kampagne, die sie 1969 mit ihrem Beatles-Mitstreiter John Lennon ins Werk setzte – im selben Jahr wurde die gemeinsame Single «Give Peace a Chance» ein internationaler Hit. Bewunderer rühmen die Friedensaktion, Kritiker belächeln sie als naiv. Doch an Yoko Ono, durch ihre Zen-Mentalität gegen Turbulenzen aller Art weitgehend immun, prallt die Skepsis der Realos ab.
Ihre Werkübersicht «Music of the Mind», die nach der Premiere in der Tate Modern in London nun in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW gezeigt wird, ist gespickt mit weltanschaulichen Identifikationsangeboten für unverbesserliche Träumer. Schon an der Fassade des Museums am Grabbeplatz prangt in riesigen Lettern die Parole «Peace Is Power». Wer die Ausstellung betritt, trifft auf Yoko Onos «Wish Tree»: Hier dürfen die Besucher ihre Friedenswünsche in die Zweige hängen – Kunst als Wunschkonzert.
Beim Ausgang schliesslich stösst man auf eine (ursprünglich) weisse Koje mit weissem Boot – die Künstlerin will damit das Elend der Flüchtlinge vergegenwärtigen. Auch diese Arbeit mit dem Titel «Add Colour (Refugee Boat)» ist konzipiert als Appell ans Publikum, handschriftliche Botschaften zu hinterlassen. Und zwar in Blau – denn die Farbe des wolkenlosen Himmels ist der Lieblingston der Künstlerin.
Ideenreichtum und Idealismus
Darf man die 1933 in Tokio geborene Künstlerin, die 1952 in die USA übersiedelte, für blauäugig halten? In New York geriet Yoko Ono rasch in Tuchfühlung mit der Avantgarde. Durchschlagende Berühmtheit erlangte sie allerdings erst 1969 durch die Hochzeit mit John Lennon. Gewiss, ihre Appelle sind gut gemeint. Doch ist «gut gemeint» nicht das Gegenteil von «gut gemacht»?
Das würde bestreiten, wer die Überzeugung der heute 91-Jährigen teilt, Kunst könne die Welt faktisch verbessern, vielleicht sogar fundamental. Leider sprechen die Fakten eine andere Sprache. Obwohl es im Verlauf der Kunstgeschichte noch nie so viele friedensbewegte Künstler gab, die in Wort und Bild gegen den Krieg protestieren, geht es auf diesem Planeten nicht friedfertiger zu.
So haben die vordergründigen Rezepte zur Lösung der drängendsten Menschheitsprobleme, denen man in der Düsseldorfer Schau mehrfach begegnet, einen schalen Beigeschmack. Dass Yoko Ono jedoch mehr kann, dass ihr Ideenreichtum sich hinter ihrem Idealismus nicht zu verstecken braucht, auch dafür gibt es beim Rundgang etliche Belege.
So simpel wie verblüffend ist ihr «White Chess Set» (erstmals realisiert 1966), das zu einer Partie Schach im Museum einlädt. Allerdings benötigt man hierfür ein gutes Gedächtnis: Weil alle Figuren und sämtliche Felder weiss sind, dürfte Onos Anweisung «Spiel, solange du dich daran erinnern kannst, wo alle deine Figuren sind» die meisten Akteure rasch in die Bredouille bringen.
Instruktionen wie diese sind typisch für Onos Werk. Und auch für die Künstlerbewegung Fluxus, für Leitfiguren wie George Maciunas oder John Cage, mit denen Yoko Ono seit den frühen sechziger Jahren in New York auf vertrautem Fuss stand. Vergleichbar einer Partitur, die als Vorlage zur Aufführung von Musik dient, legen die Instruktionen den Verlauf einer Performance oder eines Happenings fest – mal mehr, meistens weniger. Bei Yoko Ono sind es in ihrer Fluxus-Periode oft wunderbar poetische Notate, mit denen ihre Konzeptkunst die Bühne der Wirklichkeit betritt.
Wohl sortierte Zettelwirtschaft
Am eindrucksvollsten ist das in ihrem minimalistischen Buch «Grapefruit», das erstmals 1964 in einer Auflage von 500 Exemplaren in Onos eigenem Verlag Wunternaum Press in Tokio erschien. Versammelt sind hier mehr als 150 Regieanweisungen mit kurzen, maschinengeschriebenen Texten, ergänzt um handschriftliche Zusätze. In der Kunstsammlung NRW hängen sämtliche Anweisungen auf Karten an einer Wand. Unterteilt sind sie in sieben Kapitel – «Music», «Painting», «Event», «Poetry», «Object», «Film» und «Dance»: eine wohl sortierte Zettelwirtschaft, die der Imagination Flügel verleiht. Und obwohl hier visuelle Reize fehlen, ist es ein Vergnügen, Yoko Onos «Grapefruit»-Instruktionen im Kopf durchzuspielen.
Manche sind extrem kurz und verlockend kryptisch. Zum Beispiel: «Versprich» oder «Hinterfrage». Andere beziehen sich auf das weite Feld von Körper und Kommunikation: «Lauscht gegenseitig eurem Puls». Wieder andere eröffnen ebenso paradoxe wie produktive Vorstellungsräume: «Wirf einen Stein so hoch in den Himmel, dass er nicht zurückkommt» – «Mach ein Loch. Lass es im Wind zurück.»
Liessen es ihre Fluxus-Kollegen bei Aufführungen und Performances gern krachen, so gehören die meisten «Grapefruit»-Handlungsanweisungen zur Kategorie «edle Einfalt und stille Grösse». Jedenfalls kommentiert die Künstlerin den Grundsatz ihres Tuns so: «Mein Werk war konzeptuell. Es zielte ganz gewiss nicht darauf ab, Klaviere zu zertrümmern und Autos zu schrotten.»
Kein Pardon für Lennons Mörder
Nur in einem Punkt kennt Yoko Ono kein Pardon: Mark David Chapman, der John Lennon am 8. Dezember 1980 vor ihrer gemeinsamen Wohnung am Central Park erschoss, sitzt nach wie vor im Gefängnis. Dass er den Mord, mit dem er berühmt zu werden erhoffte, im Zustand geistiger Verwirrtheit beging, darüber herrscht weitgehend Einigkeit. Mehrfach hat Chapman die Tat bereut. Gleichwohl wurden seine Anträge auf Freilassung auf Bewährung inzwischen zwölfmal abgelehnt – jüngst im August 2022.
Treibende Kraft beim Scheitern der Anhörung zur Bewährung war stets Yoko Ono. Lennons Mörder verdiene kein normales Leben, sie selbst würde sich gefährdet fühlen, würde Chapman in die Freiheit zurückkehren, teilte sie mit. «Give Peace a Chance» – in diesem speziellen Fall hat ihr Lieblingsmotto keine Chance.
«Yoko Ono. Music of the Mind», Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, bis 16. März.