Elektrische Flugtaxis sind ein Traum zukünftiger Mobilität. Viele Fachleute fürchten aber eher eine milliardenteure Geldverbrennung anstelle einer aviatischen Revolution.
Scheinbar kurz vor der Serienproduktion stehende elektrische Senkrechtstarter haben eine Gemeinsamkeit mit Hollywood-Schauspielern. Egal ob es der Volocopter, der Lilium-Jet, das Fluggerät von Joby oder der neue Midnight von Archer Aviation ist, manche halten diese Flugtaxis für eine neue Revolution in der Luftfahrt. Aber viele dieser Projekte enden trotz brillanten Computeranimationen auf den Websites ihrer Startups wie unzählige Träume junger Filmsternchen: Sie verglühen kurz vor dem angeblichen Durchbruch.
Die Idee hinter den Flugtaxis: Statt mit dem Auto auf dem Weg zum Flughafen im Stau zu stehen, erhebt man sich in die Lüfte und kommt bequem und pünktlich zur Check-in-Halle. Bleibt es beim Traum stressfreier Mobilität in der dritten Dimension? Eignen sich bemannte Drohnen nur für Trabantenstädte oder Schwellenländer?
Das derzeitige Hauptproblem dieser «electric Vertical Take-Off and Landing aircraft», kurz eVTOL: Alle Projekte für den künftigen Luftverkehr vorwiegend im städtischen Raum (Stichwort «Urban Air Mobility») sind bisher nicht in der Realität angekommen.
Entweder fliegen die eVTOL wenn überhaupt nur ferngesteuert – und damit nicht autonom – und entfernt von den versprochenen Flugleistungen wie etwa bei den Prototypen der in der Nähe von München angesiedelten Firma Lilium. Oder sie fliegen zwar mit Pilot und einem Passagier wie der ebenfalls deutsche Volocopter, das aber nur wenige Minuten lang und quasi lediglich rund ums Haus. Oder sie stürzen in der Flugerprobung als Totalverlust ab, wie in diesem März der Prototyp von Joby Aviation. Glücklicherweise war er ferngesteuert und ohne Pilot an Bord unterwegs.
Manchmal brennt auch ein Prototyp in der Halle ab wie etwa bei Lilium im Februar 2020. Dass feuergefährdete Akkutechnik zum Problem werden kann, zeigt ein weiterer Vorfall: Im Januar vor zwei Jahren fingen Akkus eines Prototyps des elektrischen Mini-Airliners Alice des Herstellers Eviation bei Bodentests im US-Gliedstaat Arizona Feuer. Alice ist zwar ein Flugzeug und kein Senkrechtstarter, die Lithium-Ionen-Akkutechnik ist aber einem eVTOL durchaus vergleichbar.
Der wohl einzige echte Profi in diesem Kreis von Anbietern, Airbus Helicopters, hat kürzlich den ersten Prototyp seines elektrischen Viersitzers CityAirbus still und leise eingemottet und will nun mit einer komplett veränderten Konstruktion unter dem Namen CityAirbus NextGen neu anfangen.
Die Ziele der unzähligen eVTOL-Hersteller sind zudem alles andere als bescheiden und wären für elektrische Flugtaxis bis jetzt aussergewöhnlich. Fast alle wollen mehr als 100 Kilometer weit und mit mindestens 150 km/h oder wie bei Lilium sogar bis zu 270 km/h schnell ihre Passagiere an ein Ziel möglichst im unmittelbaren Innenstadtbereich bringen. Gestartet und gelandet wird dort von einem Berufspiloten jeweils senkrecht wie bei einem Helikopter.
Das Ganze werde leise, sicher und nicht nur lokal CO2-emissionsfrei sein, so die Versprechungen. Dazu soll der Flugbetrieb zu angeblich äusserst wettbewerbsfähigen Kosten stattfinden. Als Konkurrenz werden daher meist nicht etwa herkömmliche Helikopter angesehen, sondern Taxis auf der Strasse. So weit die ambitionierten Träume.
Ferngesteuert ist nicht autonom
Aviatik-Experten schaudert es derweil: Bei Volocopter etwa wurde bisher ein Berufspilot benötigt, um einen einzigen Passagier im VoloCity genannten Fluggerät zu befördern. Der Hersteller Wisk im US-Gliedstaat Kalifornien will hingegen den Piloten komplett einsparen. Sein viersitziges «autonomes» eVTOL soll ferngesteuert vom Boden aus gelenkt werden – um Pilotenfehler auszuschliessen.
Derartige Startup-Unternehmen scheinen ohnehin gerne auf das Prinzip Hoffnung zu setzen: Hoffnung, dass die Akkus rasch leistungsfähiger werden, Hoffnung, dass die Zulassungsbehörden ihnen entgegenkommen, und Hoffnung, dass der Ladestrom wieder billiger und es tatsächlich einen Markt für ihre Produkte geben wird.
Zwar hat die amerikanische Fluglinie United Airlines vor kurzem öffentlichkeitswirksam bekanntgegeben, gleich 100 eVTOL vom Typ Midnight des Unternehmens Archer Aviation im Gliedstaat Kalifornien bestellt zu haben. Dieses Modell soll von einem Berufspiloten geflogen werden und vier Passagiere befördern können. Schon im Jahr 2025 soll das laut Archer möglich sein.
Solche Erfolgsmeldungen sind eher als reine Öffentlichkeitsarbeit der beteiligten Luftfahrtunternehmen anzusehen. Denn in der Luftfahrt werden Bestellungen erst dann wirksam, wenn eine Zulassung des Fluggeräts vorhanden ist und die erflogenen Leistungen tatsächlich denen entsprechen, die zuvor vereinbart wurden.
Midnight soll eines Tages in 10-Minuten-Flügen den Flughafen Newark in New Jersey mit dem Zentrum von Manhattan verbinden. Das eVTOL landet dort dann aber auf einem ganz gewöhnlichen Heliport für Helikopter, abseits der Wohngebiete. Die Reichweite des Fluggeräts mit zwölf Motoren, zwölf Rotoren und sechs Akkupacks soll lediglich etwas über 50 Kilometer betragen.
Archer Aviation hat nach eigenen Angaben zwar einen Zeitplan für die benötigte Zulassung durch die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA. Ob dieser aber auch nur annähernd eingehalten wird, steht in den Sternen. Was Midnight eines Tages kosten soll, bleibt wie bei den Mitbewerbern ohnehin völlig unerwähnt.
Kompliziertes Zulassungsverfahren
Denn was viele gerne verschweigen: Um eine mögliche Zulassung ihres Fluggeräts für einen kommerziellen Passagierflugbetrieb durch die FAA oder die europäische Agentur für Flugsicherheit EASA zu erlangen, müssen erst einmal Unmengen von Daten erhoben werden. Etliche davon aber nicht durch Computersimulationen, sondern durch echte Flugerprobung in der Realität – also etwa bei Wind, Regen, unterschiedlichsten Temperaturen und Einsatzbedingungen.
Zudem muss vor einer Zulassung eines eVTOL als Ganzes nachgewiesen werden, dass jede Komponente sicher ist. Das bedeutet, dass die Akkus bei höchster Belastung funktionieren müssen, ohne zu überhitzen. Auch müssen alle Elektromotoren zuverlässig arbeiten. Selbst unter extremen Temperatur- oder Witterungsbedingungen dürfen keine Probleme im realen Flugbetrieb auftreten. Hinzu kommt die computergestützte Flugsteuerung der vielen Rotoren, die ausfallsicher für den einzigen Piloten an Bord funktionieren muss.
Das allein ist schon ein Mammutprogramm. Dazu kommt aber ein überaus ehrgeiziger Zeitplan, den sich viele Hersteller derartiger Fluggeräte gesetzt haben. Fast alle wollen bereits in drei Jahren, also um das Jahr 2025 herum, eine Zertifizierung erreicht und im Anschluss daran eine Serienproduktion aufgebaut haben.
Das ist eine äusserst kurze Zeitspanne für ein Zulassungsverfahren eines völlig neuen Luftfahrzeug-Typs. Dass dessen Kosten für ein eVTOL in den Bereich bis zu dreistelliger Millionensummen in Dollar oder Euro steigen können, bleibt bei den meisten Unternehmen völlig unerwähnt. Einigen dürfte wohl bereits vorher das Geld ausgehen.
Ein weiterer zu kalkulierender Faktor: Die derzeit massiv steigenden Preise für Strom, den jedes dieser Fluggeräte zum Aufladen seiner Akkus benötigt, machen eine betriebswirtschaftliche Kostenkalkulation womöglich zum Lotteriespiel. Ein tatsächlich CO2-neutraler Flugbetrieb wäre ohnehin nur realisierbar, wenn der Ladestrom aus erneuerbaren Energien käme, also etwa Solaranlagen, Wind- oder Wasserkraft. Sonst sind Flugtaxis bestenfalls beim Betrieb emissionsfrei, nicht in der gesamten Klimabilanz. Ebenfalls für die Wirtschaftlichkeit mitentscheidend ist die Qualität der Batterie nach einer Vielzahl von Aufladungen.
Über die mögliche Akzeptanz künftiger eVTOL beim Betrieb in Innenstädten, wie es den meisten Startup-Unternehmen vorschwebt, wird wohl deren Lärmemission entscheiden. Bisher hiess es zwar, dass die eVTOL viel leiser seien als Helikopter. Wer aber einmal etwa einen startenden oder landenden Volocopter aus der Nähe erlebt hat, findet das womöglich faszinierend, will aber eher nicht, dass dieser neben seiner Wohnung abhebt oder aufsetzt. Und das, obwohl der Hersteller Volocopter angibt, dass sein Fluggerät vom Typ Volocity viermal leiser sei als ein kleiner Helikopter. Was stimmt?
Lärmbelastung höher als angegeben
Anders als bei E-Autos sind die kleinen Elektro-Fluggeräte nicht automatisch leiser als herkömmliche Flugzeuge. Denn deren zahlreiche hochdrehende Rotoren erzeugen einen Grossteil des Fluggeräuschs, egal wie unhörbar der Elektromotor ist. Dass keines der jungen Unternehmen echte Lärmwerte bei Start und Landung für seine angeblich flüsterleisen Fluggeräte veröffentlicht, macht zumindest misstrauisch. Selbst in Hersteller-Werbevideos sind die Fluggeräusche nicht zu hören.
Was ziemlich alle Startups ebenfalls gern ausser acht lassen: Berufspiloten, sowohl für Flugzeuge als auch Helikopter, sind mittlerweile wieder gefragt, egal ob bei Airlines, Regionalfluggesellschaften oder etwa Helikopterunternehmen. Einen Pilotenmangel in den kommenden Jahren halten viele Experten für wahrscheinlich.
Ausgebildete Berufspiloten werden also ab 2025 vermutlich noch mehr als bisher schon wählen können, wo sie arbeiten wollen. Und da viele eVTOL-Betreiber laut eigenem Bekunden bei den Betriebskosten mit Taxis auf der Strasse konkurrieren wollen, wäre ein Pilot dort zwangsläufig wohl lediglich in der Gehaltsstufe eines Taxichauffeurs anzusiedeln.
Es gibt also gewaltige Herausforderungen, bevor möglicherweise eines Tages die Revolution der urbanen Luftfahrt durch elektrische Flugtaxis stattfindet. Vielleicht aber fällt diese Revolution ganz aus.