Vor gut einem Jahr präsentierte The Market europäische Biotech-Aktien-Tipps. Die Bilanz ist insgesamt erfreulich, und viele Aktien bieten weiterhin Potenzial.
Einmal mehr blicken Unternehmen aus dem Biotech-Sektor auf ein schwieriges Jahr zurück. Gemessen am S&P Biotechnology Index verzeichnete der Sektor 2024 eine Performance von lediglich 2%. Exemplarisch zeigt sich die negative Stimmung auch im Kursverlauf der Schweizer Beteiligungsgesellschaften BB Biotech und HBM Healthcare Investments.
Auch für das neue Jahr sind die Erwartungen gedämpft: Gemäss einer Umfrage des Brokers BMO Capital Markets sind lediglich 6% der professionellen Anleger mit Blick auf 2025 zuversichtlich (bullish) für Biotech-Aktien. Mehr als 40% schätzen die Aussichten dagegen negativ ein (bearish). Für Pharmakonzerne ist das Sentiment sogar noch schlechter.
In einer solchen Situation können oft schon kleine Impulse für positive Überraschungen genügen. The Market sieht im Biotech-Sektor daher einen spannenden Investment Case für 2025, der von Investoren unterschätzt wird und entsprechend Chancen bietet (mehr dazu hier).
Sechs europäische Biotech-Aktien
Wer sich nicht auf eine Erholung des Gesamtmarktes verlassen will und risikoaffin ist, kann kleinere Wetten auf einzelne Biotech-Aktien eingehen. Doch Vorsicht: Anlagen in kleinere und mittlere Biotech-Unternehmen bergen hohe Risiken, bis hin zum möglichen Totalverlust.
Vor gut einem Jahr stellte The Market sechs vielversprechende Ideen aus dem europäischen Biotech-Sektor vor. Die Bilanz fällt durchaus positiv aus. Mit Pharvaris (-33%) und MoonLake Immunotherapeutics (-10%) haben sich zwei Titel negativ entwickelt. Dafür konnte vor allem Verona Pharma (+178%) überzeugen. Im Folgenden blickt The Market auf die Entwicklungen der einzelnen Biotech-Gesellschaften zurück – und zeigt auf, wo es sich lohnen könnte, weiter dran zu bleiben.
Argenx
Kursperformance seit Februar 2024: +73%
Der Erfolg von Argenx hat einen Namen: Vyvgart. So heisst das bisher einzige zugelassene Medikament der Belgier, das gegen verschiedene Autoimmunerkrankungen eingesetzt werden kann. Zunächst als Mittel gegen die neuromuskuläre Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis eingesetzt, hat es im Juni 2024 die Zulassung für die Indikation gegen CIDP erhalten. Dabei handelt es sich um eine autoimmunologisch bedingte Erkrankung des peripheren Nervensystems. Seitdem geht es mit den Aktien steil nach oben.
Das Medikament findet in seiner neuen Indikation grossen Anklang. Laut dem Research-Team der britischen Investmentbank Barclays haben zwei Drittel der befragten Neurologen Vyvgart bereits gegen CIDP verschrieben, 30% sogar an mindestens fünf Patienten. Dies stärkt die Erwartungen der Investoren für eine erfolgreiche Markteinführung.
Für Alexander Jenke, promovierter Biologe und Fondsmanager beim deutschen Healthcare-Investmentmanager Medical Strategy, ist Vyvgart mit dem Wirkstoff Efgartigimod eine wahre «Pipeline in a drug»: Erfolgreiche Phase-2-Studien deuten darauf hin, dass der Wirkstoff auch bei weiteren Krankheitsbildern eingesetzt werden kann. «Angesichts der Vielseitigkeit des Medikaments, könnte sich der Spitzenumsatz von Vyvgart langfristig auf bis zu 10 Mrd. € belaufen.»
Das Potenzial von Vyvgart scheint noch nicht ausgeschöpft, was ein weiteres Engagement in den Aktien rechtfertigt. Zudem diversifizieren die Belgier ihr Portfolio. So treibt Argenx die Forschung mit weiteren Kandidaten wie Empasiprubart voran, einem C2-Antikörper, der zur Behandlung von Dermatomyositis (Haut-Muskel-Entzündung) untersucht wird.
NewAmsterdam Pharma
Kursperformance seit Februar 2024: +18%
Bei NewAmsterdam Pharma sah die Aktienkursperformance im letzten Jahr lange Zeit eher mau aus. Die Niederländer haben mit dem Cholesterinsenker Obicetrapibe nur einen Produktkandidaten in der Pipeline. Das Mittel soll als Kombination mit Standardtherapeutika eingesetzt werden, die oft nicht ausreichen, um den Blutdruck ausreichend zu senken. Im Dezember gaben überzeugende Phase-3-Daten den Aktien schliesslich deutlichen Auftrieb.
Ein besonders ermutigendes Ergebnis der Studie war die signifikante Verringerung schwerwiegender kardialer Beschwerden; also von Problemen, die das Herz betreffen. Heisst: Obicetrapibe könnte über die cholesterinsenkende Wirkung hinaus erhebliche kardiovaskuläre Vorteile bieten. Im Laufe des Jahres sollen dazu Daten aus einer weiteren Phase-3-Studie vorgelegt werden.
Im zweiten Halbjahr soll ausserdem der Zulassungsantrag bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) eingereicht werden. Parallel dazu wartet der Markt gespannt auf Phase-2-Ergebnisse zu Obicetrapibe bei der Verabreichung gegen Lipoprotein(a), einem weiteren Risikofaktor für koronare Herzkrankheiten und Arteriosklerose.
Sollten sich die positiven Ergebnisse bestätigen, bieten die Aktien weiteres Potenzial. Zwar plant die Konkurrenz, darunter Novartis und der US-Pharmariese Merck, mit alternativen Wirkmechanismen nachzuziehen, doch das Marktpotenzial bleibt enorm. NewAmsterdam Pharma wird Obicetrapibe voraussichtlich nicht selbst vermarkten, was das Unternehmen zudem zu einem potenziellen Übernahmekandidaten macht.
MoonLake Immunotherapeutics
Kursperformance seit Februar 2024: -10%
Die Börsenbilanz von MoonLake Immunotherapeutics fällt hingegen negativ aus. Seit der Empfehlung im Februar des letzten Jahres ist der Aktienkurs um etwa 10% gefallen – ein Rückgang, der angesichts der hohen Kursschwankungen von Biotech-Aktien jedoch nicht beunruhigend ist. Das Unternehmen mit Sitz in Zug, dessen Aktien an der Nasdaq gelistet sind, hat mit Sonelokimab ebenfalls nur einen Kandidaten im Portfolio
Das Medikament wird unter anderem für die Behandlung von Schuppenflechten mit Gelenkentzündungen und inverser Akne entwickelt. Im vergangenen Jahr trat es in die entscheidende Phase 3 ein. «Die ersten Ergebnisse werden für Mitte des Jahres erwartet, weshalb der Markt aktuell abwartet», sagt Branchenkenner Jenke.
Die US-Investmentbank Needham hält eine Markteinführung im Jahr 2027 für realistisch. In einer Studie betonen die Analysten das Potenzial des Medikaments zur Behandlung von Akne inversa (HS), einer chronisch-entzündlichen Hauterkrankung, im Vergleich zu Konkurrenzprodukten wie Cosentyx von Novartis, Humira von AbbVie oder Bimzelx von UCB.
Jenke hat insbesondere Bimzelx von UCB im Blick, das seit der Markteinführung in den USA Ende 2023 einen «extrem starken Launch» verzeichnet hat. «Es gibt jedoch Anzeichen, dass Sonelokimab von MoonLake zu einem Best-in-Class-Medikament werden könnte», sagt er. Sollte sich dies in den Phase-3-Daten bestätigen, ist mit einer entsprechenden positiven Reaktion des Aktienkurses zu rechnen, so der Experte.
Pharvaris
Kursperformance seit Februar 2024: -33%
Deutlich stärker verloren haben die Aktien von Pharvaris – nämlich gut ein Drittel ihres Werts. Die Niederländer forschen an einem Medikament gegen die seltene Erkrankung hereditäres Angioödem. Bei dieser kommt es, ausgelöst durch bestimmte Stressfaktoren, zu starken Schwellungen von Haut und Schleimhäuten. Der Vorteil: Das Pharvaris-Mittel kann oral in Tablettenform verabreicht werden.
Die Phase-2-Daten, die bereits 2023 veröffentlicht wurden, waren laut Jenke vielversprechend, insbesondere in Bezug auf die Wirksamkeit und Sicherheit. Das Problem: 2024 gab es kaum nennenswerte Neuigkeiten. Zwar wurde die dritte Phase klinischer Tests gestartet, aber erste Ergebnisse werden frühestens 2026 erwartet.
«Aus Sicht vieler Investoren stellt sich die Frage, warum man jetzt investiert sein sollte», sagt Jenke. Für das laufende Jahr erwartet er keine nennenswerten Kurstreiber – es sei denn, Pharvaris gerät als potenzieller Übernahmekandidat in den Fokus eines Pharmakonzerns.
Verona Pharma
Kursperformance seit Februar 2024: +178%
Wesentlich erfolgreicher verlief das Jahr 2024 für Verona Pharma. Seit Februar sind die Aktien des britischen Unternehmens um mehr als 170% gestiegen. Grund dafür ist die äusserst erfolgreiche Einführung des Medikaments Ohtuvayre, das zur Behandlung von Atemwegerkrankungen eingesetzt wird. Im Sommer 2024 erteilte die US-Gesundheitsbehörde FDA die Zulassung bei Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD). Seitdem befinden sich die Aktien im Aufwärtstrend.
Bemerkenswert ist, wie gut sich das Medikament von Beginn an verkauft. Letzte Woche berichtete Verona Pharma, dass der Umsatz mit dem Medikament im vierten Quartal 36 Mio. $ betrug – deutlich mehr als die durchschnittlichen Analystenschätzungen von rund 15 Mio. $. Angesichts des Umstands, dass Millionen von Menschen weltweit an COPD leiden, ist das Marktpotenzial enorm.
«Das Produkt wird mittlerweile eindeutig als potenzieller Blockbuster angesehen», sagt Jenke. Für eine derart frühe Phase seien die Verkaufszahlen beeindruckend. Dadurch wird Verona Pharma zunehmend auch als Übernahmekandidat interessant.
Angesichts der starken Kursentwicklung schadet es nicht, wenn Anleger einen Teil der Gewinne realisieren. Aufgrund des Marktpotenzials von Ohtuvayre und der Möglichkeit eines Übernahmeangebots bieten die Aktien langfristig jedoch noch viel Potenzial. Risikoaffine Anleger bleiben voll investiert.
Zealand Pharma
Kursperformance seit Februar 2024: +59%
Auch die Kursperformance von Zealand Pharma lässt sich sehen. Die Dänen reiten auf dem heissesten Trend im Pharma- und Biotech-Sektor: Medikamente gegen Fettleibigkeit. Im Gegensatz zum Branchenleader Novo Nordisk, der vor allem auf den GLP-1-Rezeptor-Agonisten Semaglutid setzt, fokussiert sich Zealand Pharma auf das Hormon Amylin.
Dieser innovative Ansatz könnte sich auszahlen. Im Juni veröffentlichte Zealand Pharma ermutigende Phase-1b-Daten, die darauf hindeuten, dass das Amylin-Mittel in seiner Wirkung mit den Produkten von Novo Nordisk und Eli Lilly vergleichbar ist, jedoch deutlich weniger Nebenwirkungen aufweist. Patienten von GLP-Präparaten klagen häufig über Übelkeit, Erbrechen und Durchfall.
Mittlerweile befindet sich die Studie in Phase-2b. Erste Ergebnisse werden ab 2026 erwartet. «Die Dänen wollen das Produkt mit einem Partner vermarkten, haben aber keine Eile», sagt Jenke. Dank des Kursanstiegs infolge der überzeugenden Phase-1b-Daten konnte Zealand eine Kapitalerhöhung durchführen und dabei 1 Mrd. $ an liquiden Mitteln aufnehmen. Das Unternehmen selbst berichtet von grossem Interesse seitens potenzieller Partner.
Auffällig ist, dass Zealand kurz vor Weihnachten wegen der enttäuschenden Daten zum Kandidaten CagriSema von Novo Nordisk an der Börse in Mitleidenschaft gezogen wurde. Laut Jenke war diese Reaktion jedoch nicht gerechtfertigt. «Novo Nordisk hat im Gegensatz zu Zealand in der Studie GLP-1 mit Amylin kombiniert. Die Ergebnisse enttäuschten sowohl in Bezug auf die Wirksamkeit als auch hinsichtlich der Nebenwirkungen.»
Viele Experten sehen den Amylin-Ansatz mittlerweile im Vorteil gegenüber GLP-1-Wirkstoffen, da er einen vergleichbaren Gewichtsverlust bewirkt und gleichzeitig weniger Nebenwirkungen verursacht. Zealand Pharma gehört in diesem Bereich zu den führenden Unternehmen. Ein langfristiges Engagement könnte sich daher weiterhin auszahlen.