Der italienische Fotograf Oliviero Toscani hat die Kampagnenfotografie revolutioniert und politisiert – immer am Nerv der Zeit, ebenso provokant wie schockierend. Nun ist er im Alter von 82 Jahren verstorben.
Oliviero Toscani (1942 in Mailand geboren), Sohn eines Fotoreporters, studierte von 1961 bis 1965 an der Kunstgewerbeschule Zürich Grafik und Fotografie. Bekanntheit erlangte er, als er 1983 die Kreativdirektion des Labels Benetton (ab 1985 nannte sich das Label United Colors of Benetton) übernahm. Seine Kampagnen sorgten weltweit für Aufsehen. Er fotografierte selbst, nutzte zeitweise aber auch Arbeiten von Pressefotografinnen, um mit seinen Modekampagnen für Themen wie beispielsweise Aids zu sensibilisieren.
Statt Kollektionen zeitgeistig chic zu inszenieren, setzte er auf brisante und gesellschaftliche Aspekte. Schön inszenierter Oberflächlichkeit stellte Toscani gesellschaftspolitischen Realismus entgegen. So wurden Themen wie Aids, der Jugoslawienkrieg, Rassismus, Migration, Umweltverschmutzung oder die Todesstrafe zum Inhalt seiner Kampagnen, die damit für Aufregung sorgten.
Seine Arbeiten rüttelten stets am Zeitgeist. An Themen, die in der Modefotografie bewusst ausgeblendet wurden. In Erinnerung bleibt etwa die Kampagnenaufnahme aus den neunziger Jahren. Sie zeigt die blutverschmierte Kleidung eines bosnischen Soldaten, der im Jugoslawienkrieg getötet wurde.
Weniger emotional die Kampagne des Priesters und der Nonne, vereint in einem Kuss. Toscani legte die Finger auf alle offenen oder auch zugedeckten Akutwunden der Gesellschaft – Tod, Religion, Krieg, Katastrophen. Die Botschaften dahinter? «Hinschauen, nicht wegschauen» war sein Credo.
Im Jahr 2000 fand die Zusammenarbeit zwischen Oliviero Toscani und United Colors of Benetton ein Ende – das Label stand nicht mehr hinter seiner Art der Kampagnenführung. Toscani aber blieb seinem Ansatz treu, dort hinzuschauen, wo andere wegsehen. Für das Deutsche Grüne Kreuz e. V. erarbeitete er in den nuller Jahren Bilder für eine Ausstellung unter dem Titel «Osteoporosis – A Photographic Vision by Oliviero Toscani». In Zusammenarbeit mit der International Osteoporosis Foundation wurde die Ausstellung in vielen Ländern gezeigt. Für die italienische Modemarke Nolita realisierte er anlässlich der Mailänder Modewoche im Jahr 2007 die Kampagne «No Anorexia» und lichtete das magersüchtige Model Isabelle Caro nackt ab.
Ein provokanter Mahner
Auch wenn der Fotograf seine Karriere in den 1970er Jahren durchaus traditionell startete, mit Aufträgen für etablierte Modemagazine wie «Elle» und «Vogue», wurde sein Anspruch, zu provozieren, auch damals schon deutlich. 1973 fotografierte er für das italienische Label «Jesus Jeans». Zu sehen ist der Po des Models Donna Karan in sehr knappen Jeans-Hotpants; der dazugehörige Slogan lautete «Chi mi ama mi segua» (dt. «Wer mich liebt, folgt mir»), was doch verfänglich-direkt auf die zelebrierte Gefolgschaft von Jesus Christus in der Bibel anspielt.
Am 13. Januar 2025 ist Oliviero Toscani nun im Alter von 82 Jahren verstorben. Er hat der Welt auf grossen Werbetafeln vorgeführt, dass das Ausblenden kritischer und dramatisch-aktueller Zeitfragen nur bedingt möglich ist. Er war ein provokanter Mahner, einer, der sich über den schönen Schein hinwegzusetzen wusste, selbst dann, wenn hinter den emotional aufrüttelnden Bildern ein Modelabel steht.
Im Museum für Gestaltung wurde sein Schaffen bis vor kurzem in einer umfassenden Einzelschau ausgestellt. Ein ausführliches Porträt über den Fotografen lesen Sie hier in der NZZ.