Während Roche in den letzten drei Jahren an der Börse unter die Räder gekommen ist, hat Novartis regelmässig positiv überrascht. Die Voraussetzungen sind gut, dass Roche 2025 Boden gutmachen kann.
Es waren gute, ja exzellente Zeiten für Roche. Anfang 2022 blickt der von den Familien Hoffmann und Oeri kontrollierte Pharmariese auf ein weiteres hervorragendes Jahr zurück. Der Verkauf von Corona-Antigen-Schnelltests und PCR-Testgeräten lässt in der Diagnostiksparte die Kassen klingeln. Auch das Pharmageschäft, der grössere der beiden Bereiche, liefert zuverlässig seinen Umsatzbeitrag.
Trotz des wegfallenden Umsatzes der Blockbuster-Krebsmedikamente Rituxan, Herceptin und Avastin erscheint die Zukunft dank einer vielversprechenden Pipeline rosig. Roche ist mit einem Börsenwert von über 330 Mrd. Fr. der zweitgrösste Pharmakonzern der Welt. Nur der US-Pharma- und Medtech-Riese Johnson & Johnson bringt mehr auf die Waage.
Drei Jahre später könnte die Welt für Roche kaum unterschiedlicher aussehen. Die durch Covid getriebene Sonderkonjunktur ist Geschichte, zudem ist der Konzern dabei, eine Serie von Fehlschlägen in der Pharmaforschung zu verdauen. Im Frühjahr 2024 ist der Marktwert von Roche zwischenzeitlich unter 180 Mrd. Fr. abgesackt und pendelt jetzt, Anfang 2025, um die Marke von 220 Mrd. Fr.
2022: Annus horribilis für Roche
2022 hat Roche gleich drei schwerwiegende Rückschläge in der Forschung erlitten. Auf die Enttäuschung mit dem Lungenkrebsmedikament Tiragolumab, das in einer Phase-III-Studie in Kombination mit dem bereits zugelassenen Immuntherapeutikum Tecentriq die Ziele verfehlte, folgte ein herber Rückschlag in der Alzheimer-Forschung. Ihr Anti-Amyloid-Antikörper Gantenerumab konnte das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit nicht deutlich verlangsamen.
Ab 2022 zeigte sich, dass der Coronaumsatz nicht von Dauer ist – ein Umstand, den Roche zwar frühzeitig betonte, der aber von vielen Analysten lange ignoriert wurde. Zudem gab es einen weiteren Flop in der Brustkrebsforschung mit Giredestrant. Die Auswirkungen spiegeln sich in den Gewinnschätzungen für 2025, die seit 2022 stetig gesunken sind. Anfang 2022 lag die Bloomberg-Konsensschätzung für den Gewinn pro Aktie bei knapp 27 Fr. Derzeit beträgt sie etwas über 20 Fr., nachdem sie zeitweise auf fast 19 Fr. gefallen war.
Der Aktienkursverlauf der letzten drei Jahre zeichnet ein ähnliches Bild.
Novartis mit einer Serie an guten Quartalsergebnissen
Während in den letzten Jahren die Euphorie um Roche schrittweise in Pessimismus umschlug und in eine Reduktion der Gewinnschätzungen um bis zu 30% mündete, lief die Geschichte beim Pharmakonzern auf der anderen Seite des Rheins nahezu gegenteilig. «Bevor Vas Narasimhan das Zepter bei Novartis übernahm, wurde das Potenzial der Novartis-Pipeline von Analysten als zu mager eingeschätzt, um zukünftig genügend Wachstum zu generieren», sagt Stefan Schneider, Pharmaanalyst bei Vontobel.
Doch vor allem in den letzten beiden Jahren hat Novartis immer wieder positiv überrascht. In den Jahren 2023 und 2024 hat sie das Kunststück vollbracht, sieben Quartale in Folge die Erwartungen der Analysten zu übertreffen. Sie wurde quasi chronisch unterschätzt. Dies zeigt sich in der Entwicklung der Gewinnschätzungen für das laufende Jahr 2025, die – anders als die für Roche – gestiegen sind, wenn auch unter starken Schwankungen.
Narasimhan übernahm den CEO-Posten 2018, seitdem hat Novartis eine umfassende Transformation durchlaufen. Von einem eher trägen Healthcare-Konglomerat hat sie sich durch die Abspaltung der Augenheilsparte Alcon und der Generikasparte Sandoz zu einem reinen Pharmaunternehmen entwickelt, das sich voll auf innovative Arzneimittel konzentriert. Dafür hat sie kostspielige Akquisitionen neuartiger Technologieplattformen durchgeführt, die bereits Medikamentenkandidaten mit fortgeschrittenem Zulassungsstatus vorweisen konnten.
Ein Beispiel ist die Übernahme der auf kardiovaskuläre Medikamente spezialisierten US-Gesellschaft The Medicines Company für knapp 10 Mrd. $, die 2019 angekündigt wurde. Ihre Radioligandentherapie zur Behandlung von Prostatakrebs, Pluvicto, wird 2024 die Blockbuster-Umsatzschwelle überschreiten, also über 1 Mrd. $ Umsatz generieren – Tendenz steigend.
Dass Novartis zuletzt fast jedes Quartal die Erwartungen übertreffen konnte, liegt vor allem daran, dass die Analysten den Aussagen des CEO bis heute nicht vollständig vertrauen. Als Narasimhan für die Periode 2022 bis 2017 anfangs ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 4% anpeilte, lag der Konsens bei 1 bis 2%. Als Narasimhan die Prognose schliesslich auf 5% erhöhte, passten die Analysten ihre Schätzungen nur langsam an.
«Obwohl Narasimhan stets geliefert hat, was er versprach, traut der Markt den Wachstumsprognosen von Novartis bis heute nicht», bemerkt Schneider. Das zeigen auch die aktuellen Schätzungen: Novartis prognostiziert für die Jahre 2023 bis 2028 ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 6%, während der Analystenkonsens ihr nur 4% zutraut. Für die Periode 2024 bis 2029 rechnet Novartis mit 5%, der Konsens hingegen glaubt gemäss Daten von Vontobel an ein jährliches Wachstum von lediglich 2%.
2025: Roche oder Novartis?
Die anhaltende Skepsis gegenüber Novartis dürfte einer der Gründe sein, warum die Aktien auf Fünfjahressicht trotz solider operativer Entwicklung unter dem Strich kaum vom Fleck kamen – trotz der deutlichen Avancen in den Jahren 2023 und 2024. Gegenüber Roche zeigt sich jedoch: Novartis hat den direkten Vergleich zuletzt klar gewonnen.
Doch wie geht es 2025 weiter?
Sinkenden Gewinnschätzungen und einem eingebrochenen Aktienkurs bei Roche stehen also steigende Gewinnerwartungen und (moderate) Kursgewinne bei Novartis gegenüber. The Market sieht vor diesem Hintergrund aus einer Contrarian-Perspektive Potenzial, dass Roche in diesem Jahr aufholt.
Für Roche spricht, dass der negative Basiseffekt des pandemiebedingten Booms überwunden ist, wodurch das solide Wachstum seit einigen Quartalen wieder sichtbar wird. «Bereinigt betrachtet war die Umsatzentwicklung bei Roche eigentlich immer positiv, allerdings hat die Börse den Pandemieeffekt zu wenig differenziert betrachtet», bemerkt auch Schneider.
Roche betonte in der Vergangenheit wiederholt, dass das Basisgeschäft stetig gewachsen sei. Grafiken wie die folgende wurden regelmässig in Medien- und Analystenpräsentationen gezeigt. Sie verdeutlichen, dass der Gruppenumsatz – ohne Berücksichtigung des Covid-Umsatzes und zu konstanten Wechselkursen – stetig gesteigert wurde.
Im Hinblick auf die Entwicklungspipeline hat Roche Konsequenzen aus dem Krisenjahr 2022 gezogen. Unter CEO Thomas Schinecker, der im Frühjahr 2023 die Nachfolge von Severin Schwan angetreten hat, hat Roche eine umfassende Überprüfung ihrer Forschungs- und Entwicklungsstrategie vorgenommen. Schinecker liess vor Medienvertretern wiederholt durchblicken, dass seiner Ansicht nach in der Vergangenheit zu oft an Studien festgehalten wurde, die besser frühzeitig eingestellt worden wären.
Das Ergebnis: Wenig erfolgversprechende Pipelineprojekte werden konsequenter aufgegeben, während der Fokus verstärkt auf potenziell profitable Therapien gerichtet wird. Die positiven langfristigen Effekte dieser neuen Fokussierung könnten an der Börse noch unterschätzt werden – insbesondere da Roche über eine der umfangreichsten Entwicklungspipelines der Branche verfügt.
Roche: Blockbuster-Kandidaten mit anstehendem Newsflow
Zwar besteht ein Grossteil der Pipeline aus Produkten, die sich noch in den frühen Phasen I oder II befinden. Doch das Research-Team der Bank of America (BofA), das Roche kürzlich als «Contrarian Buy» hochgestuft hat, betont, dass die Basler auch in den späteren Phasen vielversprechende Projekte vorweisen können. Für 2025 werden Studienergebnisse von gleich drei potenziellen Blockbustern erwartet, die jeweils ein Multimilliardenpotenzial haben.
- So zeigen sich die BofA-Analysten vor allem hinsichtlich der weiteren Entwicklung des Brustkrebsmittels Giredestrant optimistisch. Roche forsche an einer Brustkrebspille, die das Potenzial habe, die Onkologiebehandlung zu revolutionieren. Erste Daten aus der Phase-III-Studie zur Behandlung von metastasierendem Brustkrebs werden für Mitte des Jahres erwartet. BofA prognostiziert einen Spitzenumsatz von 7 Mrd. Fr.
- Die Analysten beobachten auch den sogenannten BTK-Inhibitor Fenebrutinib, der zur Behandlung von Multipler Sklerose (MS) entwickelt wird. Der Wirkstoff zeige in den laufenden Phase-III-Studien vielversprechende Ergebnisse. Zwei der Studien prüfen die Wirksamkeit bei schubförmiger MS im Vergleich zu Sanofis Aubagio, wobei Ergebnisse für die zweite Jahreshälfte 2025 erwartet werden. Laut BofA liegen die aktuellen Konsensschätzungen für den Umsatz von Fenebrutinib im Jahr 2031 bei 0,6 Mrd. Fr., was angesichts eines potenziellen Multimilliardenmarktes ein vergleichsweise geringer Wert sei. Die Analysten sehen ein Umsatzpotenzial von bis zu 5 Mrd. Fr.
- BofA beobachtet auch den monoklonalen Antikörper Prasinezumab, eine experimentelle Therapie gegen Parkinson. Das Medikament könnte als erste krankheitsmodifizierende Behandlung zugelassen werden – so werden Medikamente genannt, die das Fortschreiten der Erkrankung aufhalten. Nach überzeugenden Phase-II-Daten im vierten Quartal 2024 dürften Phase-III-Studien 2025 starten. Wie bei Fenebrutinib prognostiziert BofA auch für Prasinezumab einen potenziellen Spitzenumsatz von 5 Mrd. Fr.
Die in den Medien viel diskutierten Adipositas-Pipelinekandidaten, die Roche durch die Übernahme von Carmot Therapeutics erworben hat, sind für BofA hingegen kein Grund zur Euphorie. Zum Zeitpunkt einer möglichen Markteinführung der ersten Roche-Medikamente 2028 dürfte der Markt bereits hart umkämpft sein, so die Analysten.
Auch Vontobel-Analyst Schneider warnt diesbezüglich vor zu hohen Erwartungen. «Das Adipositas-Portfolio von Roche ist interessant, befindet sich jedoch noch in einem zu frühen Entwicklungsstadium, um als nachhaltiger Wachstumstreiber zu gelten.» In seinem Modell seien die Kandidaten nur minimal integriert.
Novartis: Ablauf von Patenten bleibt 2025 Thema
Bei Novartis wird 2025 weiterhin vom Ablauf von Patenten geprägt sein. Wichtige Umsatzbringer wie das Herzmittel Entresto und die beiden Blockbuster-Krebsmittel Promacta und Tasigna werden ab Mitte 2025 von Generika herausgefordert. «Novartis setzte lange auf chemisch synthetisierte Wirkstoffe, die vergleichsweise leicht zu kopieren sind», erklärt Schneider. Anders als derjenige von Biopharmazeutika bricht ihr Umsatz nach Patentablauf meist deutlich schneller ein. Das sei auch der Grund, warum der Ablauf von Patenten bei Novartis in der Regel kritischer bewertet werde als bei anderen Unternehmen.
Schneider sieht das grösste Problem für Novartis derzeit darin, dass der Newsflow im Jahr 2024 aussergewöhnlich positiv war und die Aktie entsprechend gut gelaufen ist. Einige Investoren stellten sich nun die Frage, was noch Besseres folgen könnte – vor allem, weil der Markt in der ersten Hälfte 2025 weniger Nachrichten aus der Pipeline erwarte.
Schneider sieht Novartis jedoch auf einem guten Weg. Die Transformation zu einer innovativen Pharmagesellschaft habe in den vergangenen Jahren erheblichen Mehrwert für die Aktionäre geschaffen. «Der gestiegene Cashflow ermöglichte es Novartis, eine attraktive und steigende Dividende zu zahlen, Aktien zurückzukaufen, in das Geschäft zu investieren und gezielt zuzukaufen – und das alles gleichzeitig.»
Der Analyst erwartet, dass sich dieser Trend fortsetzt. Das Wachstumsmomentum sei intakt, und die bevorstehende Einführung von Generika von Entresto in den USA, Promacta und Tasigna per Mitte 2025 sollte mehr als ausgeglichen werden.
Auch The Market ist von den langfristig guten Aussichten von Novartis überzeugt, empfiehlt in diesem Jahr jedoch, Roche aufgrund ihres grösseren Aufholpotenzials überzugewichten. Der Gewinn stabilisiert sich zunehmend, zudem werden die von Schinecker angestossenen Initiativen für eine effizientere Forschung noch nicht vom Markt honoriert.
Für beide Aktien spricht die derzeit wenig anspruchsvolle Bewertung. Für Roche liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis des geschätzten Gewinns der nächsten zwölf Monate bei 13,5 (Zehnjahresschnitt: 15,3), für Novartis bei 12 (Zehnjahresschnitt: 15,2).
Die Valoren von Roche befinden sich auf der Liste der Aktienfavoriten von The Market für 2025.