Die Pauschalen, die ab 2026 gelten sollen, seien schlecht gemacht, sagen die Chirurgen. Und warnen davor, dass Operateure bald gefährliche Experimente bei der Narkose und dem Material wagen könnten.
Bei Atemproblemen kann eine operative Nasenkorrektur in einer Spezialistenpraxis helfen, die Fachleute sprechen von einer Rhinoplastik. Der Eingriff ist nicht sehr aufwendig, er dauert rund eine Viertelstunde. Danach kann der Patient wieder nach Hause.
Die Rechnung fällt heute ziemlich moderat aus: Versicherte mit hohen Franchisen müssen rund 760 Franken bezahlen, plus noch ein paar Franken für das bei der Operation verwendete Material und die Medikamente.
Doch Betroffene sollten sich beeilen. Denn wenn sie mit der Operation bis zum nächsten Jahr warten, droht eine böse Überraschung. Laut dem Chirurgenverband FMCH könnten die Kosten für den Eingriff dann plötzlich bei 5500 Franken liegen – das wäre etwa siebenmal so teuer wie in diesem Jahr. Ein Patient mit Maximal-Franchise müsste davon 2800 Franken übernehmen, 2500 für die Franchise und 300 Franken für den Selbstbehalt.
Das ist ein besonders krasses Beispiel für die Auswirkungen der jüngsten Reform im Gesundheitswesen. Aber bei weitem nicht das einzige. Die Operation eines Bruchs der Bauchwand (Hernie) könnte künftig 4550 Franken kosten statt wie heute 1774 Franken (plus Material). Oder ein einfacher Eingriff an der Speicheldrüse, der 45 Minuten dauert: derzeit 1040 Franken (plus Material), im Jahr 2026 jedoch 3880 Franken.
Pauschalen sind sinnvoll, aber . . .
Wie sind solche massiven Kostensprünge möglich? Der Grund liegt bei den ambulanten Pauschalen, die am 1. Januar 2026 neu eingeführt werden sollen. Für verschiedene Gruppen von Eingriffen aus demselben Fachgebiet in Spezialistenpraxen oder Spitalambulatorien gibt es dann einen fixen Betrag.
Dass Pauschalen prinzipiell sinnvoll sind, hat sich in den vergangenen Jahren im stationären Spitalbereich gezeigt. Sie zwingen die Ärztinnen und Ärzte dazu, effizient zu arbeiten. «Diese können es sich gar nicht leisten, unnötige Sachen zu machen, dafür bekommen sie ja keine Entschädigung mehr – anders als im Einzelleistungstarif von heute, der in dieser Hinsicht falsche Anreize setzt», sagte Pierre-Alain Schnegg in einem Interview mit der NZZ.
Der Berner Gesundheitsdirektor präsidiert die Organisation, die die Pauschalen erarbeitet hat. Diese würden auch die Administration vereinfachen, betont er: Statt 10 oder 20 einzelne Leistungen zu erfassen, könne ein Mediziner einfach die Pauschale abrechnen.
Dagegen haben auch die Chirurgen nichts einzuwenden. Es war mit der FMCH sogar ihr Verband, der sich als einer der ersten Akteure des Gesundheitswesens für Pauschalen starkgemacht hat. Sie bemängeln jedoch, dass die Pauschalen in der derzeitigen Fassung schlecht ausgestaltet seien. Das Problem sehen die Spezialmediziner vor allem darin, dass in den Pauschalen Operationen zusammengefasst sind, die vom Aufwand her höchst unterschiedlich sind.
Missbrauchspotenzial
So fällt unter die Pauschale von rund 5500 Franken, zu der die eingangs erwähnte 15-minütige Rhinoplastik gehört, auch eine beidseitige Naseneingangskorrektur. Für diese Operation wird im Tarif eine durchschnittliche Dauer von 160 Minuten veranschlagt. Die Pauschale deckt diesen Aufwand im Normalfall nicht. Heute gibt es für den Eingriff im Kanton Zürich rund 3100 Franken, allerdings sind die hohen Kosten für Material und Medikamente da noch nicht eingerechnet.
Bei einer Pauschale gibt es immer Quersubventionierungen. Doch wenn die Unterschiede zu gross sind, birgt das ein Missbrauchspotenzial: Ein Chirurg könnte versucht sein, möglichst oft die einfache, 15-minütige Nasen-OP zu machen und sich dafür fürstlich entlöhnen zu lassen. Die komplizierten und weniger lukrativen Fälle hingegen würde er ins Spital schicken – was dort zu roten Zahlen führen würde. «Das Risiko, dass das passiert, ist reell», sagt die FMCH-Vizepräsidentin Charlotte Meier Buenzli, die früher als Chefärztin am Kantonsspital Nidwalden gearbeitet hat.
Ein weiteres Problem ortet Meier Buenzli bei der Tatsache, dass die Anästhesie künftig Teil der Pauschale ist und nicht mehr wie heute separat vergütet wird. «Das kann dazu führen, dass Praxisbetreiber bei der Narkose sparen wollen – und ganz auf eine qualifizierte Anästhesiebetreuung verzichten oder ausländische Anästhesisten beschäftigen, die die Schweizer Berufsstandards nicht kennen.»
Gefährdete Patienten
Laut der Expertin wäre ein solches Vorgehen nicht illegal. Und es wäre für die Krankenkassen oder die Behörden auch kaum erkennbar, weil auf der Rechnung nur die Pauschale ausgewiesen ist, nicht aber das Personal, das beim Eingriff zum Einsatz kommt. «Wir befürchten, dass solche Praktiken die Patienten gefährden, weil im Notfall kein ausreichend qualifiziertes Eingreifen möglich wäre», sagt Meier Buenzli. Auch beim Material könnten minderwertige Produkte zum Einsatz kommen, um den Gewinn zu maximieren.
Bemerkenswert ist, dass die FMCH mit solchen Aussagen vor schwarzen Schafen unter den eigenen Mitgliedern warnt. Gesundheitsdirektor Schnegg hat in Bezug auf ähnliche Bedenken gesagt, dass es in jedem System Fehlanreize gebe. Die Schweizer Ärzte seien jedoch Profis, er gehe davon aus, dass sie nicht alles dem Gewinn unterordneten.
Genauso wie der Spitalverband H+, der weiterhin hinter der Reform steht, fordert Schnegg Geduld. Es handle sich bei den Pauschalen um ein lernendes System, das dauernd verbessert werde. Doch bei der FMCH hat man diese Geduld nicht. «Vielleicht ist das System in fünf Jahren wirklich brauchbar – aber bis dann zahlen viele Patienten einen hohen Preis», sagt Meier Buenzli.
Aktueller Prüfbericht fehlt
Irritiert zeigt sich der Chirurgenverband auch über den Umstand, dass es keinen Prüfbericht des Bundesamtes für Gesundheit für die Pauschalen in der derzeitigen Version gibt. Dies hat das Innendepartement der FMCH schriftlich bestätigt. «Ein solcher Bericht ist jedoch unerlässlich, um die Auswirkungen der neuen Tarife auf Kosten, Versorgungsqualität und Patienten zu überprüfen», schreibt der Verband in einem offenen Brief an den Bundesrat.
Die Pauschalen seien nach dem Prüfbericht vom Juni 2023 nur geringfügig angepasst worden – und damals hatte das BAG die Pauschalen als «nicht einführungswürdig» taxiert: Sie seien zu wenig homogen. Die FMCH fordert deshalb, dass die Pauschalen bis Ende 2025 gründlich überarbeitet werden. Wenn das nicht möglich ist, soll das BAG die Einführung der Pauschalen um ein Jahr auf den 1. Januar 2027 verschieben.
Um das Problem mit den stark unter- oder übervergüteten Pauschalen zu lösen, schlägt Meier Buenzli vor, die Pauschalen nochmals zu unterteilen – dies nach medizinischen Aspekten und in Zusammenarbeit mit den Ärzten. Statt den 330 Pauschalen, die derzeit geplant sind, wären es dann rund doppelt so viele. Und die Nasenkorrektur käme in eine Gruppe mit ähnlich simplen Eingriffen – mit einer Pauschale, die ungefähr dem heutigen Preis entsprechen und nicht siebenmal so hoch ausfallen würde.