Der deutsche Markt für Börsengänge war seit Jahren schwierig, doch nun wird er konstruktiver. Für 2025 sind aussichtsreiche Kandidaten wie der Generikahersteller Stada, der Energietechnikspezialist Pfisterer und die Medtech-Perle Brainlab am Start.
Der Markt für Börsengänge in Deutschland war in den vergangenen Jahren nicht gerade «the place to be». 2024 sammelten vier Aspiranten zusammen 2,1 Mrd. $ Eigenkapital ein. Weniger kam aus Initial Public Offerings (IPO) zuletzt nur im Pandemiejahr 2020 zusammen.
Anleger, die in den vergangenen Jahren auf die etablierten Werte setzten und den deutschen Börsengängen fernblieben, haben nicht viel verpasst. Die Ausnahme bilden primär Unternehmen aus der Rüstungsindustrie: Renk und Hensoldt.
Die meist mittelgrossen Erstemissionen litten unter der allgemeinen Schwäche der Nebenwerte, die für Mittelabflüsse bei Small/Midcap-Fonds sorgten. Deren Appetit auf Neulinge hat dies nicht vergrössert. So blieben exzellente Kandidaten wie der Fernbusbetreiber Flix der Börse fern; Flix sammelte 2024 stattdessen 900 Mio. € beim schwedischen Finanzinvestor EQT, dem Logistikmilliardär Klaus-Michael Kühne sowie Porsche ein. Der Heizungsableser Techem ging von der Partners Group statt an die Börse in weitere Private-Equity-Hände über, bereits zum vierten Mal.
«Das Marktumfeld wird deutlich konstruktiver»
Aus Sicht von Investmentbankern spricht dennoch einiges dafür, dass 2025 ein besseres IPO-Jahr wird als 2024. Da Large-Cap-Unternehmen oft sehr hoch bewertet seien, sei die Bereitschaft der Investoren zum Einstieg in neue Namen gewachsen, berichtet Eva Maria Wiecko, Head of Equity Capital Markets (ECM) für Deutschland bei Rothschild & Co. «Das Marktumfeld ist deutlich konstruktiver geworden».
Ihr Kollege bei Goldman Sachs, Philipp Süß, erwartet, dass sich der deutsche IPO-Markt in diesem Jahr normalisiert und der längerfristige Durchschnitt wieder erreicht werden kann: «Die Pipeline hat sich gegenüber Anfang 2024 signifikant verbessert. Der Trend, dass Konzerne ihre Struktur vereinfachen und sich von Randaktivitäten trennen, wird sich fortsetzen».
Die Pipeline insbesondere aus den Private-Equity-Portfolios hat sich zuletzt regelrecht aufgestaut. «Der Druck steigt», sagt Christian Reindl, Fondsmanager bei Union Investment. In der Niedrigzinsphase haben Finanzinvestoren kräftig und teuer eingekauft. Viele Unternehmen wechseln wie Techem seit Jahren von einem Private-Equity-Fonds zum nächsten oder – wenn das Ende der meist zehnjährigen Fondslaufzeit erreicht ist – in extra kreierte «Continuation Funds». Nun aber wollen die Geldgeber wie Pensionsfonds wieder echte Realisierungen wie Börsengänge oder Verkäufe an Strategen sehen.
Allerdings ermöglicht der Aktienmarkt für mittelgrosse Unternehmen aus Private-Equity-Verkäufersicht kaum ausreichende Bewertungen. Dies spiegelt sich darin wider, dass zuletzt die Public to Privates – also die Aufkäufe notierter Unternehmen durch Finanzinvestoren – zunahmen. Beispiele waren Synlab (durch Cinven) und Encavis (durch ein KKR-Konsortium).
Der Trend könnte sich erst einmal fortsetzen: Der im MDax notierte Kölner Werbekonzern Ströer prüft, sein Kerngeschäft mit Aussenwerbung und digitalen Medien wie dem Portal T-Online an Finanzinvestoren zu verkaufen. Der kürzlich von Bloomberg kolportierte Preis von 4 Mrd. € allein für die Aussenwerbungssparte überträfe Ströers Marktkapitalisierung um 1 Mrd. €. Das Management um den mit 24% grössten Ströer-Aktionär und Co-Chef Udo Müller hatte immer wieder signalisiert, dass man an der Börse nicht den fairen Wert erhalte und andere Möglichkeiten sondiere.
Clinch um die Bewertungen
Die Gretchenfrage lautet also, wie das Ringen zwischen Private-Equity-Managern und Fondsmanagern von Aktienfonds um die Bewertungen ausgeht. Auf beiden Seiten hat sich Frust aufgestaut. «Der deutsche Kapitalmarkt ist ein Desaster», klagt der Deutschlandchef eines führenden europäischen Private-Equity-Hauses. «Wenn man nicht 20% Discount vom fairen Wert akzeptiert, kann man nichts platzieren.» Statt inhaltlich zu arbeiten, träten deutsche Grossinvestoren nur arrogant auf, kritisiert ein anderer Private-Equity-Topmann. Beide wollen sich nicht namentlich äussern, da sie Kandidaten für Frankfurt im Portfolio haben.
CVC Capital Partners lässt Taten sprechen: Der Finanzinvestor will die Syntegon firmierende, ehemalige Bosch-Verpackungstechnik dieses Jahr in Zürich listen. Die Vorbereitungen sind weit gediehen, das schwäbische Unternehmen mit 6300 Beschäftigten und 1,5 Mrd. € Jahresumsatz (2023) verlegt dafür seinen Verwaltungssitz von Waiblingen bei Stuttgart 180 Kilometer südwestlich ins Schweizerische Schaffhausen. Die Investoren in der Schweiz agierten vielfach rationaler und bezögen die Chancen eines Unternehmens stärker in die Bewertung ein, heisst es im CVC-Umfeld zur Begründung der Zürich-Notiertung.
Die Manager der Publikumsfonds beklagen ihrerseits bei IPO-Kandidaten aus Private-Equity-Hand deren hohe Verschuldung. Statt Wachstum zu finanzieren, dienen die Emissionserlöse bloss der Schuldentilgung.
Christoph Berger, CIO Equity Europe von Allianz Global Investors, fordert «Fairness von den Verkäufern. Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen mit etwas Zeitabstand zum IPO die rechtlichen Möglichkeiten zum De-Listing auf unattraktiven Preislevels missbraucht wurden.» Synlab und Suse wurden einst von ihren Private-Equity-Eignern Cinven respektive EQT an die Börse gebracht und später billiger wieder zurückgekauft.
Nach wie vor wählen manche Verkäufer zudem die aktionärsunfreundliche, international kaum vermittelbare Rechtsform der Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) – wie zuletzt bei Springer Nature und Schott Pharma. So behalten sie auch nach IPO die volle Kontrolle. «Bei KGaA-Strukturen erwarten wir einen erheblichen Bewertungsabschlag», erklärt Berger.
Gemäss Goldman-Sachs-Banker Süß haben sich die Bewertungserwartungen von Käufern und Verkäufen mittlerweile angenähert. Der Erfolg von Börsengängen hänge ohnedies von der Partizipation angelsächsischer Investoren ab, die in der Regel 60 bis 80% der Nachfrage stellten. Im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre gingen die Zuteilungen bei deutschen IPO nur zu 11% an heimische Fonds, bei Schweizer IPO zu 16%.
Thomas Schweppe vom Frankfurter Investorenberater 7Square berichtet allerdings, teilweise würden angelsächsische Fonds vom deutschen Übernahmerecht abgeschreckt: «In Deutschland haben Aktionäre wenig Schutz vor aggressiven Massnahmen, die ihre Eigentumsposition beeinträchtigen.» Als Beispiele nennt Schweppe die Delistings von Vitesco durch Schaeffler und von Software AG durch Silverlake.
Stada wird zum ersten wichtigen Gradmesser
«Wichtig wird, wie das erste IPO verläuft», sagt Union-Fondsmanager Reindl. Als vergangenen März das Debüt der Parfümeriekette Douglas floppte, verdarb dies die Stimmung für viele Monate.
So richten sich alle Augen auf Stada, den voraussichtlichen «Gradmesser für den IPO-Markt 2025» (Reindl). Der Generikahersteller aus Bad Vilbel bei Frankfurt („Grippostad“) soll noch vor Ostern in Frankfurt gelistet werden und wäre mit einem Emissionsvolumen von 1-2 Mrd. € das grösste IPO seit dem Porsche-Börsengang 2022. Stada war 2017 für 5,3 Mrd. € von den Finanzinvestoren Bain Capital und Cinven von der Börse aufgekauft und seither um einige Akquisitionen ergänzt worden.
Bereits 2024 galt Stada als Kandidat für ein Comeback im MDax; zunächst verhandelten Bain und Cinven aber noch mit den US-Finanzinvestoren GTCR und Clayton Dubilier & Rice über einen Verkauf. Man konnte sich jedoch nicht auf einen Preis einigen; im Raum stand eine Bewertung von 10 Mrd. € für das Unternehmen mit 3,7 Mrd. € Umsatz und 802 Mio. € Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) 2023.
Manche in der Finanzszene glauben, dass Stada letztlich doch noch veräussert werden wird. «Der Verkauf ist initial fast immer attraktiver als der initiale Preis an der Börse», erklärt Rothschild-Bankerin Wiecko.
In Stada-Eignerkreisen wird hingegen versichert, dass seit Wochen nur noch die Börsenoption vorangetrieben werde. Cinven und Bain planen, eine eher kleine erste Tranche zu platzieren und dafür einen Bewertungsdiscount zu akzeptieren. Die grösseren Abverkäufe seien dann später bei steigenden Kursen geplant, der Gesamt-Exit könne sich leicht drei Jahre hinziehen.
Die Geschäfte entwickelten sich gut, Stada werde demnächst 1 Mrd. € Ebitda abliefern. Ein Knackpunkt dürfte aber die hohe Nettoverschuldung von 5,5 Mrd. € werden. Deshalb wollen Bain und Cinven die Schuldenlast splitten: Stada wird nur einen Teil behalten und soll mit einer Nettoverschuldung in Höhe des dreifachen Ebitda gelistet werden, die bis Jahresende auf das 2,5-fache Ebitda sinkt. Die übrigen Schulden übernimmt eine gemeinsame Holding der Finanzinvestoren, die die Stada-Aktien hält. Diese sollen nach und nach getilgt werden, wenn Cinven und Bain im Nachgang Pakete veräussern.
Aussichtsreicher Kandidat aus der Energietechnik
Ein deutlich kleineres IPO plant das über 100 Jahre alte Energietechnikunternehmen Pfisterer, um angesichts starker Nachfrage die Ausweitung der Produktionskapazität zu finanzieren. Insidern zufolge wird das Listing im Mai angestrebt. Auf dem Frankfurter Eigenkapitalforum vergangenen November trat das Unternehmen bereits als «Pre-IPO-Kandidat» auf. Pfisterer-Chef Johannes Linden zufolge will die Gründerfamilie das Unternehmen als «unabhängige Gesellschaft erhalten». Pfisterer erzielte 2023 mit Steckverbindungen für Erdkabel und Hochspannungsleitungen bei 335 Mio. € Umsatz einen Gewinn nach Steuern von 24,5 Mio. € und wuchs 2024 zweistellig.
Ähnlich konkret bereitet sich laut Bankern derzeit der Berliner Autoteilehändler Autodoc (Umsatz 2023: 1,3 Mrd. €) auf ein IPO vor und strebt ebenfalls das Fenster April/Mai an. Der Autoteile-Onlineshop wollte schon 2021 Zalando und Auto1 an die Börse folgen; damals liessen die Emissionsbanken JP Morgan, UBS und Goldman Sachs das Listing aber platzen, nachdem ein zweifelhaftes Dossier über Autodoc-Mitgründer Max Wegner aufgetaucht war. Nunmehr sind andere Banken mandatiert als 2021.
Ein Medtech-Hoffnungsträger aus München
Grosse Hoffnungen setzen Investmentbanker auf das Münchner Medtech-Unternehmen Brainlab. Finanzkreisen zufolge hat Brainlab Banken zum Pitch eingeladen, das IPO könnte im Laufe des Jahres starten. Der Hersteller von Hard- und Software für bildgestützte Chirurgie, OP-Integration und Radiochirurgie mit 2400 Mitarbeitern wächst kräftig: Im vergangenen Jahrzehnt wurde der Umsatz auf 429 Mio. € im Geschäftsjahr 2022/23 (30. September) verdoppelt. Das Ebitda bezifferte Brainlab im Konzernabschluss 2022/23 mit 62 Mio. €, das Betriebsergebnis mit 13 Mio. €.
Der Selfmade-Unternehmer Stefan Vilsmeier gründete Brainlab 1989 im Keller seines Elternhauses und bedient mit seinen Systemen mittlerweile 6700 Krankenhäuser in 127 Ländern weltweit. Sein erster Anlauf 2001 an die Börse wurde wegen des damaligen Crashes am Neuen Markt in letzter Minute abgesagt.
Seither hat der 57-Jährige, der nach wie vor etwa die Hälfte der Anteile hält, immer wieder ein IPO in Aussicht gestellt. Letztlich finanzierte er das Wachstum stets auf anderen Wegen: Erst holte er Gesellschafter wie Johnson & Johnson, Intel und Varian mit kleinen Anteilen im einstelligen Prozentbereich an Bord. Seit 2018 ist mit EMH Partners erstmals eine Private-Equity-Firma mit einer «zweistelligen Minderheitsbeteiligung» investiert. Seine Firma zu verkaufen, lehnte Vilsmeier stets ab; er wollte das Sagen haben.
Anfang 2025 leitete er eine neue Phase ein: Nach 35 Jahren trat er von der Brainlab-Spitze ab und übernahm den Aufsichtsratsvorsitz. Zugleich wurde der Brainlab-Vorstand unter anderem um einen Finanzchef erweitert. Die Governance scheint also vorbereitet auf ein IPO. Ob sich Vilsmeier wirklich dazu entschliesst, bleibt aber spannend.
Raisin und KNDS könnten von positivem Umfeld profitieren
Ähnlich scheint die Situation des Berliner Fintechs Raisin, das viele Investmentbanken für 2025 auf ihren IPO-Listen führen. In Finanzkreisen heisst es, im Dezember habe das Management bereits Gespräche mit Investoren geführt. Raisin («Weltsparen») verwaltet über 60 Mrd. € an Assets. Das Fintech ist allerdings seit Jahren ein Liebling privater Investoren, vergangenen Herbst stieg der chinesische Tech-Konzern Tencent ein. Diese dürften beobachten, wie der 2025 geplante Gang des schwedischen Zahlungsdienstleisters Klarna an die New Yorker Börse verläuft.
Auf ein sehr positives Marktumfeld würde der Panzerbauer KNDS treffen, entstanden aus der Fusion des französischen Staatsunternehmens Nexter mit der deutschen KMW (Krauss-Maffei Wegmann). Rüstungsaktien zählten 2024 zu den am besten performenden Sektoren.
Aus den Private-Equity-Portfolios sind der Online-Modehändler Best Secret (ehemals: Schustermann & Borenstein) im Besitz von Permira und der österreichische Gasmotorenproduzent Innio (früher: Jenbacher) des US-Finanzinvestors Advent aussichtsreiche Kandidaten. Innio könnte den `Rechenzentren-Boom mitnehmen und Ende 2025 oder 2026 an die Börse kommen, heisst es in Finanzkreisen. Über die Wahl des Börsenplatzes werde allerdings noch diskutiert.
Verkauf statt IPO wahrscheinlich bei Flender et al.
Dagegen wird der Getriebehersteller Flender im Portfolio von Carlyle, zwar oft als IPO-Kandidat genannt, dürfte aber eher in den Verkauf gehen. Dies gilt Finanzkreisen zufolge ebenfalls für Neuraxpharm (Permira) sowie für die Agrarchemiesparte der BASF (10,1 Mrd. € Jahresumsatz 2023). Auch der von Thyssenkrupp immer wieder angekündigte Spin-off der U-Boot-Tochter TK Marine Systems (TKMS) könnte in einen Verkauf münden: Unter anderem haben Deutz, Rheinmetall und die Lürssen-Werft Interesse bekundet.
Evergreens, die Investmentbanker jedes Jahr wieder als Kandidaten nennen, sind die Oldenburgische Landesbank, der Tankkartenanbieter DKV Mobility und der Implantatehersteller Ottobock. Konkrete Vorbereitungen scheint es nicht zu geben.