Die strikten Sicherheitskontrollen sorgen bei Zürcher Anwälten für grossen Unmut. Nun spricht das Verwaltungsgericht ein Machtwort.
Es ist der 28. Februar 2024. Stephan Bernard ist an diesem Morgen als amtlicher Verteidiger in das Polizei- und Justizzentrum vorgeladen. Wie immer, wenn er das riesige Gebäude mitten in Zürich betritt, muss er zunächst durch die Sicherheitskontrolle beim Besuchereingang. Es sind dieselben Vorkehrungen wie am Flughafen: Metalldetektor, Rollband und Scanner, um das Gepäck zu durchleuchten.
Der Anwalt trägt an diesem Tag wegen einer Bänderverletzung eine Schiene. Als er durch den Metalldetektor geht, schlägt das Gerät an. Bernard wird in einen Nebenraum geführt, wo er abgetastet und nochmals mit einem Detektor kontrolliert wird. Er lässt alles über sich ergehen, doch als der Polizist ihn auffordert, auch noch die Schiene abzunehmen, wird es ihm zu viel.
Er weigert sich, weil eine Abnahme der Schiene ein gesundheitliches Risiko dargestellt hätte. Bernard verlangt, mit einem Vorgesetzten zu sprechen. Zwar muss er die Schiene am Ende nicht ausziehen, doch der Vorfall war für Bernard der Anlass, um einige Wochen später eine Beschwerde gegen die Kontrolle einzureichen. Die kantonale Sicherheitsdirektion wies die Beschwerde ab; nun ist sie vom Verwaltungsgericht beurteilt worden.
Bernard ist nicht der einzige Kritiker des Polizei- und Justizzentrums (PJZ). Seit dieses 2022 eröffnet worden ist, gilt in Zürich eines der schweizweit strengsten Regime bei den Einlasskontrollen für Justizgebäude. Ähnlich rigid wie in der Pöschwies, dem grössten Gefängnis der Schweiz. Vor allem Anwältinnen und Anwälte stören sich an dem Vorgehen im PJZ.
«Widerspricht republikanischer Staatstradition fundamental»
Bernards Kritik geht über seinen Einzelfall hinaus. Er hält die Kontrollen generell für unverhältnismässig und widerrechtlich. Es sei prinzipiell stossend, wenn Anwältinnen und Anwälte bei jedem Zutritt einer peniblen Kontrolle unterzogen würden. Schliesslich übten sie dort ihren Beruf aus.
Dies sei umso fragwürdiger, als sämtliche Mitarbeitenden des PJZ vom Reinigungspersonal über Kurzzeitpraktikanten bis hin zu den Staatsanwälten weit weniger strengen Kontrollen unterlägen, sagt Bernard. «Ich sehe keinen Grund, weshalb man Anwälten als Organen der Rechtspflege mit einem derartigen Misstrauen begegnet. Mir ist kein Verteidiger bekannt, der eine Waffe in ein Justizgebäude zu schmuggeln versuchte.»
Eine präventive Gefahrenabwehr ist aus Bernards Sicht nicht nötig. «Mich stört diese Kultur. Sie widerspricht einer bürgernahen, republikanischen Staatstradition fundamental.» Hinzu komme, dass für Anwälte strenge Berufsregeln gälten. Unerlaubter Waffenbesitz oder Bedrohungen mit Waffen wären nicht mit dem Anwaltsberuf vereinbar.
Regierungsrat sieht ein Sicherheitsrisiko
Das Vorgehen hat auch auf politischer Ebene zu reden gegeben. In einer Anfrage wollten die beiden FDP-Kantonsräte Philipp Müller und Angie Romero vom Regierungsrat wissen, wie dieser die strikten Zutrittskontrollen begründe und ob der Regierung Fälle bekannt seien, in denen Anwälte Waffen oder andere unerlaubte Gegenstände mitgeführt und so für eine Gefährdung gesorgt hätten.
Romero sagt, sie halte das Zutrittskonzept für übertrieben. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Rechtsanwalt eine Waffe in das Gebäude schmuggelt.» Mildere Massnahmen wie eine Identitätskontrolle seien deshalb ausreichend. «Damit liesse sich der Zutritt vereinfachen und der Personalaufwand der Polizei verringern.»
Die Zürcher Regierung sieht es jedoch anders. In ihrer Antwort auf Romeros Anfrage schreibt sie, es bestehe ein grosses Sicherheitsbedürfnis betreffend das Gebäude und die darin befindlichen Personen. «Die Gefahr von gewaltsamen Repressalien gegen diesen Teil des Staatsapparates ist real, wie gerade in der Stadt Zürich verschiedene Ausschreitungen gegen Polizeikräfte zeigen.» Der Kanton sei deshalb als Inhaber des Hausrechts zur Gefahrenabwehr berechtigt und verpflichtet.
Ein Sicherheitsdispositiv funktioniere nur dann, wenn es konsequent umgesetzt werde. Um die Sicherheit der Mitarbeiter und Besucher des Polizei- und Justizzentrums zu gewährleisten, sei eine Zutrittskontrolle sowohl zulässig als auch erforderlich. Hinzu komme, dass das Anwaltsgeheimnis nicht tangiert werde, weil durch das Röntgen des Gepäcks und das Durchschreiten eines Metalldetektors lediglich verbotene Gegenstände identifiziert werden könnten.
Polizei krebst in Winterthur zurück
Die Kontrolle von Verteidigern kann das Anwaltsgeheimnis tangieren. Etwa wenn das Gepäck durchsucht wird, in dem sich vertrauliche Informationen befinden, die den Anwalt und den Beschuldigten betreffen. Genau dies ist im vergangenen Herbst im Neubau des Bezirksgebäudes in Winterthur passiert. Dort gibt es bis jetzt anders als beim PJZ keinen Scanner für das Gepäck. Die Polizisten setzten deshalb anfangs auf eine Durchsuchung der Taschen und Rucksäcke.
Der betroffene Anwalt sollte einen Häftling zu einer polizeilichen Befragung begleiten. Er verweigerte die Durchsuchung der Gepäckstücke und beschwerte sich anschliessend beim Rechtsdienst der Kantonspolizei, welche für die Eingangskontrolle zuständig ist.
Der Anwalt bekam schliesslich recht. In einem Schreiben teilte ihm Marius Weyermann, der Kommandant der Kantonspolizei Zürich, einige Tage später mit, eine Durchsuchung von Gepäckstücken sei im Lichte des Anwaltsgeheimnisses nicht verhältnismässig und von der Rechtsgrundlage auch nicht abgedeckt. Das Personal sei deshalb angewiesen worden, auf die Kontrolle von Gepäckstücken zu verzichten. Gleichzeitig kündigte Weyermann an, man wolle eine ähnliche Lösung wie beim PJZ suchen.
Jede Ausnahme erhöhe das Risiko, sagen die Richter
Dass das Zutrittskonzept des PJZ rechtens ist, hat das Verwaltungsgericht inzwischen festgestellt. In seinem Urteil hält das Gericht fest, das öffentliche Interesse sei höher zu gewichten als das individuelle Interesse der Anwältinnen und Anwälte, sich nicht bei jedem Eintritt in das PJZ einer Sicherheitskontrolle unterziehen zu müssen. Der Eingriff in die Grundrechte des Juristen sei deshalb zumutbar und insgesamt verhältnismässig.
Denn klar ist laut dem Verwaltungsgericht, dass jede Ausnahme von der Kontrollpflicht das Risiko erhöhe, dass verbotene Gegenstände – sei es absichtlich oder unabsichtlich – in das Gebäude mitgeführt würden. Die Richter stellen sich auch gegen eine Ausweitung auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des PJZ. Die soziale Kontrolle sei bei ihnen weitaus engmaschiger als bei den Anwälten, für welche es eine kantonale Berufsaufsicht gebe. Zudem sei es schlicht nicht möglich, ein solch rigides Kontrollsystem auf alle 2000 Beschäftigten auszuweiten.
Für Stephan Bernard bleibt nach dem Entscheid des Verwaltungsgerichts noch ein Weg offen: das Bundesgericht. Er sagt, er behalte sich nach sorgfältiger Prüfung des Urteils zwar vor, die Frage von der obersten Gerichtsinstanz klären zu lassen. Viel lieber wäre es ihm aber, wenn die Berufsverbände im Gespräch mit der Sicherheitsdirektion eine für alle gangbare Lösung, etwa begründete Stichproben-Kontrollen, fänden.