Die Anwältin Stanislava Wittibschlager hat im Januar besonders viel zu tun. Im Gespräch erzählt sie, weshalb und welchen Paaren sie von einer Scheidung abrät.
Wenn Stanislava Wittibschlager ins Spiel kommt, dann ist etwas schiefgelaufen. Wittibschlager ist Scheidungsanwältin.
Sie ist seit vierzehn Jahren verheiratet und Mutter eines zehnjährigen Kindes. Wohl etwa 1000 Trennungen hat sie in den letzten zwanzig Jahren begleitet, schätzt sie selbst. Sie vertritt etwa so viele Frauen wie Männer. Wer Wittibschlager kontaktiert, hat viel zu verlieren – Kinder, Geld, ein Unternehmen und manchmal auch die Vorstellung davon, wie das eigene Leben aussehen soll.
Gerade hat die Scheidungsanwältin besonders viel zu tun. Der Januar, sagt sie, sei ein Trennungsmonat.
Stanislava Wittibschlager, warum melden sich gerade im Januar besonders viele Personen bei Ihnen?
Mit dem neuen Jahr wollen viele einen Neuanfang wagen. Häufig gab es Konflikte in der Beziehung, die schon lange schwelten. Zum Jahreswechsel sagen sich die Leute dann: «Ich will neu starten.» Aber natürlich ist Weihnachten auch eine Zeit, in der Differenzen plötzlich stark hervortreten, weil man ständig aufeinanderhockt.
Laut Statistik gehört Zürich zu den drei Kantonen mit den kürzesten Ehedauern. Woran könnte das liegen?
Der Stressfaktor in Zürich ist hoch. Gerade wenn ein Paar Kinder bekommt und beide arbeiten. Die Frau muss in der Schweiz ja sehr schnell wieder ins Berufsleben einsteigen, weil der Mutterschutz kurz ist. Und in Zürich sind Mietzinse und Lebenshaltungskosten sehr hoch, da liegt unbezahlter Urlaub oft nicht drin. Das birgt Potenzial für Stress und Streitigkeiten.
Mit welchen Emotionen kommen die Mandanten zu Ihnen?
Die meisten sind ruhig, sie haben für sich schon eine Entscheidung getroffen. Es gibt aber auch Menschen, die sich an mich wenden, weil sie ein Problem haben und noch nicht wissen, was sie tun sollen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Es kann sein, dass einer von beiden ein zweites Kind will, der andere nicht. Oder der Mann möchte, dass die Frau wieder arbeiten geht, nachdem sie sich eine Zeitlang zu Hause um die Kinder gekümmert hat. Sie möchte aber noch nicht arbeiten. Oder einer von beiden will ein Haus kaufen, der andere nicht. Diese Personen kommen dann zu mir und fragen, was eine Scheidung für sie bedeuten würde. Im Januar haben wir vermehrt solche Erstberatungen.
Worum wird heftiger gestritten: um Geld oder Kinder?
Um Kinder.
Sprechen Sie selbst auch mit den Kindern?
Nein, nie. Das macht nur der Richter während des Verfahrens, die Kesb oder eine Kinderanwältin. Ich wünschte mir, die Eltern würden mehr ans Kindswohl denken. Die Kinder leiden, weil die Eltern über die Köpfe der Kinder hinweg ihre Interessen durchzusetzen versuchen.
Was meinen Sie damit?
Heute ist bei einer Trennung oft die alternierende Obhut ein Thema, aber das ist meiner Ansicht nach nicht in jedem Fall das Beste für die Kinder. Es gibt selbstverständlich Väter, die lieben ihre Kinder, die haben sie vorher schon oft betreut, und denen bricht es das Herz, sie nicht mehr jeden Tag zu sehen. Dann ist die alternierende Obhut sicher eine gute Variante. Aber es gibt auch Familien, da macht der Vater Home-Office und lässt die Kinder von einer Nanny fremdbetreuen. Die Mutter möchte sich selbst hauptsächlich um die Kinder kümmern, aber sie muss arbeiten, weil der Vater sich vor Gericht die alternierende Obhut erkämpft hat.
Gibt es Mandanten, denen Sie von einer Scheidung abraten?
In manchen Fällen kann eine Scheidung bei sehr guten finanziellen Vermögensverhältnissen und langer Ehe ohne Ehevertrag nachteilig sein. Oft ist es dann vorteilhafter, einvernehmlich eine Regelung zu finden oder gar verheiratet zu bleiben. Erst recht, wenn ein Familienunternehmen im Spiel ist.
Warum?
Der Partner hat nach der Scheidung grundsätzlich Anspruch auf die Hälfte der Firma. Er hat dann offiziell ein Mitspracherecht. Das kann dazu führen, dass eine Firma bei einer Scheidung aufgelöst oder verkauft werden muss. Am Ende verlieren beide Ehegatten.
Ehen werden immer öfter erst nach 25 Jahren geschieden, das zeigt die Statistik.
Ja, das stellen wir auch fest. Häufig ist der Grund, dass sich die Paarstruktur verändert hat. Bei diesen Paaren gab es häufig eine klassische Rollenteilung – auch wenn beide Akademiker sind. Die Frauen übernahmen häufig die Hausfrauenrolle. Der Ehemann entwickelte sich beruflich, verdiente viel, gründete eigene Unternehmen. Irgendwann haben sich die beiden nichts mehr zu sagen, weil ihr Alltag so unterschiedlich ist. Und wenn die Kinder aus dem Haus sind, ziehen sie einen Schlussstrich. Viele dieser Paare warten meist bis zur Volljährigkeit der Kinder – auch wenn vorher schon andere Partner im Spiel waren.
Hat es Einfluss auf das Scheidungsverfahren, wenn einer fremdgegangen ist?
Die Verschuldensfrage ist in der Schweiz nicht relevant – im Gegensatz etwa zu Österreich. Wenn dort jemand beweisen kann, dass der oder die andere verantwortlich ist für das Scheitern der Ehe, hat das Einfluss auf die Höhe des Unterhalts. In der Schweiz und in Deutschland wurde diese Regelung abgeschafft. Hier sind vor allem Lohn und Lebensstandard entscheidend für die Höhe des Unterhalts.
Gibt es Leute, die den Job wechseln, um weniger zu verdienen und damit auch weniger zahlen zu müssen?
Ja, natürlich. Ein gutverdienender Banker ist ins Ausland gezogen und hat danach noch einen Drittel verdient. Aber in solchen Fällen interveniert das Gericht. Die Kinder haben einen Lebensstandard, der verpflichtet. Im schlimmsten Fall muss jemand wie dieser Banker genauso viel bezahlen, wie wenn er weiter in der Schweiz arbeiten würde. Ihm wird dann möglicherweise ein hypothetisches Einkommen angerechnet.
Was ist aus Ihrer Sicht der häufigste Trennungsgrund?
Ich sehe oft ein Unverständnis für den anderen. Es geht um unterschiedliche Ansichten zu Werten und zur Erziehung. Daraus werden grosse Konflikte. Etwa wenn ein Mann fordert, dass die Ehefrau arbeiten geht, weil die Kinder älter geworden sind. Sie wehrt sich dagegen, hat das Gefühl, zu Hause noch gebraucht zu werden. Es gibt Väter, die sich dadurch von der Partnerin hintergangen fühlen. Sie fühlen sich unter Druck, alleine den Lebensstandard sichern zu müssen, zu dem vor den Kindern beide gemeinsam beigetragen haben.
Sie sind in Deutschland aufgewachsen, haben eine Zulassung für Deutschland und eine für die Schweiz. Wo kann man sich leichter scheiden lassen?
In der Schweiz. In Deutschland dauern die Scheidungen viel länger. Die Bürokratie ist grösser, die Gerichte noch stärker überlastet. Und die Rechtssicherheit ist meiner Ansicht nach in der Schweiz grösser. Das sieht man etwa bei den Fristen. In der Schweiz wird eine Klage rechtshängig, wenn ich sie bei der Post aufgebe. Dann kann keiner daran rütteln. In Deutschland ist sie erst rechtshängig, wenn sie dem Gegner zugestellt worden ist. Das macht es kompliziert. Der Gegner kann etwa sagen, ihm sei die Klage noch nicht zugestellt worden, weil er in den Ferien gewesen sei.
Wie viel kostet eine Scheidung?
Im Unterschied zu Deutschland braucht man in der Schweiz keinen Anwalt. Hier können Sie die Scheidung selbst einreichen, dann sparen Sie sich die Anwaltskosten. Gerade bei kurzen Ehen, ohne Kinder und mit einfachen Vermögensverhältnissen, können Sie eine gemeinsame Konvention unterschreiben und beim Gericht einreichen. Dann zahlen Sie nur die Gerichtskosten, also etwa 2000 Franken. Aber eine Scheidung kann selbstverständlich auch in ganz anderen Dimensionen enden.
Was war die teuerste Scheidung, die Sie je begleitet haben?
Es war eine internationale Scheidung, bei der die Partner in verschiedenen Ländern lebten. Es wurde um jedes Detail gestritten. Jeder kleine Entscheid ging bis zum Bundesgericht. Die Scheidung hat sechs Jahre gedauert.
Wie viele Trennungen sind einvernehmlich?
Die meisten. Ich würde sagen, etwa 70 Prozent. Kampfscheidungen gibt es eher bei langjährigen Ehen, bei denen es um viel Geld geht. Oder wenn extrem starke Persönlichkeiten aufeinandertreffen. Und wenn es zu heftigen Verletzungen gekommen ist. Dann geht es auch um Rache. Es gibt Personen, die wollen dem Ex-Partner das Leben schwermachen.
Wie?
Indem sie die Scheidung erschweren und hinauszögern. Durch die Gerichtstermine und alle die Eingaben muss sich der Ex-Partner immer noch mit der anderen Person auseinandersetzen, obwohl er das nicht mehr will. Einige geniessen es, dass der Partner noch nicht loslassen darf.
Haben Sie manchmal Mitleid mit der Gegenpartei?
Auch. Das kommt aber nicht oft vor. Ich versuche mich in die Problematik der Mandanten hineinzufühlen. Und ich habe natürlich auch ein einseitiges Bild. Mit den Eingaben wird zwar auch die andere Seite gezeigt. Aber die Wahrheit bleibt manchmal schwammig.
Muss man vor Ihnen Angst haben?
Ja, die Gegenseite schon. Ich kämpfe. Ich gebe bei den Richtern nicht klein bei. Wenn ich das Gefühl habe, dass die Richter nicht objektiv an einen Fall herangehen, dann sag ich das auch.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Es kommt vor, dass sich Personen während der Verhandlung sehr verletzlich zeigen, zum Beispiel erzählen, wie sie vom anderen betrogen wurden. In einem solchen Fall hat ein Richter dann einen absolut unangemessenen Kommentar gemacht. Da habe ich gemerkt, er ist befangen, hat Sympathien für die Gegenpartei. So etwas geht natürlich gar nicht. Da muss ich reagieren, zum Beispiel mit einem Befangenheitsantrag.
Mit welchem Gefühl gehen Sie abends heim?
Häufig mit einem schönen Gefühl. Viele bedanken sich für die Hilfe. Nach Gerichtsverfahren, bei denen Konflikte hochgekocht sind, es laut wurde und noch Richter ihre Meinung abgegeben haben, gehe ich aber schon auch mit einem gemischten Gefühl heim.
Haben Sie einen schönen Beruf?
Ja. Ich kann Menschen helfen. Es sind Personen, die im Alltag nicht hilfsbedürftig sind und Verantwortung übernehmen. Bei einer Scheidung aber wollen sie an die Hand genommen werden.
Max Frisch schreibt in seinem Buch «Fragebogen»: Hätten Sie von sich aus die Ehe erfunden?
Ja. Ich glaube immer noch an das Modell Ehe. Vielen gibt es Hoffnung und Stabilität. Und den Kindern gibt es Sicherheit.
Wir haben jetzt eine Stunde zusammen geredet. Wenn ich Ihre Mandantin wäre, wie teuer wäre unser Gespräch gewesen?
Wir sind noch im Standard. Im Kanton Zürich kosten Scheidungsanwälte zwischen 280 und 500 Franken pro Stunde.