Mit der Regierungszeit Donald Trumps beginnt gemäss dem Ökonomen Jan Hatzius eine Hochrisikoperiode. Europa kommt unter Druck, in den USA geht die Börsen-Party weiter – zumindest dieses Jahr.
Donald Trump ist erst eine Woche im Amt. Doch die Weltwirtschaft ist bereits eine andere. In der Handelspolitik hat der neue US-Präsident zwar noch keine «Executive Orders» unterschrieben, dennoch hat er Zölle auf Importe aus Kanada, Mexiko und China unmissverständlich angekündigt – vielleicht schon ab dem 1. Februar. Ob, wann und welche Art von Zöllen kommen, weiss niemand. Der Dealmaker Trump lässt sich nicht in die Karten blicken.
Die nächsten drei bis sechs Monate seien eine «Hochrisikoperiode», sagt Jan Hatzius, Chefökonom und Forschungsleiter bei der amerikanischen Grossbank Goldman Sachs, und weiter: «Wir müssen vieles über die US-Politik neu lernen.» Entgegen dem Ziel des «America first»-Anspruchs der neuen US-Regierung glaubt Hatzius, dass die Zölle tendenziell schlecht sein werden für das Wachstum der amerikanischen Wirtschaft; auch die Inflation werde befeuert. Zölle machen Waren teurer, und höhere Preise werden oft an die Konsumenten weitergegeben.
Griechenland besser dran als Deutschland
Noch nichts ist entschieden, wirtschaftlicher Schaden entsteht trotzdem. Allein schon die Diskussion über Zölle belaste die europäische Wirtschaft, auch wenn sie noch gar nicht eingeführt seien, sagt Hatzius. Denn wenn Zölle drohen, halten sich die Unternehmen mit Investitionen zurück.
Das betrifft Europa in besonderem Masse, weil ihre Volkswirtschaften stark am Export hängen. «Trumps Zölle würden Deutschland am härtesten treffen», sagt Hatzius, das Land sei am stärksten exportorientiert. Aber auch die Schweiz sei «verletzlich», da ihre Wirtschaft ähnlich aufgestellt sei wie die deutsche.
Mit einem neuen Zollregime kehren sich die Verhältnisse um. Die südeuropäischen Verlierernationen der Euro-Krise werden besser dastehen als die «Gewinner» von 2008. Allen voran Spanien, Portugal und Griechenland hätten bessere Karten als Deutschland, dank Volkswirtschaften, die sich stärker auf Dienstleistungen stützen, glaubt Hatzius, der für sein Doktorat in Oxford über Migration und den deutschen Arbeitsmarkt geforscht hat.
Um den Schaden, den die Zölle anrichten, abzuschätzen, ist entscheidend, wie hoch sie ausfallen werden. Sollten sie sich auf China beschränken, dann würden die Auswirkungen verkraftbar sein, sagt Hatzius, auch wenn die Zölle von derzeit 10 auf 30 Prozent steigen sollten. Doch wenn auch Zölle auf Elektroautos auf die Europäische Union, auf Mexiko und generell auf alle Einfuhren kommen sollten, dann werde sich das Wachstum verlangsamen – und die Inflation werde genährt.
So weit ist es noch nicht. Bisher sind Trumps Drohungen Rhetorik, um sich für Verhandlungen in Stellung zu bringen. Hatzius erinnert daran, dass während Trumps erster Amtszeit in den Jahren 2018/19 auch viel Unsicherheit herrschte. Doch letztlich gab es nur geringe Zölle, etwa für die Stahl- oder Aluminiumindustrie. Es gibt also Hoffnung, dass das angekündigte Zollregime nur in abgemilderter Form eingeführt wird.
Trotz der Rhetorik verfolgt Trumps Regierung einen methodischen Ansatz und überprüft die Verträge mit den wichtigsten Handelspartnern, vergleichbar mit dem Vorgehen im Jahr 2017. Somit könnte es durchaus bis Anfang April dauern, bis Ergebnisse und Massnahmen für die künftige Handelspolitik feststehen.
Hohe Schulden, aber keine Schuldenspirale
Ein anderes Versprechen Trumps – das enorme Staatsdefizit der USA anzugehen – sieht Hatzius kritisch und glaubt, dass es sehr schwierig werde, die Staatsausgaben zu reduzieren. Viele Ausgaben sind festen Programmen verpflichtet: dem Schuldendienst, Sozial- und Gesundheitsleistungen, der Verteidigung. In diesen Bereichen gibt es kaum Spielraum. Somit müssten die Kürzungen fast allesamt in den jährlich vom Kongress bewilligten Ausgaben kommen.
Doch auch hier sieht Hatzius wenig Handlungsspielraum. Er glaubt deshalb, dass sich das US-Defizit weiter vergrössern wird. Ab wann das zum Problem werde, sei schwer zu sagen. Fest steht: «Gibt es mehr Schulden, als die Investoren bereit sind, aufzunehmen, so verlangen sie dafür eine Entschädigung in Form höherer Zinsen», sagt der einflussreiche Ökonom, der seit 1997 bei Goldman Sachs ist.
Doch ein Szenario, bei dem höhere Zinsen und ein steigender Kreditbedarf einen Teufelskreis eskalierender Verschuldung schaffen, sieht Hatzius derzeit nicht. «Eine Schuldenspirale ist unwahrscheinlich», sagt er, zumal die Regierung die fiskalische Situation über höhere Steuern unter Kontrolle bringen könne, auch wenn das eine unpopuläre Massnahme sei. Regierungen haben einen Trumpf: Sie können ihre Bürger theoretisch unbeschränkt besteuern.
Unternehmen können das nicht tun. «Eine Schuldenspirale ist für sie wahrscheinlicher, wenn sie wegen höherer Zinsen ihre Schulden nicht mehr refinanzieren können», sagt Hatzius. Die höheren Zinsen sind aber nicht nur für Regierung und Unternehmen schmerzhaft, weil sie mehr für ihre Schulden zahlen müssen, sondern auch für Hausbesitzer. Für die in den USA verbreiteten dreissigjährigen Festhypotheken sind derzeit Zinsen von 7 Prozent fällig. Das macht Wohneigentum vor allem für jüngere Menschen kaum erschwinglich.
Das vom Markt erwartete langfristige Leitzinsniveau ist seit September von 2,7 auf 4 Prozent gestiegen. Gleichzeitig hat die US-Zentralbank Fed die Leitzinsen seither um einen Prozentpunkt auf 4,25 bis 4,5 Prozent gesenkt. Wie geht das zusammen? Für die längerfristigen Renditen ist nicht der gegenwärtige Leitzins entscheidend, sondern der erwartete Leitzins in den nächsten Jahren.
Für Hatzius ist deshalb klar, dass der Markt seine Erwartungen zur Geldpolitik revidiert hat. Doch auch wenn die künftigen Renditen in letzter Zeit stark gestiegen sind, werden sich die Zinsen auf erhöhtem Niveau stabilisieren. Hatzius geht dieses Jahr von zwei, im kommenden von einer Zinssenkung aus. Danach soll nichts mehr kommen. Er glaubt nicht, dass die Zinsen wieder steigen werden.
«Die Geschichte muss sich nicht wiederholen»
An den Aktienmärkten herrscht dennoch Nervosität. Denn nach dem eindrücklichen Rally der letzten Jahre sind insbesondere amerikanische Aktien im Vergleich zu ihrer eigenen Geschichte, aber auch zu Anleihen sehr hoch bewertet. Dennoch glaubt Hatzius, dass die Kurse auf diesem Niveau «nachhaltig» seien. «Die Situation ist nicht mit der Jahrtausendwende vergleichbar», sagt er.
Auf den ersten Blick gibt es allerdings durchaus Parallelen. Zu Zeiten der Dotcom-Blase hatten Aktien keine Risikoprämie mehr gegenüber risikoärmeren Anleihen. Die Risikoprämie ist die zusätzliche Entschädigung, die Anleger für das Halten von risikoreicheren Aktien verlangen. Auch heute ist diese Prämie bei amerikanischen Aktien ausserordentlich tief. Das heisst, Anleger wollen für das zusätzliche Risiko, Aktien wie Apple, Nvidia oder Microsoft zu besitzen, kaum entschädigt werden.
Hatzius relativiert und weist daraufhin, dass niemand genau wisse, warum die Risikoprämien für Aktien historisch so viel höher gewesen seien als für andere Anlageklassen. Das ist ein Phänomen, das in der Wissenschaft als «equity risk premium puzzle» bekannt ist. Insofern können auch die Kurse der teuren amerikanischen Aktien weiter steigen. Bei den derzeit hohen Bewertungen erwartet Hatzius aber nicht allzu hohe Renditen, auch Rückschläge seien jederzeit möglich.
«Die Geschichte muss sich nicht wiederholen», sagt Hatzius. Er glaubt nicht, dass sich die Bewertungen irgendwann wieder beim historischen Mittelwert einpendeln müssen. Damit nimmt der Ökonom eine überaus positive Sicht auf den weiteren Verlauf von US-Börse und -Wirtschaft ein: «Ich war schon vor den Wahlen optimistisch, was das amerikanische Wachstum betrifft.»
Dabei weist er auf einen Umstand hin, der nichts mit Donald Trump zu tun hat: Die real verfügbaren Einkommen sind stark gewachsen, weil die Inflation bei den Preisen schneller gesunken ist als bei den Löhnen. Das heisst einfach, dass die amerikanischen Konsumenten dieses Jahr mehr Geld in der Tasche haben – ein gutes Vorzeichen für die Unternehmensgewinne und die Börse.