Nach einer Zwangspause vermarktet die RhB ihr historisches Erbe offensiv. Der Tourismuskanton Graubünden verfolgt damit eine ungewöhnliche Strategie.
Ernst Demonti liess es sich unlängst nicht nehmen, «seine» Lokomotive Ge 4/4 182 zur Kontrolle nach Poschiavo überzuführen. Der RhB-Lokführer aus dem Puschlav hatte das Bernina-Krokodil, das bei einer französischen Museumsbahn der Natur überlassen worden war, 1999 mit Gleichgesinnten nach Graubünden zurückgeholt. Während zehn Jahren setzten die Freiwilligen die Lok instand. Über ein Jahr lang stand sie zuletzt still. Weil sie 2024 zu wenig Lokführer hatte, musste die RhB auf fast alle Sonderfahrten verzichten. Im Februar und Oktober wird die 182 nun öffentliche Extrazüge mit Salonwagen von St. Moritz über die Berninalinie nach Poschiavo führen – die erste Fahrt ist seit langem ausverkauft.
Es ist der Auftakt zu einem umfangreichen Programm. Nach der Zwangspause plant die RhB für 2025 so viele öffentliche Nostalgiefahrten wie noch nie. Die Bündner Bahn hat viel historisches Rollmaterial, das gut erhalten ist. Dies ist den engagierten Vereine zu verdanken, die sich wie der Club 1889 in Samedan um alte Wagen und Lokomotiven kümmern. Zudem musste die RhB früher mit weniger finanziellen Mitteln als heute auskommen. Für den Spitzenverkehr hielt sie noch länger altes Rollmaterial bereit. Der RhB-Direktor Renato Fasciati will dieses stärker touristisch vermarkten.
Im «Fliegenden Rhätier» über die Albulabahn
Neben den regulären Nostalgiezügen auf der Strecke zwischen Davos und Filisur führt die RhB einen neuen «Erlebniszug Landwasserwelt» ein, wie die Sprecherin Yvonne Dünser sagt. Dieser fährt an mehreren Wochenenden von Ende Mai bis Ende August von Samedan über die Albulalinie nach Surava und via Davos Wiesen zurück. Den Zug ziehen abwechslungsweise die Lokomotive Ge 4/6 353 von 1914, in Anlehnung an die Herstellerin auch «Oerlikonerli» genannt, und der ABe 4/4 501 von 1939. Der damals innovative Triebwagen ist als «Fliegender Rhätier» bekannt, weil er mit leichten Schnellzügen höhere Geschwindigkeiten ermöglichte. Beide Triebfahrzeuge setzt die RhB selten ein.
Die historischen Züge ergänzen die «Landwasserwelt», die die RhB mit örtlichen Gemeinden und Touristikern am 14./15. Juni eröffnet. Das Ziel ist es, den Landwasserviadukt bei Filisur, die Ikone der Rhätischen Bahn, und weitere Attraktionen zu vermarkten. Das Albulatal ist eine Randregion, die touristisch zurückhaltend erschlossen ist. Kern ist ein Shuttlezug mit offenem Aussichtswagen, der dank einer neuen Haltestelle direkt beim Landwasserviadukt hält. Die Albula- und die Berninalinie gehören zum Welterbe der Unesco.
Dazu passt ein weiterer historischer Zug auf der Strecke von St. Moritz nach Davos, der vom 11. Juli bis zum 15. August jeden Freitag verkehrt. Eine Krokodil-Lokomotive des Typs Ge 6/6 I zieht die Züge mit den Salonwagen. Diese historischen Sonderfahrten sind im Gegensatz zu den Nostalgiefahrten zwischen Davos und Filisur nicht Teil des regulären Regionalverkehrs, weshalb spezielle Preise gelten. Dazu kommen weitere Angebote, im Sommer unter anderem mit den gelben Bernina-Triebwagen.
Bahnkultur fördern
Die RhB vermarktet ihr historisches Erbe damit so offensiv wie keine andere Schweizer Bahn. Sie hat mit dem Kanton Graubünden und dem Dachverband Historic RhB eine Strategie erarbeitet, um die Bahnkultur zu erhalten und zu vermitteln. Der Bündner Grosse Rat hat vor einigen Jahren die gesetzliche Grundlage geschaffen, um den Unterhalt von historischem Rollmaterial und öffentliche Fahrten zu fördern. Eines der Ziele sei, die Bahnkultur für Gäste und Einheimische erlebbar zu machen, sagt Dünser. Die Leistungsvereinbarung mit dem Kanton ermögliche das umfangreiche Angebot.
Die RhB hatte letztes Jahr auf der Albulalinie mit grossen Verspätungen zu kämpfen. Sind die historischen Züge, die langsamer fahren, nicht ein weiteres Risiko? Jeder zusätzlich verkehrende Zug wirke sich potenziell auf die Stabilität und die Pünktlichkeit aus, sagt Dünser. Das berücksichtige man bei der Planung. Die historischen Züge verkehren mehrheitlich am Wochenende, wo weniger Güterzüge unterwegs sind, und auf Strecken, die weniger stark befahren sind.
Zudem berechnet die RhB bei den Fahrzeiten erhöhte Reserven ein. Gegenwärtig liegt die durchschnittliche Pünktlichkeit gemäss Dünser bei guten 92,8 Prozent. Die Nagelprobe kommt allerdings mit der Sommersaison, wenn zusätzliche Glacier- und Bernina-Express-Züge verkehren.
Ab 2026 will die RhB voraussichtlich die regulären Nostalgiezüge auf der Strecke zwischen Davos und Filisur wieder mit den beliebten Krokodil-Lokomotiven des Typs Ge 6/6 I führen. Weil es bei diesen zu Rissen gekommen war, musste die Bahn in den letzten Jahren auf die regelmässigen Einsätze verzichten.