Der Bayern-Trainer Kompany lässt sich nicht beirren und wählt weiterhin eine riskante Taktik. Das könnte dem Belgier zum Verhängnis werden.
Vor einigen Tagen empfahl Lothar Matthäus, Deutschlands wirkungsmächtigster TV-Experte, dem FC Bayern, den Mittelfeldspieler Joshua Kimmich so schnell wie möglich zum Captain zu machen. Das ist eine durchaus interessante Empfehlung, denn bis jetzt trägt der bald 39-jährige Goalie Manuel Neuer die Captainbinde. Neuer, ein Monument des deutschen Fussballs, hat mit dem FC Bayern allerhand Erfolge gefeiert, doch ganz sicher ist der Profifussball nicht seine Zukunft.
Kimmich ist zehn Jahre jünger als Neuer, mit 29 Jahren befindet er sich für einen Fussballer allerdings auch schon im reifen Alter. Er zählt zu den Stützen der Münchner, wobei sein Anspruch, ein Leader zu sein, manchmal eher von der Attitüde als von überdurchschnittlichen Leistungen gedeckt ist.
Allerdings ist Kimmich kein Mann der Plattitüden. In der vergangenen Woche, nach dem 0:3 der Bayern in der Champions League bei Feyenoord Rotterdam, sagte Kimmich, «mit Blick auf die Tabelle», einen ganz bemerkenswerten Satz: «Wir sind momentan kein Topteam in Europa. Zu weit weg, zu fragil» sei die Equipe.
Der Champions-League-Final in München ist das Ziel
«Momentan»: Das Adjektiv deutet bereits das Potenzial und das Selbstverständnis der Münchner an, die sich in dieser Saison ein ehrgeiziges Ziel gesetzt haben. Zum Abschluss wollen sie im Final der Champions League stehen, der im eigenen Stadion stattfindet. Wie weit der Weg dorthin ist, zeigt die Situation der Bayern vor dem letzten Spiel in der Champions-League-Ligaphase gegen Slovan Bratislava: Sie müssen am Mittwochabend um den direkten Einzug in den Achtelfinal bangen.
Kimmichs Einlassung fand vor diesem Hintergrund eine starke Resonanz. Der Bayern-Coach Vincent Kompany erklärte ausführlich, wo er die Mannschaft sehe, dass er in solchen Situationen eher ruhig bleibe und sich darauf konzentriere, Dinge besser zu machen. Zudem habe die Mannschaft auch schon sieben, acht Spiele in Serie gewonnen. Das ist de facto zwar richtig. Doch der Auftritt in Rotterdam offenbarte eben auch ein Muster: Sobald die Bayern auf Gegner einer bestimmten Güteklasse treffen, tun sie sich über die Massen schwer.
Die Ergebnisse dieser Saison verdeutlichen das. Zwar gelang dem FC Bayern gegen den VfB Stuttgart früh in der Saison ein 4:0, und auch die angeschlagenen Leipziger wurden von den Münchnern klar dominiert. Doch gegen den ersten Verfolger, Leverkusen, den Titelverteidiger der vergangenen Saison, unterlagen sie im DFB-Cup, und in der Liga resultierte gegen den gleichen Gegner bloss ein Unentschieden – genauso wie gegen Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt.
Gewiss lassen sich viele Dinge mit den Umständen erklären. Der Torhüter Neuer beispielsweise sah gegen Leverkusen im Cup die rote Karte; zu zehnt spielten die Bayern nicht schlecht. Aber gerade die Position des Goalies ist bei den Bayern eine sensitive: Neuer verfügt zwar über die Routine von 15 Jahren auf Weltklasseniveau, doch beim Herauslaufen verfügt er nicht mehr über die gleiche Schnelligkeit wie früher. Nur hat es eben auch seinen Grund, dass der FC Bayern nach wie vor an Neuer festhält: Bis anhin erachtet der Klub keinen Torhüter, der zu erschwinglichen Konditionen zu haben wäre, für würdig, seine Nachfolge anzutreten.
Hohe Niederlagen in der Champions League
Brisanter allerdings ist es, wenn man sich anschaut, wie die Bayern international dastehen. In den bisher sieben Champions-League-Partien errangen sie vier Siege – und erlitten drei Niederlagen. Die erste war ein 0:1 gegen Aston Villa, die zweite ein 1:4 beim FC Barcelona und zuletzt eben das 0:3 bei Feyenoord Rotterdam.
Diese Resultate verdeutlichen, wie gross die Mühe der Bayern in der Champions League ist, wo doch eine souveräne direkte Qualifikation für den Achtelfinal der einzig legitime Anspruch gewesen wäre. International sind die Konkurrenten eben von einem anderen Format als in der Bundesliga, und vielleicht erklärt dies auch, warum der eine oder andere Fussball-Gourmet der Liga den Rücken kehrt wie mancher Investor dem Standort Deutschland.
Bisher war es dem Bayern-Coach Kompany stets gelungen, die Mannschaft von seinem Spielentwurf zu überzeugen. Man denke nur daran zurück, wie begeistert Thomas Müller nach dem 3:3 gegen Eintracht Frankfurt davon schwärmte, was für ein Genuss es gewesen sei, den Gegner am eigenen Strafraum «einzuschnüren».
Die Aura des eloquenten Belgiers speist sich nicht zuletzt aus dessen Karriere als Innenverteidiger bei Manchester City, wo er der Adjutant des grossen Pep Guardiola auf dem Feld war. Das unterscheidet ihn vom in der letzten Woche in Dortmund entlassenen Trainer Nuri Sahin, dessen Idee vom Fussball keineswegs schlechter ist als die von Kompany. Nur verfügte Sahin eben nicht über das breite Kreuz des ehemaligen Weltklasse-Verteidigers. Die Überzeugung, mit Sahins Taktik zum Erfolg zu kommen, schwand innerhalb der Mannschaft schnell.
Kompany zehrt von diesem Kredit. Und fairerweise ist zu berücksichtigen, dass er eine Rundumerneuerung der Bayern vollziehen soll, und das bei laufendem Spielbetrieb, bestenfalls ohne Einbrüche. Reibungsverluste sind in einer solchen Situation programmiert; es gilt aber, sie in Grenzen zu halten.
Kimmich ändert seine Meinung
Dass sich der Trainer unbelehrbar zeigt, verdeutlichen indes seine nach wie vor hochriskanten Aufstellungen: Die Verwundbarkeit der Münchner bei Kontern ist frappierend, in Kombination mit einer nicht sattelfesten Abwehr und einem Mittelfeld, das ohne einen absichernden Spieler von internationalem Format auskommen muss, wird jedes Spiel gegen Klasse-Teams zum Risiko. Zumal Niederlagen wie ein 1:4 in Barcelona und ein 0:3 in Rotterdam nicht bloss Aussagekraft über die Wettbewerbsfähigkeit in der Champions League haben, sondern auch das eigene Selbstvertrauen unterminieren. Insofern ist die Einschätzung von Joshua Kimmich der Gradmesser.
Allerdings weiss Kimmich, der jüngst mit einem Wechsel zu Real Madrid in Verbindung gebracht wurde, um die klubinterne Dynamik, die eine solche öffentliche Kritik auslösen kann. Am Wochenende, nach dem 2:1 beim SC Freiburg, sprach Kimmich von der «Reaktion einer Spitzenmannschaft». War das ein kleiner Trost für die Kollegen eines Spielers, der noch ein bisschen mehr vorhat in seiner Karriere?