Wegen der hohen Bewertung des S&P 500 und steigender Treasury-Renditen ist die Aktienrisikoprämie erstmals seit der Technologieblase unter null gesunken. Deutlich attraktiver sind europäische und asiatische Börsen.
US-Aktien sind so teuer wie seit der Technologieblase nicht mehr. Das zumindest legt die Risikoprämie zwischen dem Aktien- und dem Bondmarkt nahe, die für den S&P 500 im Dezember erstmals seit der Jahrtausendwende wieder unter null gesunken ist. Anleger wollen für das zusätzliche Risiko von Aktien derzeit also nicht entschädigt werden, im Gegenteil. Historisch kommt das höchst selten vor, letztmals eben um die Jahrtausendwende, worauf die Technologieblase prompt platzte.
Die Risikoprämie errechnet sich aus der Differenz zwischen der Gewinnrendite des Aktienmarktes, die dem Kehrwert des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) entspricht, und der Rendite auf langfristigen Staatsanleihen. Weil die Aktienkurse in den letzten Jahren schneller gestiegen sind als die Unternehmensgewinne und das KGV des S&P 500 auf Basis der für Ende 2025 geschätzten Gewinne auf rund 25 geklettert ist, ist die Gewinnrendite im Gegenzug auf etwa 4% gesunken. Das vergleicht sich mit den 4,5%, die zehnjährige US-Treasuries nach ihrem jüngsten Anstieg abwerfen. Unter dem Strich bleibt also eine negative Rendite von -0,5%.
Möglich ist das nur, weil Anleger dem Aktienmarkt ein dauerhaft hohes Gewinnwachstum zutrauen, das die stolze Bewertung relativiert. Allerdings werden hohe Gewinnerwartungen wegen des Aufkommens neuer Konkurrenten oder Technologien meist enttäuscht. Doch solange Highflyer wie Nvidia täglich 6% zulegen, interessiert sich niemand für die 4,5%, die der Bondmarkt abwirft – und das nur ein Mal im Jahr! Ähnlich wurde jedoch auch in den späten Neunzigerjahren argumentiert, bis die Blase dann doch platzte. Gefährlich wird es, wenn das Momentum nachlässt oder gar Kursverluste eintreten, weil dann plötzlich der Absturz drohen kann. So wie jetzt bei Nvidia, die wegen der News um das chinesische KI-Modell von DeepSeek in Turbulenzen geraten ist.
Das Original ist ein Kind der Technologieblase
Gewiss, die Risikoprämie hat Mängel. Bekannt wurde sie durch den US-Marktbeobachter Ed Yardeni, der sie in den Neunzigerjahren als Fed-Modell populär machte. Dies in Anspielung auf den damaligen US-Notenbankchef Alan Greenspan, der ab 1997 in den für den Kongress erstellten Rechenschaftsberichten zur Geldpolitik wegen der stetig steigenden Aktienbewertung eine Grafik zeigte, die die Gewinnrendite des S&P 500 und die Bondrendite übereinanderlegte (vgl. Grafik) und auch im Begleittext auf den Zusammenhang verwies. Das Fed selbst benutzte diesen Ausdruck jedoch nie.
Kritisiert wird, dass die tatsächliche Risikoprämie zwischen Aktien und Bonds erst im Nachhinein festgestellt werden kann. Auch die Lage im Zyklus kann das Bild verzerren. Nach einem Konjunkturboom sind die Unternehmensgewinne hoch und drücken so das KGV (was die Gewinnrendite erhöht). Das Gleiche gilt mit umgekehrten Vorzeichen nach einer Rezession, wenn die Gewinne gedrückt sind und das KGV entsprechend (zu) hoch ausgewiesen wird. Das KGV muss also mit Vorsicht genossen werden.
Eine weitere Kritik betrifft die Vermischung aus realen und nominalen Grössen. So steigen die Unternehmensgewinne mit der Inflation, während der Coupon auf Anleihen in der Regel fixiert ist. Mit der Gewinnrendite verglichen werden sollten deshalb die inflationsbereinigten Zinsen, was aber kaum jemand tut. Doch auch auf dieser Basis ist die Risikoprämie gemäss dem kanadischen Analysehaus BCA Research so niedrig wie seit der Technologieblase nicht mehr, wenn auch (noch) nicht negativ.
Das Modell erlaubt keine Rückschlüsse auf die absolute Attraktivität
Die grösste Kritik aber ist, dass das Fed-Modell nichts über die absolute, sondern nur etwas über die relative Attraktivität zwischen Aktien und Bonds aussagt. So können beide Anlageklassen massiv überbewertet sein und deshalb in der Folge enttäuschend abschneiden – so wie im Zeitalter der Niedrigstzinsen, als die Anleihenrenditen vielerorts in den negativen Bereich fielen, Bonds also massiv überteuert waren. 2022 kam dann das böse Erwachen, weil sowohl Aktien als auch Bonds massiv an Wert verloren haben.
Das Modell kann also eine falsche Sicherheit vermitteln. Doch trotz all der Kritik gibt es eine Ahnung, in welcher Anlage Investoren besser aufgehoben sein könnten. So wurde die Blase im Jahr 2000 vom Fed-Modell korrekt angezeigt. Damals lag die Gewinnrendite des S&P 500 wie heute bei rund 4% (auf Basis der für die nächsten zwölf Monate geschätzten Gewinne), während zehnjährige Treasuries im Höchst im Januar 2000 6,8% abwarfen – mit der Konsequenz, dass der S&P 500 bis Dezember 2011 eine kumulierte Rendite von null aufwies, wie der US-Investor Howard Marks kürzlich in seinem Memo geschrieben hat. Mit Treasuries wären Anleger also deutlich besser gefahren, zumal wegen des Zinsrückgangs während der Laufzeit sogar noch Kursgewinne angefallen wären.
Aktuelles KGV verheisst langfristig niedrige Renditen
Dass die derzeit niedrige Gewinnrendite von US-Aktien tatsächlich Aussagen zum künftigen Abschneiden erlaubt, zeigt der Vergleich zwischen dem KGV und den darauffolgenden Renditen (vgl. Grafik). Während das KGV kurzfristig nicht zum Timing taugt (linke Seite der Grafik), sind die beiden Variablen langfristig negativ korreliert: Je höher also die Bewertung, desto geringer ist der Gesamtertrag – Kursgewinn plus Dividenden – über die folgenden zehn Jahre (rechte Seite). Wer zwischen 1988 und 2014 den S&P 500 zum derzeitigen, für die nächsten zwölf Monate geschätzten KGV von etwas mehr als 22 erworben hatte (grüner Balken in der Grafik), hat in den darauffolgenden zehn Jahren eine jährliche Rendite von –2% bis +2% erzielt. US-Treasuries, deren Performance für die gesamte Laufzeit bereits heute bekannt ist (sie entspricht der heutigen Rendite von 4,5%, sofern die Bonds bis zur Rückzahlung gehalten werden), sind also deutlich attraktiver.
Aktuelles KGV verspricht magere Renditen
Allerdings wird die Bewertung in den USA durch die teuren Technologieschwergewichte verzerrt. Auf Basis des gleich gewichteten S&P 500, in dem alle 500 Aktien mit einem Anteil von 0,2% vertreten sind, präsentiert sich das Bild ein wenig freundlicher (vgl. Grafik). Klein- und mittelkapitalisierte Valoren, die im gleich gewichteten Index ein deutlich höheres Gewicht aufweisen als im S&P 500, sind also zumindest aus Bewertungssicht attraktiver als die Blue Chips aus dem Technologiebereich. Allerdings sind viele von ihnen stark verschuldet, was sie anfällig für steigende Zinsen macht – bei der Auswahl ist also Vorsicht geboten.
Europäische und asiatische Börsen deutlich attraktiver
Attraktiver als der S&P 500 sind auch viele europäische Börsen, obwohl die Zinsen auf dem Alten Kontinent ebenfalls gestiegen sind. So stehen der italienische FTSE Mib und der spanische Ibex 35 auf den Plätzen zwei und drei. Auf Platz vier findet sich der Bovespa, obwohl Brasilien die höchsten Zinsen aller hier betrachteten Märkte bezahlen muss, dahinter folgen der heimische SMI, der schwedische OMX und der deutsche Dax, die wie andere europäischen Indizes seit einigen Wochen Auftrieb verspüren:
Ein Sonderfall sind China und Hongkong, wo die Renditen aus Angst vor einer deutlichen Abkühlung der Wirtschaft auf für chinesische Verhältnisse mickrige 1,6% gesunken sind. Weil der HSI seit der Finanzkrise nicht vom Fleck gekommen ist – er notiert immer noch rund ein Drittel unter dem Höchst vom Oktober 2007 – und zu einem KGV von weniger als 10 gehandelt wird, wirft die Börse Hongkong die weltweit höchste Risikoprämie ab. Der CSI 300, der die wichtigsten Aktien der Festlandbörsen Schanghai und Shenzhen zusammenfasst, rangiert auf dem fünften Platz. Ob die günstige Bewertung zum Tragen kommt, hängt nicht zuletzt von der chinesischen Regierung ab, von der Anleger ein grosses Stimulierungspaket erwarten, das einen deflationären Schock abwenden soll.
Eher unattraktiv ist neben den US-Indizes der australische ASX 200. Das liegt jedoch auch an den derzeit eher unterdurchschnittlichen Gewinnmargen der im bank- und rohstofflastigen Index vertretenen Unternehmen. Sollten die Rohstoffpreise dereinst wieder anziehen, fiele die Risikoprämie höher aus.
Bewertung schliesst Blasenbildung nicht aus
Natürlich sagt das Fed-Modell nichts aus über die kurzfristige Performance. Teure Aktien können noch teurer werden, bevor sie einbrechen oder in einen jahrelangen Seitwärtstrend münden. Stellvertretend für andere Beobachter verweist Alpine Macro auf die Möglichkeit einer Blasenbildung wie in den späten Neunzigerjahren. Während damals das Aufkommen des Internets die Anlegerfantasie anregte, ist es heute das Potenzial der künstlichen Intelligenz. Die Risikoprämie notierte damals lange unter null, ohne das Aufblähen der Blase zu unterbinden. Deshalb interpretieren die Alpine-Strategen das Abdriften in den negativen Bereich auch nicht als Extrem, sondern als Normalisierung der Risikoprämie.
Der Schlüssel zur Blasenbildung dürften die Zinsen sein. Sinken sie, ist eine Blase möglich, auch wenn das plötzliche Auftauchen von DeepSeek zur Vorsicht mahnt. Steigen sie hingegen weiter, dürften Anleger in den günstigeren europäischen und asiatischen Märkten besser geschützt sein als in grosskapitalisierten US-Aktien, wo Bonds derzeit attraktiver sind.