Seit der Arzt David Garcia Nuñez der Alternativen Liste vorsteht, mehren sich die medizinischen Vorstösse. Er hat damit Erfolg.
David Garcia Nuñez ist Arzt von Beruf und Politiker einer sehr linken Partei. Als solcher sieht er Krankheit zu einem guten Teil als Ausdruck sozialer Benachteiligung. Zu diesem Schuss kommt, wer ihm im Zürcher Stadtparlament zuhört. Seit der Mann mit Brille und Dreitagebart die Co-Leitung der Fraktion der Alternativen Liste übernommen hat, mehren sich die Vorstösse der AL zum Gesundheitswesen. Darum sei es schlecht bestellt in Zürich: Der Zugang für vulnerable Personen sei ungenügend.
Im Stadtparlament haben die Alternativen damit Erfolg. Im Sommer forderten sie, dass in der Stadt Zürich sogenannte Freundschaftsbänke aufgestellt werden. «Geschulte Laienhelfer» sollen darauf Platz nehmen und auf Leute warten, die über ihr psychisches Befinden sprechen möchten. Das Angebot brauche es, weil der Zugang zu den Spezialisten schwierig sei. Die rot-grüne Mehrheit folgte den Alternativen.
Deutschland als Vorbild
Nun hat die AL eine neue, verwandte Idee eingebracht: den «Gesundheitskiosk». Pflegefachpersonen sollen an Orten in der Stadt auf Kundschaft warten. Ratsuchende sollen Informationen zu chronischen Leiden wie Bluthochdruck oder Diabetes erhalten. Die Pflegefachleute sollen aber auch Gesundheitsvorträge halten. Oder Entspannungsgruppen führen.
Garcia Nuñez, dessen genaue Berufsbezeichnung «Leiter Innovations-Focus Geschlechtervarianz» am Universitätsspital Basel lautet, findet seine Vorbilder oft im Ausland. Bei den «Freundschaftsbänken» war dies Simbabwe. Die «Gesundheitskioske»hat er in Deutschland entdeckt. Dort habe man sehr gute Erfahrungen gemacht, sagte er am Mittwoch im Stadtparlament.
Nichts sagte Garcia Nuñez hingegen dazu, dass SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach die Idee von tausend «Kiosken» landesweit hat begraben müssen, weil sein Koalitionspartner FDP nicht mitzog. Das deutsche Vorbild wirft auch insofern Fragen auf, als die «Kioske» nach Lauterbach «in den ärmsten tausend Stadtteilen Deutschlands» hätten aufgestellt werden sollen. In Stadtteilen mit hohen sozialen Herausforderungen sei es schwierig, Hausärzte für eine Niederlassung zu gewinnen.
Ob dieses Vorbild wirklich für die reiche Stadt Zürich taugt? In der Ratsdebatte zweifelte dies David Ondraschek (Mitte) an. Wenn man den Vorstoss der Alternativen lese, müsse man meinen, in Zürich herrsche akute Gefahr, weil die Menschen keinen Zugang zu medizinischer Versorgung hätten. Dabei sei das Gegenteil der Fall.
In Deutschland scheiterte die Idee unter anderem an Kostenbedenken der Krankenversicherer. Im Zürcher Stadtparlament waren die konkreten Kosten kein Thema. Aber nimmt man das deutsche Vorbild zum Nennwert, muss man von einem jährlichen Millionenbetrag ausgehen – für jeden der zwei oder drei geplanten «Gesundheitskioske». Denn anders als bei den «Freundschaftsbänken» sollen keine geschulten Laien, sondern Fachpersonen eingesetzt werden.
Die Anforderungen an das Personal sind hoch: Es müssen gemäss Vorstoss Pflegefachpersonen «mit Kompetenzen im psychosozialen und intersektionalen Bereich» sein. Garcia Nuñez nannte in der Debatte zudem Kenntnis in sozialrechtlichen Fragen als weitere Kompetenz. Und das Personal muss mehrsprachig sein. Das Ziel ist es ja, «sprachliche und kulturelle Hürden» abzubauen.
Die Frage, wie man den Notfall mit niederschwelligen Angeboten von Bagatellfällen entlasten kann, ist angesichts der hohen Gesundheitskosten relevant. Die AL stellt sich auf den Standpunkt, die «Kioske» seien genau ein solches Angebot – von einer «Sparlawine» sprach Garcia Nuñez in der Debatte gar.
Allerdings kann man sich fragen, weshalb ein neues, bisher völlig unbekanntes Modell jene Leute erreichen soll, die auch das Hausarzt-Modell nicht kennen – und den Notfall deshalb auch bei Bagatellen aufsuchen. Unter Gesundheitspolitikern gilt als zielführend, dass Spitäler mit Hausarztpraxen zusammenarbeiten und diesen die erste Triage überlassen. Solche Ansätze gibt es auch in der Stadt Zürich. Sie seien aber nicht ausreichend, findet Garcia Nuñez: Es brauche eine «deeskalierende Triage» vor der Notfalltriage.
Im Aargau kam fast niemand
Kaum zur Sprache kam im Stadtparlament, ob die «Gesundheitskioske» überhaupt genutzt würden. Ein einjähriges Pilotprojekt des Kantons Aargau in der Stadt Rheinfelden stimmt skeptisch. Dieser «Kiosk» war einmal wöchentlich abends offen. Gemäss dem Aargauer Gesundheitsdepartement wurden pro Einsatz «durchschnittlich zwei bis drei Personen» beraten. Ein Zustand, den die «Aargauer Zeitung» in einer Reportage wie folgt zusammenfasste: «Vorbeigekommen ist niemand. Aber dass sie dennoch die vollen zwei Stunden über präsent waren, ist den beiden Frauen wichtig.»
Der Gesundheitsvorsteher Andreas Hauri (GLP) bezeichnet im Stadtparlament die AL-Idee als «sympathisch». Aber sie ergebe einfach keinen Sinn. Der Zugang zur medizinischen Versorgung sei in Zürich sehr gut. Neben Spitälern und Arztpraxen gebe es zum Beispiel stadtweit 600 Apotheken, das Ärztefon sowie etliche Nonprofitorganisationen mit dem Fokus chronische Leiden.
Hauris Gegenrede vermochte die Allianz von SP, Grünen und AL nicht zu beeindrucken. Die rot-grüne Mehrheit im Stadtparlament nahm das Postulat mit 59 zu 57 Stimmen an. Der Stadtrat muss die Idee nun eingehend prüfen. Und Garcia Nuñez hatte erneut Erfolg mit seinem Ansatz, wonach Krankheit und Gesundheit in erster Linie eine Frage des sozialen Status ist.