Die Königin selbst gibt auf «The Queen’s Reading Room» Buchtipps.
Die Gattin des britischen Königs ist eine begeisterte Leserin. Während des Pandemie-Lockdowns gründete sie einen Instagram-Buchklub. Dieses Projekt hat nun zu einer ausgewachsenen Online-Plattform zum Thema Literatur geführt, «The Queen’s Reading Room». Mit Königin Camilla als federführender Moderatorin. Doch was immer Camilla tut – die Königin, die nie eine werden wollte –, es führt zu gewissen Wellenschlägen.
Queen Camilla, wenngleich weithin akzeptiert oder mit Gleichgültigkeit in ihrer Rolle zur Kenntnis genommen, hat bei bestimmten Teilen der Bevölkerung einen schweren Stand. Genauer gesagt, bei Fans der verstorbenen ersten Frau des Königs. Das lang erprobte Instrument des Camilla-Bashing kommt auch in der mehr oder wenig subtilen Ablehnung der Monarchie zum Einsatz. Denn nach dem Tod der Queen, auf deren Anerkennung oder sogar Verehrung sich breite Massen hatten einigen können, haben die britischen Royals es wieder einmal schwer. Aber Camilla gibt nicht auf.
Tourismus im Königsschloss
Der Stil ihrer Website ähnelt einem Touristenbesuch im Königsschloss. Bilder von gediegen aussehenden älteren Herrschaften, Royals, Dienern, Schriftstellern, Wissenschaftern – leider werden sie nicht immer im Einzelnen benannt – säumen die Website. In Videoclips unterhalten sich Autoren vor Marmorkaminen in grossen Sälen über die Recherche für historische Romane und die Erzeugung von Spannung in der Literatur. Nun weiss man, wie Hilary Mantel aussah, aber nicht jede Leserin kennt die Schriftstellerinnen Cressida Cowell und Katherine Rundell, die sich über Abenteuergeschichten unterhalten.
Kurze Streichorchester-Einlagen gliedern die Gesprächseinheiten der Podcasts – in denen aber nicht etwa Camilla moderiert. Im ersten Podcast erzählt der Bestsellerautor Ian Rankin von seinem Leben mit Büchern, die teilweise in Billy-Regalen von Ikea lagern, und darüber, wie er zum Lesen kam: «Comics waren meine Einstiegsdroge für die Literatur.» Er sagt ausserdem: «Ich fühle mich immer etwas schuldig, wenn ich ein Buch wiederlese – weil es noch so viele ungelesene Bücher gibt, und wir alle haben nur eine begrenzte Zeit, sie zu lesen.»
Die Schauspielerin Olivia Colman liest ein paar Minuten aus «Peter Rabbit» von Beatrix Potter vor und Helena Bonham Carter aus einem Buch namens «Lady in Waiting», der Name der Autorin (Anne Glenconner) wird uns vorenthalten. Dafür enthält die gelesene Passage Einsichten aus erster Hand über Prinzessin Margarets Wiederbegegnung mit ihrer grossen Liebe Peter Townsend nach vierzig Jahren.
Die Queen empfiehlt ihren Sohn
Schriftsteller wie Kate Mosse, Khaled Hosseini und Sebastian Faulks empfehlen neue und alte Bücher auf der Website. Ausgewählte Werke werden in «book club kits» in kurzen Absätzen nebst diskussionswürdigen Fragen dazu vorgestellt – darunter «Girl» von Edna O’Brian, «The Light Years» von Elizabeth Jane Howard und «The Mirror and the Light» von Hilary Mantel. Auch die Königin selbst gibt Buchtipps, darunter ist ein Werk ihres Sohns Tom Parker-Bowles, eines mittelmässig berühmten Restaurantkritikers. Das trug ihr voraussehbare Kritik ein, vonseiten des «Guardian».
Abgesehen von diesem nepotistischen Ausrutscher bleibt Camilla, Zugpferd und Star der Online-Plattform, im Hintergrund – auch wenn ihr Bild auf der Website ganz oben prangt und sie ein paar einführende Worte spricht. Die Zurückhaltung wurde ihr angekreidet, in diesem Fall von der «Times». Man muss wirklich schon tief in die Podcasts hineinhören, um Camilla aufzuspüren, deren nüchterner Bariton fast komisch wirkt, umrankt von der lieblichen Musik und den zwitschernden Fragen einer gutgelaunten namenlosen Interviewpartnerin, die sich wie aus dem Nichts einschaltet.
«Harry Potter», wie absehbar
Was zum Beispiel ihr liebstes Kinderbuch sei, das sie ihren Enkeln vorlese, und ob sie dabei Stimmen nachahme, will die Interviewerin wissen. «Harry Potter», gibt die Königin ihre nicht eben kühne Wahl zu Protokoll. Aber nachahmen könne sie überhaupt niemanden, sagt die Unerschütterliche mit ihrer tiefen Stimme und fügt hinzu: «I have never been able to master mimikry.»
In Videos unter dem Titel «Treasures from the Library» tritt sie dann selbst in Erscheinung und lässt sich staunend handgeschriebene und in der Tat faszinierende Manuskripte von Charles Dickens oder Jane Austen zeigen – die Fachleute werden wiederum nicht vorgestellt. Die Website wirkt zwar, als wolle sie Werbung für die Literatur machen und Nichtleser bekehren. In Wirklichkeit aber spricht sie in Stil und Anspruch ein per se bildungsbürgerliches Leserpublikum an. Daran ist nichts auszusetzen. Doch ein bisschen mehr Schwung, Unmittelbarkeit und Fokus auf jüngere Leser (oder Noch-nicht-Leser) hätten der Sache gutgetan. Aber Camilla biedert sich nicht an, sie interessiert sich für Bücher und drängt nicht um jeden Preis ins Rampenlicht.