Der bekannte Tenor und ehemalige Bühnenpartner von Anna Netrebko ist seit 2017 Intendant der Salzburger Mozartwoche. Er hat dem Traditionsfestival eine exemplarische Programmvielfal beschert.
Der Mozart-Himmel in Salzburg hängt dieser Tage ziemlich tief. Zum Jahresende musste eine bekannte Schokoladenfabrik schliessen, die unter anderem die «Echten Salzburger Mozartkugeln» hergestellt hat. Zwar gibt es weiterhin konkurrierende Anbieter, die vergleichbare zuckrige Versuchungen unter ähnlichen Namen produzieren. Aber das Ende des lokalen Traditionsunternehmens nagt trotzdem am Salzburger Gemüt.
Immerhin: Den Namensgeber der berühmten Praline – die er selbst übrigens nie genossen hat – tangiert dies nicht. «Mozart lebt!», so verkündet es jedenfalls eine Ansage von Rolando Villazón, die demonstrativ vor Konzerten an der Salzburger Mozartwoche vom Band eingespielt wird. Der bekannte Tenor verantwortet das Festival rund um Mozarts Geburtstag Ende Januar seit 2017 als Intendant. Und während dieser Zeit hat er der traditionsreichen Reihe der Internationalen Stiftung Mozarteum neuen Schwung beschert. Villazón kommt beim Publikum gut an, offensichtlich vermag er mit seinem Temperament und seinen Entertainer-Qualitäten kreative Energien zu entfesseln.
«Farben und Licht»
Mit einem ausgeklügelten und niederschwelligen Rahmenprogramm hat er die altehrwürdige Institution erfolgreich für ein breiteres Publikum geöffnet, und das strahlt mittlerweile auch auf das hochkarätige Hauptprogramm aus. Für diese Mischung wurde die Mozartwoche von der Jury des Österreichischen Musiktheaterpreises 2024 zum «Besten Festival» gekürt. Mit Auslastungen von regelmässig über 80 bis 100 Prozent ist die Mozartwoche gut aufgestellt und hat auch die vielerorts schwierige Zeit nach der Pandemie unbeschadet hinter sich gelassen.
Gleichzeitig setzt Villazón im Kernprogramm künstlerisch eigene Akzente. Er hat den spanisch-katalanischen Originalklang-Exegeten Jordi Savall 2023 erstmals zur Mozartwoche eingeladen und die Reihe zudem sinnstiftend weiter für andere Komponisten geöffnet. «Es geht zentral um Mozart, auch wenn andere Komponisten im Programm präsentiert werden», betont Villazón im Gespräch. «Die Präsenz anderer Komponisten bringt mehr Farben und mehr Licht.» Aber «der König», so betont er, «bleibt Mozart».
Was Villazón poetisch «Farben und Licht» nennt, heisst neudeutsch «Kontextualisierung». Die ist in diesem Jahr besonders ausgeprägt, passend zum Motto «Destination Mozart». Schon das Eröffnungskonzert mit dem Mozarteum-Orchester setzt kluge Wegmarken: Unter Roberto González-Monjas, der seit 2021 Chefdirigent am Musikkollegium Winterthur ist, kam beispielsweise das 1761 uraufgeführte Ballett «Don Juan» von Christoph Willibald Gluck zur Aufführung. Der Einfluss des Bühnen-Reformators auf Mozart ist zwar bekannt, aber die Parallelen zwischen Glucks musikdramatischer Ausgestaltung des Don-Juan-Stoffes und Mozarts (späterem) «Don Giovanni» werden hier unmittelbar ohrenfällig. Schon im dritten Akt aus dem «Figaro» hatte Mozart Glucks heute kaum noch bekanntem Ballett die Reverenz erwiesen.
Der Geist Harnoncourts
Auch Bach und Händel zählten zu Mozarts Inspirationsquellen. So war es konsequent, dass unter Ivor Bolton die Händel-Kantate «Das Alexanderfest» erklang: in jener Neufassung, die Mozart einst für den Baron van Swieten geschaffen hat. Erhellend wirkte nicht zuletzt die Integration der «Orfeo»-Oper von Claudio Monteverdi. Auf eine Verbindung von Monteverdi und Mozart würde man nicht ohne weiteres kommen, obwohl schon Nikolaus Harnoncourt in seinem wegweisenden Buch «Der musikalische Dialog» von 1984 auf Verbindungen hingewiesen hat.
Am Opernhaus Zürich hatte der Originalklang-Pionier Mitte der 1970er Jahre einen bahnbrechenden Monteverdi-Zyklus realisiert, später folgte ein Mozart-Zyklus. Die Salzburger «Orfeo»-Aufführung mit Villazón in der Titelpartie machte anschaulich, wie sehr Monteverdi mit der symbiotischen Verbindung von Musik und Drama ein Vorbild für die Opernform geschaffen hat, das bereits die meisten späteren Entwicklungen in sich vereinte. Für diese erste szenische Opernaufführung seit 2020 im Rahmen der Mozartwoche wurde eine poetische Inszenierung von Nikolaus Habjan übernommen.
Sie hatte 2023 an der Dresdner Semperoper Premiere. In Salzburg wurden szenische Details überarbeitet, und mit Christina Pluhar am Pult bot das Ensemble L’Arpeggiata auch musikalisch eine eigenständig profilierte Sicht. Ob die Übergänge, die Intonation oder das konzise Zusammenwirken von Instrumental- und Vokalparts: Der feinsinnigen Originalklang-Dirigentin aus Graz gelang eine exemplarische Durchdringung, die an das Niveau des konzertanten Monteverdi-Zyklus von John Eliot Gardiner am Lucerne Festival 2017 heranreichte.
Immer noch Neues
Mozart selbst und sein Schaffen bleiben in Salzburg ein lebendiges «work in progress», die Zeiten blosser Denkmalpflege sind auch in seiner Geburtsstadt lange vorbei. Gerade erst wurde die Neuauflage des Köchelverzeichnisses, des massgeblichen Werkkatalogs, um mehr als neunzig Einträge mit Funden und Neuzuschreibungen erweitert.
Auch Jordi Savall präsentierte in Salzburg etwas Neues: Er brachte eine eigene Fassung der unvollendeten c-Moll-Messe KV 427 zur Uraufführung, die er mit Luca Guglielmi erstellt hat. Sie findet für dieses bedeutendste Mozart-Fragment neben dem Requiem originelle Lösungen, vor allem für das Credo, in dem stellenweise auf die Kantate «Davide penitente» und die C-Dur-Messe KV 337 zurückgegriffen wird.
Dass die Frage nach der «richtigen» Mozart-Interpretation auch nach 250 Jahren offen ist und Raum lässt für unterschiedliche Sichtweisen, unterstrich ein Gastspiel des 1953 von Harnoncourt mitbegründeten Concentus Musicus Wien. Mit Stefan Gottfried am Pult war vor allem in der Es-Dur-Sinfonie KV 184 hörbar, wie sehr die Haltung des 2016 verstorbenen Harnoncourt das Originalklang-Ensemble immer noch prägt. Unerhört frisch und befreit klang dieser Mozart, spannungsreich und humorvoll. Ganz anders dagegen der etwas behäbige, süffige Mozart-Stil der Wiener Philharmoniker unter Adam Fischer, der etwas aus der Zeit gefallen wirkte.
«Ich liebe die Diversität der Interpretation», betont Villazón im Gespräch. «Meine Verantwortung als Intendant ist, meinen subjektiven Geschmack bei mir zu lassen und diese Vielfalt zu präsentieren.» Er wolle alle Möglichkeiten zulassen. Im kommenden Jahr wird in Salzburg eine Art Doppeljubiläum gefeiert, nämlich der 270. Geburtstag Mozarts und das 70-jährige Bestehen der Mozartwoche. Es soll dann unter anderem eine neue, von Villazón selbst inszenierte «Zauberflöte» geben – passend zum Motto «Magic Mozart».
«Nikolaus Harnoncourt in Salzburg»: Sonderausstellung im Mozart-Wohnhaus, bis 21. April.