Blutet der FCZ aus? Die Identifikationsfigur Antonio Marchesano hat den Klub verlassen, das Kader wird durcheinandergewirbelt. Gegen den formstarken FC Basel muss der FCZ-Trainer Ricardo Moniz ein stark verändertes Team formen.
Zarte Klaviertupfer führen zu dem Moment, als Antonio Marchesano die Stimme bricht. Der 34-jährige Offensivspieler, seit achteinhalb Jahren im FCZ und mit fast 300 Spielen eine der letzten Identifikationsfiguren, hat am Donnerstag auf dem klubeigenen Videokanal überraschend verkündet, dass er den FCZ schweren Herzens verlässt und zu Yverdon Sport wechselt. Es tue ihm leid, er bitte um Verständnis für den Wechsel. Vergiesst Marchesano nur Krokodilstränen, oder sind sie echt?
Jedenfalls scheint sich Marchesanos Freude über die neue Aufgabe beim Abstiegskandidaten in Grenzen zu halten, sein Abschiedsschmerz wirkt ehrlich empfunden. Ob Marchesano aus freien Stücken den Spind im Heerenschürli geräumt hat oder ob ihm der Abgang auch ein wenig nahegelegt worden ist, bleibt eine offene Frage. Wahrscheinlich trifft beides ein Stück weit zu. In Marchesanos Vertrag war die Option für eine Verlängerung um ein Jahr festgehalten. Ob es mit dem FCZ Gespräche über eine vorzeitige Verlängerung gab, ist nicht bekannt.
Wie auch immer – nach aussen soll jedenfalls das Bild vermittelt werden, dass der FCZ nicht in der Lage gewesen ist, beim Angebot von Yverdon «finanziell mitzuhalten», wie der FCZ-Sportchef Milos Malenovic im «Blick» sagte. Von einem «schweren Verlust» sprach der FCZ-Trainer Ricardo Moniz, «sportlich, aber auch menschlich». Nun gelte es, «Trauer und Emotionen» hinter sich zu lassen. «Ich bin Profi, ich muss mit breiter Brust vorangehen und der Mannschaft vermitteln, dass wir auch ohne Toninho das nächste Spiel gewinnen können», sagte Moniz.
Marchesano war beim FCZ-Publikum beliebt. In den Fan-Foren überwiegt Unverständnis darüber, dass Marchesano nicht im FCZ gehalten werden konnte. Noch in der Hinrunde hatte der Spieler mit der Nummer 10 eine wichtige Rolle und galt als «Unterschiedsspieler», bis er im November verletzt fehlte. Er erzielte nicht nur vier Tore, der filigrane Spielgestalter strukturierte mit seiner Erfahrung auch das oft roboterhafte FCZ-Spiel. Moniz sprach wiederholt von einem «noch immer lernwilligen» Spieler, an dem sich die Jungen orientieren könnten. Diese Aufgabe ist nun allein dem 33-jährigen Steven Zuber zugedacht. Der frühere GC-Spieler kam an Weihnachten zum FCZ. Sein Zuzug löste wenig Begeisterung aus.
Dem Team fehlt das Rückgrat
Der Abgang von Marchesano passt ins Bild, dass auch in dieser Transferperiode kein Stein auf dem anderen bleibt. Cheick Condé und Jonathan Okita verliessen nach Monaten auf dem Abstellgleis den Klub bereits. Am Freitagabend wurde bekannt, dass Nikola Katic nach England zu Plymouth Argyle ausgeliehen wird. Auch Ifeanyi Mathew ist auf dem Absprung. Mirlind Kryeziu, zurzeit verletzt, dürfte spätestens im Sommer nach langen Jahren seinen Stammklub ablösefrei verlassen und bis dahin zweite Wahl bleiben.
«Nie usenand gah», heisst der schöne FCZ-Slogan. Wird er von den vielen Abgängen, Wechseln und Transfers gerade verhöhnt? Wie kann man überhaupt nie auseinandergehen, wenn man noch gar nicht zusammengekommen ist?
Moniz will nicht beklagen, dass ihm nun das Rückgrat im Team fehlt. «Das sind strategische Fragen der Führung, meine Aufgabe ist es, die Mannschaft zu entwickeln und die Spieler besser zu machen», sagte er. Fraglich ist, ob junge Spieler besser werden, wenn sie sich nicht in ein Gerüst mit erfahrenen Teamkollegen einfügen können. Der 18-jährige Cheveyo Tsawa wäre ein solcher Spieler, dem im defensiven Mittelfeld wie jüngst in Luzern mehr Anleitung guttun würde. Oder auch dem 21-jährigen Daniel Denoon, der in seinem dritten Spiel am letzten Sonntag einen Penalty verschuldete und später vom Platz flog.
Wenn also der FCZ am Sonntag den FC Basel empfängt, wird wieder einmal eine stark veränderte Mannschaft im Letzigrund einlaufen. Von der ehemaligen Dreierabwehr, zu Saisonbeginn das Fundament des Teams, ist nur noch Mariano Gómez da. Weil auch Lindrit Kamberi wegen einer Sperre fehlt, soll Nemanja Tosic eine Chance bekommen. Ob das gut kommt gegen einen FC Basel, der seine Ambitionen auf die Tabellenspitze unterstreichen will?
Dem FCZ stehen heikle Wochen bevor. In den letzten zehn Spielen hat er nur gegen Yverdon und Sion gewonnen und fünf Niederlagen kassiert. Immer deutlicher zeigt sich, dass die Mannschaft am Anfang der Saison über ihre Verhältnisse gelebt hat. Die Qualifikation für die ersten sechs und damit die Meisterrunde könnte zu einer ähnlichen Hängepartie werden wie in der letzten Saison, als Moniz nach der hilflosen Zwischenlösung mit Murat Ural und Roberto Romano übernommen hatte.
Er spüre «keinen negativen Druck», sagte Moniz am Freitag, sondern «hundert Prozent Rückhalt von der Führung». Diese Führung um den Sportchef Malenovic und den Präsidenten Ancillo Canepa will die Gruppenphase in einem europäischen Wettbewerb erreichen. So hatte Canepa nach Weihnachten das Saisonziel festgelegt. 7,5 Millionen Franken musste Canepa vor einem Jahr einschiessen, um den Fehlbetrag auszugleichen. Dank den Geldern aus Europa soll die Rechnung künftig aufgehen.
Der FCZ besteigt den Mount Everest
Immerhin muss sich der FCZ nicht vorwerfen, keine Ideen zu haben, sollte die Rechnung nicht aufgehen. «Der FCZ geht auf den Mount Everest», teilte der Verein am Dienstag mit. Wer sich fragte, wie das gehen soll, konnte sich im vereinseigenen Video-Podcast aufklären lassen. Unabhängig vom Erfolg auf dem Rasen steht im Frühsommer ein Gipfelsturm bevor – allerdings nur symbolischer Natur. Eigentlich schade. Im Fussball wäre der Mount Everest die Champions League, mindestens.
Aber weil für den FCZ die Königsklasse seit der letzten Teilnahme vor dreizehn Jahren in immer weitere Ferne gerückt ist, muss Symbolik genügen. So besteht das FCZ-Vorhaben aus der Partnerschaft mit dem Speed-Climber Karl Egloff, einem ehemaligen FCZ-Junior. Egloff will den Everest in Rekordzeit besteigen und verspricht, auf dem höchsten Punkt der Erde einen FCZ-Wimpel zu platzieren. «Wir werden wohl der einzige Fussballklub weltweit sein, der auf dem Mount Everest verewigt sein wird», sagt der Präsident Ancillo Canepa begeistert über seine «etwas verrückte Idee».
Auf solche «verrückten Ideen» muss man erst einmal kommen. Das Dach der Welt mit dem FCZ-Wimpel obendrauf liegt ziemlich weit weg von den Fussballplätzen dieser Erde. Aber der FCZ hat in den letzten Jahren und Monaten Übung darin entwickelt, immer wieder erstaunliche Verrücktheiten hervorzubringen. Der Abgang von Marchesano ist die jüngste davon.