Gemeinderäte von links bis zur Mitte wollen höhere Löhne für ihre Arbeit. Am 9. Februar entscheidet das Stimmvolk.
Für die Zürcher Stadtparlamentarier ist es Alltag, dass die Stimmbevölkerung an der Urne abschliessend über ihre Beratungen entscheidet. Doch die Abstimmung vom 9. Februar ist anders. Sie betrifft die Politiker persönlich, denn es geht um ihren eigenen Lohn.
Den wollen sie sich de facto verdoppeln lassen. Eine Mitte-links-Allianz von AL bis GLP wirbt bei den Stimmberechtigten für ein Ja: Es gehe um den «Wert der Demokratie». Die Bürgerlichen hingegen halten die Forderungen für überrissen.
Neu soll eine Sitzungsstunde mit 72 Franken vergolten werden, eine Stunde in der Kommission gar mit 120 Franken. Abgerechnet wird künftig auf die Minute genau, und es winkt eine Grundentschädigung von 12 000 Franken pro Jahr statt wie bisher 3120 Franken. FDP und SVP lehnen die Vorlage ab, alle anderen Parteien sind dafür.
27 Jahre ist es her seit der letzten Anpassung. Müssen die Mitglieder des Stadtparlaments heute tatsächlich mehr leisten als früher? Die NZZ hat darüber mit zwei früheren, langjährigen Gemeinderäten gesprochen, die mit dem Zürcher Politbetrieb bestens vertraut sind: Niklaus Scherr (AL) und Rolf Walther (FDP). Ihre Meinungen gehen diametral auseinander.
Der ehemalige AL-Stratege: «Pluralität ist wichtig»
Scherr befürwortet die höheren Entschädigungen klar. Er sass 38 Jahre lang für die Alternative Liste im Gemeinderat und schied 2017 aus. Er hatte die Partei mitbegründet und war während Jahrzehnten ein prägendes Mitglied der AL. Beruflich führte er viele Jahre den Mieterinnen- und Mieterverband.
Scherr sagt: «Ich konnte so lange Gemeinderat sein, weil ich einen Job nahe an der Politik hatte. Für mich hat das gut gepasst.» Doch das Amt müsse man sich unabhängig von der beruflichen Situation leisten können. Pluralität im Gemeinderat sei wichtig, sagt Scherr, «er darf nicht nur aus Studenten und Rentnern bestehen».
Die Befürworterinnen und Befürworter begründen die Notwendigkeit höherer Entschädigungen auch mit der gestiegenen Komplexität der Geschäfte. Ein Argument, das Scherr für richtig hält. Die Regulierungsdichte habe zugenommen. Dies führe dazu, dass mehr Geschäfte abgearbeitet werden müssten. «Nehmen wir die Energie- und Klimapolitik: Da ist vieles auf Bundes- und Kantonsebene geregelt, das Auswirkungen auf die praktische Umsetzung auf kommunaler Ebene hat.»
Wolle man das Amt seriös ausüben, sei der Aufwand beachtlich, sagt Scherr. Und er habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen sich ernsthafter vorbereiteten als Männer. «Wenn mehr Frauen im Parlament vertreten sind, bekommt auch der Rat eine neue Qualität», sagt Scherr. «Und es ist doch bemerkenswert, dass die grösste Opposition gegen die höheren Entschädigungen ausgerechnet von der Partei kommt, die keine Frauen in der Fraktion hat.» Damit spielt Scherr auf die SVP an, die die höheren Entschädigungen vehement ablehnt.
Der frühere FDP-Finanzpolitiker: «Es war eine Ehre»
Für Rolf Walther hingegen sind die neu geforderten Entschädigungen für einen Parlamentssitz ein Unding. Der Immobilienexperte war vierzehn Jahre FDP-Stadtparlamentarier und sieben Jahre Kantonsrat. Für ihn ist klar: Der Gemeinderat braucht keine höheren Löhne. «Verantwortung kann man nicht mit Geld entschädigen. Man muss sie tragen. Mehr Geld und weitere Leistungen bedeuten mehr Abhängigkeit, weniger Kontrolle.»
Als er 1990 in den Rat eingetreten sei, sei die Entschädigung höchst bescheiden gewesen, sagt Walther. Und auch seine finanziellen Möglichkeiten seien als Vater von drei Kindern damals beschränkt gewesen. Trotzdem hätte er nicht mehr Lohn gewollt für sein politisches Engagement. «Es war eine Ehre, von der Bevölkerung gewählt zu sein, ich konnte viele interessante Kontakte knüpfen. Das war Entschädigung genug.»
Aus seiner Sicht ist es der Gemeinderat, der sich selbst unnötig viel Arbeit verschafft. «Früher haben wir eine ganze Reihe von Geschäften im Schnellzugtempo beraten», sagt er. «Man muss nicht alles durchdebattieren, vor allem nicht, wenn ein Thema unbestritten ist.» Walther erinnert sich an Budgetberatungen, die nach zwei Sitzungen abgeschlossen werden konnten. Zum Vergleich: Für das Budget 2025 waren sechs Sitzungen nötig.
Allerdings war es ausgerechnet Rolf Walther, der 1996 den Ausschlag gab für ausufernde Budgetdebatten. Verärgert darüber, dass der Stadtrat kein schlankes Budget vorlegen wollte, formulierte Walther 450 Kürzungsanträge. «Das war nötig, die meisten Anträge waren erfolgreich. Aber ich fühle mich immer noch mitschuldig, dass die Budgetsitzungen seither ausufern.» Ein Unding sind für ihn vor allem Anträge, die von vornherein chancenlos sind. «Parlamentarier wollen immer über alles reden», sagt Walther. «Das ist unnötig.»
Einen Eindruck davon, wie effizient oder, je nach Sichtweise, ineffizient der Rat ist, vermittelt der Tätigkeitsbericht des Parlaments vom letzten Mai. Im Amtsjahr 2023/24 wurden 323 Vorstösse eingereicht. Das sind zwar deutlich weniger als im Jahr zuvor, aber immer noch mehr als im Durchschnitt der Vorjahre. Zum Vergleich: Im Amtsjahr 2015/16 waren «nur» 232 Vorstösse eingereicht worden, ein Jahr später 233.
Nicht nur hat die Zahl der Vorstösse stark zugenommen, der Rat war auch weniger speditiv als im Vorjahr. Zwar tagte er mit rund 163 Stunden eine Stunde länger. Allerdings wurden weniger Geschäfte behandelt, nämlich 193 Vorstösse sowie 158 Weisungen des Stadtrats. Im Jahr zuvor waren es 258 Motionen und Postulate sowie 124 Weisungen gewesen.
In der Medienmitteilung dazu heisst es lapidar: «Damit zeigt sich das Parlament weiterhin debattierfreudig in der ganzen Bandbreite der Geschäfte.»