Für die Wirtschaft ist die Brexit-Bilanz längst nicht so desaströs wie befürchtet. Aber zu gewinnen gab es mit dem EU-Ausstieg kaum etwas.
Fünf Jahre nach dem Brexit ist die Ernüchterung überall in der britischen Gesellschaft angekommen. Die konservative Regierung habe den Ausstieg aus der EU angekündigt, bevor sie einen Plan gehabt habe – das räumte die Tory-Vorsitzende Kemi Badenoch Mitte Januar selbst ein. Je nach Umfrage halten seit Anfang 2023 mehr als 60 Prozent der Briten den Brexit für einen Fehler.
Am 31. Januar 2020 war die Zuversicht grösser. An jenem Datum trat das Vereinigte Königreich offiziell aus der EU aus. Dass es nicht um Mitternacht, sondern um 23 Uhr Londoner Zeit geschah, war das letzte verhasste «Diktat» vom Kontinent (entscheidend war die Mitternacht nach Brüsseler Zeit).
Die Schwarzseher lagen falsch
Richtig ernst wurde es elf Monate später, als die Insel auch die Zollunion und den Binnenmarkt der EU verliess. Premierminister Boris Johnson vereinbarte in letzter Minute ein Freihandelsabkommen, das die Zölle im Warenhandel eliminiert.
Nach fünf Jahren Brexit muss man anerkennen: Die Welt, beziehungsweise die Insel, ist nicht untergegangen. Der Aussenhandel mit der EU, dem wichtigsten Handelspartner, ist nicht eingebrochen. Grossbritanniens Wirtschaft ist nicht kollabiert, wie das manche Schwarzseher befürchteten, als die Briten im Jahr 2016 überraschend und knapp für den EU-Ausstieg stimmten.
Hingegen hat sich der Warenhandel mit der EU erstaunlich gut gehalten – beziehungsweise ebenso schlecht wie mit dem Rest der Welt. Wenn überhaupt, hat er sich im Vergleich sogar etwas besser entwickelt, weil die Briten noch erstaunlich viel vom Kontinent importieren. Das mag auch daran gelegen haben, dass London viele Einfuhrbeschränkungen aus Angst vor den Folgen erst spät eingeführt hat.
Doch die Bürokratie beim grenzüberschreitenden Handel kostet: Aufwendige Zollerklärungen müssen gemacht werden, ausserdem braucht es Nachweise über Produktstandards. Kleinere Unternehmen mit weniger Ressourcen tun sich mit diesem Aufwand deutlich schwerer als Konzerne.
Es leiden die Kleinen
Über 16 000 Firmen beziehungsweise 14 Prozent jener britischen Exporteure, die früher in die EU verkauften, hätten damit aufgehört, heisst es in einer im Dezember veröffentlichten Studie der London School of Economics (LSE). Andere Analysen kommen auf höhere Zahlen. Für Grossunternehmen ist der Effekt hingegen nicht signifikant.
Die entscheidende Frage lautet, ob es der britischen Wirtschaft in der EU besser ergangen wäre. Nicht zwangsläufig, legen die Probleme von Deutschland, Frankreich und Italien nahe. Verkompliziert wird die Analyse, weil es mit der Corona-Pandemie und dem Energiepreisschock durch den Ukraine-Krieg sehr schwierig geworden ist, einzelne Faktoren zu trennen.
Allerdings ist seit dem Brexit der Handel innerhalb der EU stärker gewachsen als der Welthandel, wie es in einem Bericht der Denkfabrik The UK in a Changing Europe heisst. Es ist also gut möglich, dass Grossbritannien daran partizipiert hätte, wenn es im Bündnis geblieben wäre.
Die Taube gegen den Spatz getauscht
Gleichzeitig ist denkbar, dass der Brexit eben nicht nur den britischen Güterhandel mit der EU dämpfte, sondern auch jenen mit dem Rest der Welt – etwa, weil die Insel ohne EU-Zugang als Produktionsstandort unattraktiver wurde. In jedem Fall haben sich die Hoffnungen auf grosse neue Freihandelsabkommen kaum bewahrheitet. Besonders der erhoffte Handelsvertrag mit den USA steht in den Sternen.
Während ein klarer Brexit-Benefit schwer auszumachen ist, spüren die Briten die negativen Seiten des Wegfalls der Personenfreizügigkeit. Und die Einwanderung, ein wichtiger Grund für den EU-Ausstieg, ist sogar gestiegen. Mit dem Brexit hat Grossbritannien eine Taube in der Hand gegen einen Spatzen getauscht.