Nach dem Vorbild der chinesischen App WeChat soll das ehemalige Twitter zur «App für alles» werden. Der Konkurrent Meta hat ähnliche Pläne – doch der Weg ist noch weit.
Nachrichten verschicken, Rechnungen bezahlen, mit Behörden chatten, Taxis buchen, Essen bestellen, Fahrräder ausleihen – und das alles in einer einzigen App: Was hier nach Science-Fiction klingt, ist in China seit Jahren Normalität. 1,4 Milliarden Chinesen benutzen dort die App WeChat für nahezu alles, was im digitalen Raum möglich ist. WeChat ist wie ein Schweizer Taschenmesser, eine «Everything-App».
Eine solche App auch ausserhalb Asiens zu etablieren, schwebt Elon Musk vor, seit er vor über zwei Jahren Twitter übernahm. Nun ist er diesem Ziel einen Schritt näher gekommen: Die inzwischen in X umbenannte Plattform will ihren seit langem angekündigten Dienst für Geldüberweisungen bis Ende dieses Jahres starten. Die X-Chefin Linda Yaccarino gab am Dienstag Visa als ersten Partner aus der Finanzbranche bekannt.
Nutzer können sich gegenseitig Geld schicken
X-Money soll der Zweig der Plattform heissen, der sich auf Geldüberweisungen konzentriert. Mit ihren Accounts sollen Nutzer unter anderem Geld von einer verknüpften Debitkarte untereinander verschicken und Mittel auf ihr Bankkonto überweisen können.
Another milestone for the Everything App: @Visa is our first partner for the @XMoney Account, which will debut later this year.
💰Allows for secure + instant funding to your X Wallet via Visa Direct
🪪 Connects to your debit card allowing P2P payments
🏦 Option to instantly…
— Linda Yaccarino (@lindayaX) January 28, 2025
Auf dem Weg zur Super-App ist die Einführung von In-App-Bezahlung ein wichtiger Schritt. Das Vorbild WeChat bewundert Musk schon lange: «In China lebt man im Grunde auf WeChat», sagte er vor zweieinhalb Jahren in einer Frage-Antwort-Runde mit Twitter-Angestellten. Diese Vision habe er für seine Plattform auch.
WeChat ist sicherlich die Super-App mit den meisten Benutzern und den weitreichendsten Möglichkeiten. Vor einigen Jahren begannen chinesische Städte sogar mit Tests, um in der App digitale Identitätsdokumente zu integrieren, mit denen Chinesinnen und Chinesen sich ausweisen können.
Super-Apps haben es im Westen schwer
Doch auch in anderen asiatischen Ländern sind Super-Apps erfolgreich. Grab, laut eigener Bezeichnung eine «Everyday Everything App», wird in vielen Ländern Südostasiens verwendet. Neben dem Transport von Personen bietet die App Lieferdienste und einen Online-Bezahlservice an und hat eine eigene Karte entwickelt, die Google Maps Konkurrenz macht. In Südkorea laufen Chats, Taxi-Bestellungen, Lieferservice und Kartendienste über den Anbieter Kakao.
Westlichen Social-Media-Plattformen ist es bisher ist es nicht gelungen, das Konzept ausserhalb Asiens zu kopieren. Die Bildnachrichten-App Snapchat versuchte in der Vergangenheit, einen Zahlungsdienst namens Snapcash in seine App zu integrieren, legte das Projekt aber 2018 auf Eis. Meta hat sich mit Facebook Marketplace in den E-Commerce-Bereich gewagt, auch auf Instagram finden in diesem Bereich Versuche statt. Vergangenen Sommer stellte der CEO Mark Zuckerberg seine Version für Whatsapp vor: Künftig sollen Nutzer dort einkaufen, bezahlen und mit Behörden kommunizieren können.
X-Money geht einen Schritt weiter. Nutzer sollen in der App nicht nur ihre Kreditkarte hinterlegen können, sondern ein eigenes Konto haben und darüber Zahlungen tätigen können. X will so auch Geld an Premium-Nutzer überweisen, die wegen ihrer Posts Umsatzbeteiligungen erhalten.
Jobs, Fernsehen und künstliche Intelligenz
Mit Geschäften im Bereich Zahlungsverkehr hat Musk Erfahrung. Auch den Namen X.com hat er in der Vergangenheit bereits einmal vergeben: Anfang der 2000er Jahre nannte er seine Online-Bank so, die heute Paypal heisst. «The Verge» berichtet aus einem internen Gespräch, laut dem Musk damals schon «Super App»-ähnliche Pläne für X.com beziehungsweise Paypal gehabt haben soll, die allerdings nie umgesetzt wurden.
Nun wagt er einen erneuten Anlauf – und hinkt seinem eigenen Zeitplan bereits hinterher: Ende 2023 sagte er laut «The Verge» in einem internen X-Meeting, dass es ihn «umhauen würde», wenn der Dienst nicht bis Ende 2024 «das gesamte finanzielle Leben eines Menschen» abwickeln könnte. Wenn es nun tatsächlich so weit kommt, dann mit einem Jahr Verspätung.
Doch auch in anderen Bereichen schreitet der Ausbau von X zur Super-App voran: Seit einiger Zeit kann man in der App Audio- und Videoanrufe tätigen und über einen zusätzlichen Reiter Musks KI-Modell Grok verwenden. Unter einem weiteren Reiter sind Jobangebote zu finden. Die X-CEO Linda Yaccarino kündigte am 31. Dezember 2024 an, die App werde die Menschen im Jahr 2025 «auf eine Art und Weise verbinden, die Sie nie für möglich gehalten hätten».
In 2024, X changed the world. Now, YOU are the media!
2025 X will connect you in ways never thought possible. X TV, X Money, Grok and more.
Buckle up. Happy New Year!🥂
— Linda Yaccarino (@lindayaX) December 31, 2024
Yaccarino nannte neben X-Money und Grok auch X-TV, eine Streaming-App, die als Konkurrenz zu Youtube auftritt. In der derzeit verfügbaren Beta-Version können Nutzer alle Videos, die auf X hochgeladen werden, direkt von ihrem Fernseher aus streamen. In einer Antwort auf den Post eines Nutzers sagte Musk vor einigen Monaten zudem, man arbeite an einem Konzept für Video-Monetarisierung, ähnlich zu Youtube. Damit könnten Nutzer über Videos auf X Geld verdienen.
Ein Super-App braucht vor allem Nutzer
Musk hat grosse Pläne, doch um eine Super-App aufzubauen, braucht er vor allem eins: Nutzer. X kommt derzeit auf geschätzt 650 Millionen Nutzerkonten, bei den Konkurrenten Instagram und Tiktok sind es 2 Milliarden. Facebook wird monatlich sogar von 3 Milliarden Menschen verwendet.
Auch finanziell steht Musk vor einigen Herausforderungen. 44 Milliarden Dollar gab er einst für Twitter aus, heute wird der Wert des Unternehmens auf weniger als einen Viertel geschätzt. Die Plattform kämpft mit Bots und Falschinformationen, was zahlreiche Werbekunden vertrieben hat. Zwar konnten die Einnahmen durch die Einführung neuer Funktionen und Abo-Modelle wieder gesteigert werden. Doch das «Wall Street Journal» zitierte vergangene Woche aus einem Schreiben Musks an die X-Mitarbeiter, laut dem die Einnahmen «nicht beeindruckend» seien und das Nutzerwachstum stagniere. «Wir erreichen gerade so die Gewinnzone», so Musk.
Konkurrenz erhält Musk nicht nur von anderen Plattform-Betreibern, sondern unter anderem von der deutschen Telekom. Diese stellte vergangenes Jahr ihre eigene Version einer Super-App vor: ein KI-Smartphone, das komplett ohne Apps auskommt.
In der Zukunft, die der Telekom vorschwebt, müssen Menschen keine Apps mehr bedienen, sondern nur noch per Sprachbefehl mit der KI auf dem Smartphone kommunizieren. Diese bucht dann Reisen, kauft Geschenke ein und erledigt auch sonst alles, wofür Menschen eben ein Smartphone verwenden.
In den asiatischen Ländern mag der Kampf um die grösste App längst entschieden sein – in der westlichen Welt hat er gerade erst begonnen.