Wasser mit Kohlensäure werden alle möglichen gesundheitlichen Vorteile zugeschrieben. Unser Kolumnist hat daran begründete Zweifel.
Wenn meine in den USA sozialisierten Töchter mit Freunden nach Europa reisen, erinnere ich sie vorher stets an einen Kulturschock, der in manchen Ländern der Alten Welt wie der Schweiz oder Deutschland auf sie wartet. Was den jungen Menschen schonend beigebracht werden muss, ist dies: Wenn ihr dort in ein Restaurant geht, kommt keine freundliche Kellnerin und stellt mit einem «How are you today?» ungefragt vor jeden von euch ein grosses Glas Wasser auf den Tisch. Möchtet ihr Wasser haben, so müsst ihr es bei einem oft deutlich weniger freundlichen Kellner erst bestellen. Und dann bezahlen.
Es ist noch nicht lange her, da bestellte man einfach ein «Mineralwasser». Gemeint war mit diesem vornehmen Ausdruck meist banales Sprudelwasser, in Anspielung auf seine direkte körperliche Wirkung auch als «Rülpswasser» bekannt. Inzwischen sind die Geschmäcke differenzierter, und man wird gefragt: «Still oder mit Gas?» Bei dieser primär kulinarischen Entscheidung spielt oft auch der Hintergedanke eine Rolle, welche Variante bekömmlicher, angenehmer oder kurzum: gesünder ist.
Der Rülpswasser-Effekt ist ein Grund, der viele Menschen Abstand von fizzy water, wie es im Englischen heisst, nehmen lässt. Auch Menschen mit Sodbrennen sollten damit vorsichtig sein, denn das freigesetzte Gas kann die Schleimhaut von Magen und Speiseröhre zusätzlich reizen.
Dem halten die Anhänger des Sprudelwassers vermeintliche Vorteile für die Gesundheit entgegen. Gängige Theorien besagen zum Beispiel, dass die Kohlensäure die Magenschleimhaut anrege, mehr Verdauungsenzyme zu produzieren. Oder dass das mit dem, pardon, Rülpsen verbundene Völlegefühl den Appetit bremse. Oder dass im sprudelnden Wasser weniger Keime gefunden würden.
Besonders häufig wird behauptet, dass Sprudelwasser beim Abnehmen helfe. Zu diesem Schluss kommt auch eine gerade in einer angesehenen Fachzeitschrift veröffentlichte Arbeit, die allerdings auch nur Altbekanntes wiederholt. Demnach soll das kohlensäurehaltige Wasser den roten Blutkörperchen helfen, Glukose – also Zucker – schneller abzubauen. Freilich nehme man vom Sprudelwasser allein nicht merklich ab, gibt der Autor zu. Es müsse Teil gewichtsreduzierender Massnahmen sein.
Theorien gibt es zuhauf, Belege wenig
Wirklich schlüssig belegt sind diese und andere Behauptungen über die gesundheitsförderliche Kohlensäure aus meiner Sicht nicht. Aber wie alle Mythen haben sie einen wahren Kern: Mineralwasser im eigentlichen Sinn kann dem Körper Mineralien liefern, die er für verschiedene Funktionen braucht – das hat aber nichts mit der Frage zu tun, ob das Wasser sprudelt oder nicht.
Das Gleiche gilt für die nicht ganz unplausible Verbindung von Wassertrinken und Gewichtsabnahme, weil ein voller Magen zumindest kurzfristig ein Sättigungsgefühl meldet. Dafür muss man aber eine ziemlich grosse Menge Wasser trinken. Wer möchte das wirklich tun? Und sich im Falle von kohlensäurehaltigem Wasser durch das Gas aufblähen lassen?
Unterm Strich ist das sprudelnde Wasser wohl nicht schlechter und auch nicht besser für die Gesundheit als stilles Wasser. Was beiden gemeinsam ist: Bei einem Restaurantbesuch in «Old Europe» sind sie überteuert wie sonst kaum etwas auf der Speisekarte.
Bereits erschienene Texte unserer Kolumne «Hauptsache, gesund» finden Sie hier.